Reality-TV-Queen Kim Kardashian hat ein Buch veröffentlicht. Ein Buch? Oh ja! Das Ganze besteht aus ihren Instagram-Bildern und alle sagen: so ein Quatsch. Doch sie kaufen es trotzdem.
Wer sich regelmässig im Internet rumtreibt, kommt nicht um diese Bilder herum: Kim mit Kanye West, Kim ohne Kanye West, Kim beim Aussteigen aus der Limo, Kim beim Schminken, Kim von vorne, Kim von hinten. In erster Linie aber Kim von hinten.
Die Rede ist von Kim Kardashian, millionenschwere Reality-TV-Unternehmerin, Gattin von Musiker Kanye West und Frau mit dem wohl berühmtesten Hintern des Universums. Eine «popkulturelle Sonne», um die die Medien kreisen, wie das Online-Magazin Vice den Allerwertesten der 34-Jährigen bezeichnete.
Der Vergleich könnte nicht besser formuliert sein. Kim Kardashians Hintern gehört zum Internet wie das Selfie zum Millennial: Eigentlich beschämend, aber letztlich unverzichtbar. Und genau hier dockt La Kardashian an.
Nabelschau in boring
«Selfish» heisst der neuste Streich der Amerikanerin und ist eine analog gewordene Internet-Nabelschau: 300 Bilder, mehrheitlich von Kardashians Gesicht oder Hintern, sind hier vereint. Eine Sammlung aus ihrem Instagram-Account, verpackt in so ungefähr das Langweiligste, was an Publikation möglich ist: Ein «Coffee Table Book». Ein Deko-Buch, das man sich auf den kleinen Tisch vors Sofa stellen kann, ohne bestechenden Inhalt, bestehend nur aus Fotos und kurzen Kommentaren des Stars.
«Selfish» ausverkauft? Dieses DIY-Vine zeigt, wies auch ohne Kauf geht.
Überflüssiges von einer exaltierten Frau, denken wir alle, kann man kübeln. Jetzt ist es aber so, dass «Selfish» am 5. Mai erschienen und laut der Basler Buchhandlung Bider und Tanner bereits in der Schweiz, in Deutschland, in Grossbritannien und in den USA vergriffen ist. Wartezeit drei Wochen.
Wer hat all diese Bücher gekauft? Der Punkt ist, man will selber auch eins. Nur mal reingucken! Das geht auch den Feuilletons so. Besonders lustig ist es in der «Zeit». Der Autor schreibt über Kim Kardashian, redet aber die meiste Zeit über Julia Kristeva und Georges Bataille. Man braucht recht lang, den Artikel zu lesen, weil er Theorien referiert, und wenn man eindämmernd durchgekommen ist, hat man schon vergessen, dass es eigentlich um Kim Kardashian geht, die der Autor natürlich kritisiert. Behandeln will er das Phänomen unbedingt, aber es löst einen Kritikhagel bei ihm aus. Sozusagen: Je bekloppter der Gegenstand, desto höher die zitierte Literatur.
Eine «höhere Verbindung zum Medium Fotografie»
Kim selbst ist da natürlich auch nicht ganz ehrlich. Zwar sind ihre Instagram-Bilder ziemlich züchtig, verglichen mit den Fotostrecken, die man sonst von ihr im Netz findet. Gerade vor ein paar Tagen ist wieder eine heisse Wüstenszene mit ihr aufgetaucht, mit weisser Kalkfarbe auf nackter Haut. Aber ehrlich wäre doch, wenn sie sagen würde: Ich finde geil, dass ihr mich geil findet.
Stattdessen gibt es in ihrem neuen Buch kleine handgeschriebene Texte, die vor allem davon handeln, wie wichtig und alltäglich Make-up-Artists für sie geworden sind. Und weiter geht es darum, wie wichtig Fotos für sie sind: Wenn sie eines sehe, wisse sie immer gleich, wo, mit wem und wann das gewesen sei. Kim Kardashian fühlt eine höhere Verbindung zum Medium Fotografie. Und aus diesem Grund, soll man irgendwie glauben, der ganze Trubel.
Letztlich sind all diese Legitimationsversuche für die Katz, sowohl von Kritikern wie auch von Kardashian selbst. Letztlich ist die Antwort auf die Frage, wieso Kim Kardashian die Welt jetzt auch noch mit 300 Bildern ihres makellosen Gesichts in Form eines mittelmässig produzierten Coffee-Table-Buches zumüllen muss, nämlich ganz simpel: Because she can.
Wo Kim auftaucht, schiessen die Klickzahlen in die Höhe, die berühmte Fotostrecke im «Paper»-Magazin, wo Kim ihren eingeölten Körper der Welt präsentierte, ist wohl das imposanteste Beispiel. Laut den Herausgebern des Magazins zeigte der Datenverkehr auf der Webseite einen Tag nach Veröffentlichung der Bildstrecke ganze ein Prozent der gesamten Internetaktivität von Usern aus der USA an. Kurz: Ein Prozent aller Menschen, die an jenem Tag im Internet surften, waren auf dieser Webseite gewesen und hatten sich Kims Arsch angeschaut. Das muss erst mal einer schaffen.
Kraptrashian in Aktion
«Selfish» ist kein gewöhnliches Buch. Es ist die Verleiblichung eines Internetphänomens mit 32 Instagram- und 31 Millionen Twitter-Followern, ein weiteres Produkt der Marke Kardashian, bei der fast die ganze Familie von Kim mitmischt. Eine sorgfältig orchestrierte Marketingstrategie, die Fans und Hater gleichermassen anspricht (je mehr man die «Kraptrashian», wie Kim von ihren Kritikern genannt wird, hasst, desto mehr setzt man sich nämlich mit ihr auseinander, klassische Aufmerksamkeitsverteilung). Letztere machen ihrem Hass besonders in den Kommentaren auf Amazon Luft:
Ob Lover oder Hater – gekauft habens augenscheinlich trotzdem alle.
Dass die Feuilletons damit hadern, sich eine schlüssige Erklärung für diesen narzisstischen Erguss zusammenzuschustern, war zu erwarten: Hier geht es weder um Kunst noch um Wissenschaft, es geht ums Internet. Internetviralität bewegt sich jenseits künstlerischer Parameter, es gibt keinen klar ausgeschilderten Weg zum Web-Olymp, mal sind es geschminkte Hunde, mal getrocknete Bananen. Wer es jedoch einmal hochgeschafft hat, kann sich vieles leisten. Auch ein Buch, das nur aus Selfies besteht. 32 Millionen Instagram-Follower können nicht irren. Auch nicht in der analogen Welt.
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Kim Kardashian West: «Selfish», Rizzoli, 445 Seiten.