Nach dem Babyphone kommen nun die Baby-Wearables. Zum Beispiel Baumwollstrampler mit integrierten Sensoren und moderner Dockingstation. Ein Fortschritt – oder eine weitere Aushöhlung der Privatsphäre?
Frisch gebackene Eltern plagt die Angst, das Schreien ihres Babys zu überhören. Darum stehen Babyphones meist ganz oben auf der Einkaufsliste. Mit einem solchen Gerät können sich Eltern um ihr Kind kümmern, auch wenn dieses in einem anderen Zimmer schläft.
Doch Babyphones sind von gestern. Eine neue Generation von Wearables (tragbaren Computern) verspricht, die Schlafgewohnheiten von Babys zu erfassen – und Eltern mehr Schlaf zu gewähren.
Anders als Babyphones oder Baby-Monitore werden Wearables, wie der Name sagt, direkt am Körper getragen. Die Geräte können alles aufzeichnen – vom Herzschlag über die Körpertemperatur bis hin zum Sauerstoffgehalt im Blut.
Zum Beispiel der MIMO Baby Monitor. Das System besteht aus einem Strampler mit integrierten Sensoren, der kontinuierlich die Baby-Atmung misst. In Verbindung mit dem Gerät Turtle können zusätzlich die Temperatur, Körperlage und Bewegungsaktivitäten des Säuglings überwacht werden. Der froschförmige Sensor aus dem 3D-Drucker wird einfach um den Kimono geschnallt. Die Daten werden via Bluetooth an die Basisstation Lilypad übertragen.
(Bild: mimobaby.com)
Das Lilypad besitzt überdies ein Mikro, mit dem die Geräusche des Smartphones «gestreamt» werden können. Die Smartphone-App, mit der die Daten ausgelesen werden, zeigt das Schlafverhalten der letzten 24 Stunden an. Zum Beispiel: «9,5 Stunden wach, 14,5 Stunden geschlafen, Sauerstofflevel: 98 Prozent». Die Atmung erscheint in Wellen wie eine Audio-Datei, eine Grafik zeigt an, wann sich das Baby auf den Bauch gedreht hat.
Die Supernanny kann auf dem Smartphone in Echtzeit alles nachverfolgen. Die Kontrolle hat freilich ihren Preis: Der MIMO Baby-Monitor kostet 200 Dollar.
Electro-Trend, Baby
Tragbare Computer liegen voll im Trend. Die Nachfrage steigt stetig. Bis 2018, so schätzt die International Data Corporation (IDC), sollen 19 Millionen Wearables auf dem Markt sein.
Eine Gruppe von ehemaligen Apple- und Google-Mitarbeitern hat einen Baby-Monitor namens «Sproutling» entwickelt. Das kleine Band, das wie eine elektrische Fussfessel am Schienbein des Babys befestigt wird, erfasst mithilfe eines Sensors Herzfrequenz, Hauttemperatur und Liegeposition des Kleinkinds und sendet die Daten an ein Smartphone. Per App kann der Zustand des Babys überwacht werden: Wie tief schläft mein Kind? Ist es wach? Dreht es sich auf den Rücken?
Werbeclip für den Sproutling Baby-Monitor:
Ähnlich funktioniert der Owlet Baby Monitor: Ein Neopren-Socken, der dem Kleinkind an den Füssen wie eine Pantoffel angezogen wird, überwacht die wesentlichen Körperfunktionen. Mit Hilfe eines kleinen LED-Lichts misst der Sensor die Herzfrequenz und den Sauerstoffgehalt des Blutes. Bei Gefahr schlägt das Gerät Alarm.
Die Socke wird gleich in verschiedenen Grössen mitgeliefert, so dass das Baby-Wearable auch wachstumsbegleitend eingesetzt werden kann. Aus den aggregierten Daten lassen sich wiederum Muster über das Schlafverhalten der Säuglinge ableiten. Wann schläft das Kind gut, wann schlecht? «Smart Parenting» soll Eltern die Fürsorge erleichtern.
Ein technisches Problem besteht allerdings darin, dass die Geräte nicht immer korrekt messen. Der Schlafsensor MonBaby etwa verwechselt häufig Bauch- und Rückenlage. In einem Beitrag für die Fachzeitschrift BMJ kritisierte der britische Mediziner David King, dass Baby-Wearables Eltern «ein falsches Gefühl von Sicherheit» vermitteln würden. So könnte das Risiko eines plötzlichen Kindstods (SIDS) nicht verringert werden.
King verweist in seinem Artikel darauf, dass die Produkte keine klinischen Tests durchlaufen hätten. Die Produkte werden denn auch primär als Konsumgüter und nicht als medizinische Geräte verkauft. Das Problem ist zudem, dass Eltern mit den Daten nicht unbedingt etwas anfangen können. Was bedeutet es, wenn der Herzschlag bei 90 oder 120 liegt? Zur korrekten Anwendung bedürfe es eigentlich einer Schulung der Aufsichtspersonen, konstatiert Pädiater King.
Denkbar wäre etwa, dass die Daten an den Kinderarzt übermittelt werden. Von da an haben Eltern keine Kontrolle mehr über die Daten.
Die zentrale Frage lautet: Was passiert mit den Daten? Weder Sproutling noch Owlet haben sich bislang dazu geäussert. Lediglich Mimo stellt klar, dass die erfassten Daten (auch die Audiodaten) vom Transmitter direkt an die Ladestation und von dort an die Cloud gestreamt werden.
Das Online-Portal baby-wearables.de schreibt dazu: «Die kleine Schildkröte (Mimo, die Redaktion) wird zur Wanze im Kinder- oder Elternzimmer.» Die «Statistiken» (sic!) des Babys können mit anderen Personen «geteilt» werden, heisst es auf den Herstellerseiten – ganz so, als ob es sich um den Heizverbrauch einer Wohnung handelt.
Denkbar wäre etwa, dass die Daten an den Kinderarzt übermittelt werden. Von da an haben Eltern keine Kontrolle mehr über die Daten. Und eine Gewähr, dass diese nicht an Krankenkassen weitergegeben werden, gibt es nicht. Wer als Kind einen unruhigen Schlaf hatte, muss vielleicht später mehr Beiträge bezahlen, weil er oder sie ein erhöhtes Herzinfarktrisiko hat. Die Sammelwut macht selbst vor Kinderbetten nicht Halt.
Die Vorstellung, dass kleine Babys von Computern überwacht werden, ist befremdlich. Als ob es nicht schon reichte, dass die heute Geborenen genügend Daten von sich preisgeben werden, werden sie auch in ihrer Kindheit von Haut bis Haaren quantifiziert. Nach Quantify Yourself folgt nun: Quantify your Baby. Eltern hegen eine Obsession, Daten über ihre Kinder zu sammeln.
Es hat etwas Nannyhaftes. Der Kinderarzt Andreas Busse schrieb den wunderbaren Satz: «Es gibt nichts, was man bei einem gesunden Baby speziell überwachen müsste! Bitte halten Sie sich einfach an die Empfehlungen der ‹Aktion Sicherer Babyschlaf› und haben ansonsten Vertrauen in das normale Leben, das nicht ständig nur bedrohlich ist.»