David Bowie in Songs: Ch-ch-ch-ch-changes!

Er war wandlungsfähig wie kaum ein anderer Popmusiker. An diesem traurigen Tag erinnern wir an seine Figuren, seine Songs, seine grosse Kunst. David Bowie starb kurz nach seinem 69. Geburtstag an Krebs. Wir erinnern an Highlights aus dem Schaffen dieses wandlungsfähigen Stars der Popgeschichte. 1. Space Oddity/Ashes To Ashes «Ground Control to Major Tom»: 1969 […]

Er war wandlungsfähig wie kaum ein anderer Popmusiker. An diesem traurigen Tag erinnern wir an seine Figuren, seine Songs, seine grosse Kunst.

David Bowie starb kurz nach seinem 69. Geburtstag an Krebs. Wir erinnern an Highlights aus dem Schaffen dieses wandlungsfähigen Stars der Popgeschichte.

1. Space Oddity/Ashes To Ashes

«Ground Control to Major Tom»: 1969 gelang Bowie mit «Space Oddity» der grosse Durchbruch. Die ganze westliche Welt feierte euphorisch die erste Mondlandung, als der britische Singer-Songwriter einen dramatischen Kontrapunkt setzte. «Space Oddity» ist ein musikalisches Drama um einen Astronauten, der im Weltall verloren geht und via Funk dem Bodenpersonal («Ground Control») mitteilt: «Tell my wife I love her very much, she knows!» Hier eine Live-Version, die er drei Jahre später unter dem Alter Ego Ziggy Stardust mit seinen Spiders Of Mars auf die Bühne brachte.

1980 griff Bowie das Thema wieder auf: Hatte das Bodenpersonal Major Tom 1969 noch empfohlen, seine Proteinpillen zu schlucken, so schien er sich nun selbst verloren zu haben, war ein Junkie, «strung out in heaven’s high, hitting an all-time low.» Bemerkenswert nicht nur die Fortsetzung der Geschichte (die Bowie 1995 mit dem astronautischen «Hallo Spaceboy» noch einmal weiterführte), bemerkenswert auch das musikalische Arrangement (insbesondere der markante Slap-Bass von George Murray) sowie der dazugehörige Videoclip. Hierfür liess sich Bowie, stets bestens informiert über neue Trends, von der angesagten und überaus bunten Londoner New-Romantic-Bewegung inspirieren.

 

2. Changes

Dieses Lied findet sich auf einem seiner stärksten Alben überhaupt: «Hunky Dory» aus dem Jahr 1971. Die BBC definierte das Werk einst als «Mischung aus einem Broadway Musical und einem Gemälde von Salvador Dalì». Ähm … okay!

«Hunky Dory» markiert den Beginn von Bowies Glamrock-Phase, enthält es doch neben dem wunderbaren «Changes» auch die sensationelle Ballade «Life On Mars?» oder den Midtempo-Song «Oh, you pretty things». «Changes» kann auch exemplarisch für das künstlerische Konzept von Bowie verstanden werden: Begann er seine Karriere als langhaariger Folkie, so schlüpfte er im Lauf der Jahre fortwährend in neue Rollen und überraschte sein Publikum mit seinen Looks, Alter Egos und seinen wandlungsfähigen Sounds.

3. Young Americans

1974 zog sich Bowie aus der Glamrock-Szene zurück, begrub seine Kunstfigur Ziggy Stardust, entliess seine Begleitband, die Spiders Of Mars, und kehrte seiner britischen Heimat den Rücken. Am ersten Abend seiner Aufnahmesessions in den USA nahm Bowie «Young Americans» auf. Ein Lied, mit dem er einmal mehr überraschte – bezog es sich doch nicht nur inhaltlich sondern auch musikalisch deutlich auf seine neue Wahlheimat: Philly-Soul statt Rock, Funk-Phrasierungen statt harte Gitarrenriffs dominierten darauf das Klangbild, hinzu kamen afroamerikanische Chöre im Background-Gesang (darunter auch Luther Vandross). Mit dem Lied wühlt Bowie in Amerikas Geschichte (Do you remember, President Nixon?) und integriert gegen Schluss nebst einer selbstreferentiellen Anspielung («Wam Bam Thank You Ma’am» aus «Suffragette City») auch einen Verweis auf die Beatles: «I heard the news today, oh, Boy» aus «Day In The Life».

4. Fame

Nachdem «Young Americans» abgemischt worden war, traf Bowie in New York John Lennon, den er kurz zuvor noch zitiert hatte (siehe Text oben). Gemeinsam mit dem ex-Beatle nahm er «Fame» auf, das von Carlos Alomars funky Gitarrenriff angetrieben wurde. Der knochentrockene, kompromisslose Funk mit den repetitiv eingesetzten Mustern gehört zu den wenigen Songs, mit denen Bowie aufs Tanzparkett drängte. Den grössten Disco-Hit erzielte er 1983, als er unter der Ägide von Nile Rodgers (Chic) «Let’s Dance» aufnahm, sein kommerziell erfolgreichstes Album.

5. Warszawa

Bowie lebte Ende der 70er-Jahre im West-Berliner Stadtteil Schöneberg. Der kalte Krieg, die bedrohliche Atmosphäre und sein eigener Zustand – er litt an Depressionen, Angstzuständen und Drogenabhängigkeiten – schlugen sich in seiner Musik nieder. Begeistert von den elektronischen Klängen der Düsseldorfer Pioniere Kraftwerk schuf Bowie gemeinsam mit Brian Eno (ex-Roxy Music) und Produzent Tony Visconti ein Synthesizer-lastiges Album, das seine Plattenfirma schockierte: Wie sollte sich diese experimentelle Musik verkaufen? Die Veröffentlichung wurde monatelang hinausgezögert. 1977 erschien schliesslich «Low». Das beklemmende, radikale Album enthielt keinen Single-Hit, ist meiner Meinung nach aber in seiner Vollendung und Kompromisslosigkeit eines seiner stärksten Werke. Vielleicht das grösste Kunst-Stück im eigentlichen Sinne, das Bowie je schuf. Seinen Auftritt in Montreux, ca. 2002, werde ich alleine deshalb nie vergessen, weil er nach 90 Minuten hinter dem Vorhang verschwand, mit seiner Band zurückkehrte, die Worte «Ladies and Gentlemen: Low» sprach und zur Überraschung aller 4500 Besucher das gesamte Album als Zugabeblock spielte. Ein magischer Augenblick.

6. Helden

Bowie ist gelegentlich als Filmschauspieler in Erscheinung getreten. Noch öfter aber war er in Filmen zu hören. Ein bemerkenswertes Beispiel: «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo» aus dem Jahr 1981. Buch und Film über das Gassenleben der Teenagerin Christiane F. sorgten damals in unserem Sprachraum für Gesprächsstoff bei Schülern, Eltern und Lehrern. Schockierend. Aufrüttelnd. Erstmals erfuhr eine breite Öffentlichkeit, was sich rund um den Ku’damm und den Berliner Bahnhof Zoo abspielte, wohin die Heroinsucht unmündige Kinder trieb. Eindringlich auch Bowies Musik, der eigens für die Verfilmung seinen Song «Heroes» mit einem deutschen Text anreicherte. Beinahe durchgehend jault übrigens ein herrliches, stilbildendes Gitarrenfeedback von Robert Fripp. Er wurde 1969 mit King Crimson berühmt – mehr dazu erfahren Sie hier.

7. I’m Afraid Of Americans

In den 90er-Jahren erfand sich Bowie abermals neu: Nachdem ihm zuerst eine Liebäugelei mit Hip-Hop misslungen war («Jump They Say», ach du meine Güte, nicht die Verlinkung wert!) integrierte er überzeugend Elemente von Industrial und Drum’n’Bass in seinen Sound. Nachzuhören im wirbligen Stück «Little Wonder». Wir entscheiden uns aber für «I’m Afraid Of Americans», das er mit Brian Eno schrieb und von Trent Reznor (Nine Inch Nails) remixen liess. Einmal mehr traf er mit diesem Song und dem Album «Earthling» den Nerv der Zeit.

Bonustrack: ★ («Blackstar»)

Sein letzter innovativer Wurf gelang ihm erst vor wenigen Wochen: Mellotron- und Harfenklänge, singende Gitarren und Schlagzeug-Breakbeats: Für die neuen Songs löste er sich von langjährigen Bandmitgliedern und verpflichtete bewusst junge junge New Yorker Jazzmusiker. So wollte er vermeiden, ein selbstreferenzielles Werk zu schaffen. Mit ★, dem Vorboten seines letzten Albums, schuf Bowie einmal mehr ein Kunststück – und überraschte damit die Musikgemeinde. Im Video, das zwischen Fantasy-Kitsch und dunkler Bedrohlichkeit changiert, gibt er sich als Meister der Irritation und Inszenierung.

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