Luxemburgerli oder Macarons? Who cares. Hauptsache rein in den Mund.
Das erste Mal Luxemburgerli vergisst man nie. Unsereins traf es irgendwann in den frühen Neunzigern. Der mondäne Grossonkel aus dem Züribiet war zu Besuch und hatte verschwörerisch eine kleine Schachtel hervorgezaubert. «Es chlises Schmankerl für d Chinder!»
Wir hatten keine Ahnung, was Schmankerl bedeutet, aber es klang nach Wiener Kaffeestube, also Sachertorte, also super. Und den leuchtenden Augen meiner Mutter nach zu urteilen handelte es sich hierbei definitiv um ein tadelloses Schmankerl, ja, um das Schmankerl aller Schmankerl. Noch besser. Meine Geschwister und ich pulten vorfreudig den rosafarbenen Kleber von der Schachtel und linsten hinein. «Bitte sofort geniessen», stand da, und wir warfen uns euphorische Blicke zu. Die Schmankerl waren nicht nur mustergültige Schmankerl, sie mussten auch noch sofort alle auf einmal verspeist werden!
Genau so.
Gelesen, getan. Die kleinen bunten Baisers schmeckten vorzüglich, weniger nach Wiener Kaffeehaus als nach etwas Feinerem, nach Pastellfarben und Sommer-Anlässen in Parkpavillons.
Die Bezeichnung «Schmankerl» erschien uns aber nach dem Verzehr dieser zarten Köstlichkeiten viel zu hart, gar beleidigend. Wir beschlossen, sie nur noch «Luftgüetzi» zu nennen, was meine Schwester und ich wahnsinnig poetisch fanden. Fortan sahen wir uns veranlasst, die Güezi in absolut jedes Gespräch einzubauen. Die Luxemburgerli – so waren wir überzeugt – verliehen unserem öden Dorfleben die nötige Raffinesse.
Seelenruhig abgekupfert
Natürlich verstand selten jemand, wovon wir die ganze Zeit so schwärmten. Die einzige Confiserie des Dorfes fuhr eher die Konfekt-Schiene – entsprechend ratlos waren demnach auch die Gesichter unserer Freunde, wenn wir über die «Güetzis mit dem gewissen ‹Je ne sais quoi›» referierten. Und umso erstaunter waren wir, als das französische Nachbarskind nickte und unserem elitären Gelaber lapidar entgegensetzte: «Ihr meint Macarons.»
Womit wir beim einzigen Makel dieser Traummakronen wären: Sie sind abgekupfert. Luxemburgerli sind nahezu identisch mit jenem französischen Edelgebäck, an dem sich schon Marie Antoinette überfrass: zwei hauchdünne Baiserscheiben, unter ihrer glatten Oberfläche weich und cremig, mit einer Ganache oder Buttercrème dazwischen. Laut Sprüngli-Erzählung von einem luxemburgischen Konditor 1957 nach Zürich gebracht, während das Haus Ladurée in Paris bereits seit 50 Jahren mit seinen Macarons das grosse Geld machte.
Wieso man nie viel Aufhebens um diese doch sehr verdächtige Ähnlichkeit machte, liegt wohl in der höflichen Zurückhaltung der beiden Edelkonditoreien. Oder in ihrem Erfolg: Wen stören schon ein paar frappante Ähnlichkeiten, wenn sich mit beiden Versionen sauviel Geld machen lässt? Und sollte die Keks-Version nicht mehr rentieren, bleibt immer noch der Fashion-Zweig:
Gestatten: Souliers au macaron.
Allerdings bleibt zu bezweifeln, dass die Verkaufszahlen von Macarons beziehungsweise Luxemburgerli je einen Einbruch erleiden werden – wer schon einmal versucht hat, die locker-flockigen Dinger zu Hause nachzubacken, weiss wovon hier die Rede ist. Locker-flockig sind höchstens die störrischen Mandeln, die sich partout nicht mit dem Eiweiss einigen wollen. Nach 50 Minuten klebrigem Kampf steht man vor unförmigen, rauen Baiserscheiben und weint in die Kluften, die der Dilettantismus in Madame Macarons zarte Oberfläche gerissen hat.
Nach diesem kurzen Gefühlsausbruch bleibt nur eine einzige Option: Man verhält sich sinngemäss («Macarons» kommt vom Italienischen «ammaccare» und bedeutet so viel wie zerquetschen), haut das Blech kurz und klein und schluckt seinen Frust zusammen mit masslos überteuerten Macarons in der Maison Ladurée in der Kuttelgasse in Zürich. Luxemburgerli und Macarons mögen annähernd gleich aussehen – die besseren Luftgüetzi hat aber immer noch der alte Meister.