Das Muster einer Eidechse birgt Prinzipien zweier Mathe-Genies

Die Perleidechse trägt ein gemustertes Schuppenkleid in Grün und Schwarz. Ihr Muster ist etwas Spezielles im Tierreich, wie Genfer Forscher berichten. Es birgt Prinzipien zweier grosser Mathematiker und Gründungsväter der Informatik: Alan Turing und John von Neumann.

Die Perleidechse trägt ein gemustertes Schuppenkleid in Grün und Schwarz. Ihr Muster ist etwas Spezielles im Tierreich, wie Genfer Forscher berichten. Es birgt Prinzipien zweier grosser Mathematiker und Gründungsväter der Informatik: Alan Turing und John von Neumann.

Vom Clownfisch bis zum Leopard: Farbmuster im Tierreich beruhen auf mikroskopischen Interaktionen zwischen gefärbten Zellen. Diese Interaktionen lassen sich mit Gleichungen beschreiben, die auf den Mathematiker Alan Turing zurückgehen. Die Perleidechse Timon lepidus, die in Spanien und Südfrankreich vorkommt, stellt eine Ausnahme dar: Ihr Schuppenkleid folgt den Prinzipien einer Rechenmaschine, die der Mathematiker John von Neumann 1948 entwickelte.

Ein Forscherteam aus Biologen, Physikern und Informatikern um Michel Milinkovitch von der Uni Genf und dem Schweizer Institut für Bioinformatik (SIB) ist dem Rätsel des Eidechsenmusters auf den Grund gegangen und berichtet davon im Fachblatt «Nature».

Vom Ei zum Erwachsenenalter

Die Doktorandinnen Liana Manukyan und Sophie Montandon beobachteten Perleidechsen über vier Jahre hinweg, vom Schlüpfen aus dem Ei bis ins Erwachsenenalter. Dabei rekonstruierten sie zu mehreren Zeitpunkten die Geometrie und Färbung des Schuppenkleides, das beim Heranwachsen von braun mit hellen Flecken zu einem grün-schwarzen Mosaikmuster wechselt.

Zu ihrer Überraschung stellten die Forschenden dabei fest, dass die Schuppen im Laufe des Lebens der Tiere immer wieder zwischen grün und schwarz wechseln, wie Uni Genf und SIB in einer gemeinsamen Mitteilung vom Mittwoch schreiben. Das brachte Milinkovitch auf die Hypothese, dass die Eidechsenhaut ein spezielles Rechensystem darstellt – einen sogenannten «Zellulären Automaten», den der Mathematiker John von Neumann erstmals 1948 beschrieb.

Schuppen als Rechnerelemente

Zelluläre Automaten bestehen aus einem Raster von Elementen, die ihren Zustand in Abhängigkeit von den umliegenden Elementen wechseln. Das «Zellulär» bezieht sich dabei nicht auf biologische Zellen; im Fall der Eidechse sind die Elemente die einzelnen Hautschuppen. Die Perleidechse stelle somit das erste Beispiel eines solchen Automaten in einem lebenden Organismus dar, so die Mitteilung.

Die Beobachtungen an den heranwachsenden Eidechsen bestätigte die Hypothese: Die Schuppen wechselten ihre Farbe in Abhängigkeit von den umliegenden Schuppen. Ausserdem ergab eine Computersimulation auf der Basis der entdeckten mathematischen Grundregel Hautmusterungen, die sich von den echten der Eidechsen kaum unterschieden.

Hautdicke hat Einfluss

Allerdings blieb die Frage, wie die mikroskopischen Interaktionen zwischen Pigmentzellen à la Turing einen Von-Neumann-Automaten ergeben können, dessen Elemente exakt mit den einzelnen Hautschuppen übereinstimmen. Auch dafür haben die Genfer Forschenden eine Antwort gefunden: Sie liegt in der Dreidimensionalität der Eidechsenhaut.

Zwischen den Schuppen ist die Haut relativ dünn, im Zentrum der Schuppen relativ dick. Da der Turing-Mechanismus auf der Bewegung von Zellen oder der Diffusion von Zell-Signalstoffen beruht, spielt die Hautdicke dafür eine Rolle. Tatsächlich ergaben Computersimulationen der Turing-Prinzipien in der Eidechsenhaut, welche die Schuppenstruktur berücksichtigten, annähernd das Verhalten eines Von-Neumann-Automaten.

Hilfe vom Fields-Medaillen-Träger

Trotzdem war die Simulation noch nicht ganz perfekt, da sich die Mathematik hinter dem Turing-Prinzip und dem Zellulären Automaten stark unterscheiden. Hier rief Milinkovitch den Mathematiker Stanislav Smirnov von der Uni Genf zur Hilfe, den Träger der Fields Medaille in Mathematik 2010.

Smirnov modifizierte die Gleichungen Alan Turings, um den mathematischen Bogen zum Rechensystem John von Neumanns zu schlagen. Die Doktorandin Anamarija Fofonjka aus Milinkovitchs Gruppe nutzte diese neuen Gleichungen für weitere Computersimulationen, die nun ein System ergaben, das sich von einem Von-Neumann-Automaten nicht mehr unterscheiden liess.

Das extrem multidisziplinäre Team habe so den Kreis dieses wissenschaftlichen Abenteuers geschlossen, schrieben Uni Genf und SIB: von der Biologie über Physik zur Mathematik und wieder zurück zur Biologie.

http://nature.com/articles/doi:10.1038/nature22031

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