Deplatzierte Gedanken zum Volksentscheid

Wenns im Halse juckt: ein offener Brief zum Schweizer Volksmehr zur SVP-Zuwanderungsinitiative. Schon aus therapeutischen Gründen ist es nicht ratsam, alles runterzuschlucken, was einem tagtäglich in den Hals gestopft wird. Hin und wieder ist es aus psychohygienischer Sicht angezeigt, den ganzen Rotz hochzuziehen und aufs Trottoir zu pfeffern. Das sei hiermit in einem offenen Brief […]

Schweizer Volksabstimmungen zu Migrationsfragen können Übelkeit hervorrufen.

Wenns im Halse juckt: ein offener Brief zum Schweizer Volksmehr zur SVP-Zuwanderungsinitiative.

Schon aus therapeutischen Gründen ist es nicht ratsam, alles runterzuschlucken, was einem tagtäglich in den Hals gestopft wird. Hin und wieder ist es aus psychohygienischer Sicht angezeigt, den ganzen Rotz hochzuziehen und aufs Trottoir zu pfeffern.

Das sei hiermit in einem offenen Brief anlässlich des Volksmehrs zur Masseneinwanderungsinitiative getan:

Liebe Ja-Sager im Waldenburgertal: Ich habe volles Verständnis für eure Bedenken über die grosse, unregulierte Zuwanderung in die Schweiz. Eure Bevölkerung hat ja in besorgniserregendem Masse zugenommen. Wanderten Ende 2007 nach der Einführung der Personenfreizügigkeit noch 15’589 Seelen durch euer schattiges Tal, waren es es im dritten Quartal 2013 bereits 15’701.

Mehr zum Abstimmungsresultat und seinen Konsequenzen auf unserer Themenseite zur Einwanderungsinitiative.

Das entspricht einem prozentualen Wachstum von 0,71 Prozent. Dichtestress-Alarm! Kein Wunder waren 60 Prozent von euch für die SVP-Initiative. Geht ja auch nicht an, dass die vielen Ausländer in eurem Bezirk von den 11,2 Millionen Franken Ausgleichszahlungen profitieren, die ihr Jahr für Jahr den fleissigeren Gemeinden im Kanton aus der Tasche zieht. 

Aber tut mir doch einen Gefallen, liebe Waldenburger Patrioten. Ihr seid ja offenbar nicht auf die Unternehmen weiter unten angewiesen, und auf die Arbeitsleistung, die von ausländischen Fachkräften und Grenzgängern erbracht wird. Also bleibt doch einfach dort oben und schaut dem Moos zu, wie es eure Zukunft zuwächst. Alternativ empfehle ich bei der nächsten Migrationsabstimmung, der schon vor Jahren von einem weisen Mann namens Carlos Varela geäusserten Aufforderung nachzukommen (ab 0:57):

An die empörten bzw. schockierten Sozialdemokraten: Man darf nicht insgeheim auf ein knappes Nein hoffen und die Füsse hochlegen im Abstimmungskampf, weil man sich für besonders clever hält und sich so bessere Karten für die Mindestlohninitiative und stärkere flankierende Massnahmen verspricht. Sich im Nachhinein über all jene zu beklagen, die nicht an die Urne gegangen sind, währenddessen man selber davon ausging, die Economiesuisse-Millionen würden es schon richten, ist erbärmlich. Ihr habt den Arsch nicht hochgekriegt!

An unsere liberalen Wegbereiter: Schade, hat das nicht geklappt, die ganze Fremdenfeindlichkeit eurer Klientel auf die Flüchtlinge abzuwälzen, die von euch – hart aber fair, selbstverständlich – immer tiefer in den Dreck getreten werden. Wer unablässig propagiert, es sei oberste Bürgerpflicht, den eigenen Profit zu maximieren, darf sich nicht wundern, wenn die Kollegen im mittleren Kader zum Schluss kommen, «ohne den Deutschen da komm ich schneller aufwärts».

An die besorgten Naturfreunde im Komitee der Ecopop-Initiative: Grün predigen bedingt grün leben. Herr Büeler, jetzt aber schleunigst ausziehen aus Ihrem Einfamilienhaus am bewaldeten Hügel in Winterthur und in die Stadt runter siedeln. Auch Ihnen, Frau Wirth, mag ich die Villa im Swimmingpool-Geviert von Buchberg (SH), umgeben von Wald und Wiesen, Eichhörnchen und Rehkitzlein von ganzem Herzen gönnen. Nur: Ganz dünne Legitimation, von anderen den Verzicht und Landschaftsschutz einzufordern und selber das Gegenteil vorzuleben.

Würden auch Sie sich nur ein wenig begrenzen, Herr Ecopopler Zollinger von der SVP, und nicht im Prachtshaus am Siedlungsrand von Würenlos, sondern in einem Block in Aarau wohnen, wo Sie arbeiten, würden unsere Ressourcen noch ein gutes Stück weiter reichen und die Autobahnen von einem BMW X3 befreit. Achja: Ihre Fantasie, den dummen Negerlein im Busch vorzuschreiben, wie und in welchem Ausmass sie sich fortpflanzen sollen, erinnert mich an das hier.

Liebe Fusionsfreaks: Jetzt mal ehrlich, für die Region sollte gelten, was für die Schweiz nie galt. Der Willen, die Werte verbinden. Nicht der Heimatort. Wenn die nicht wollen, dann wollen sie nicht – und ganz ehrlich: Ich will auch nicht. Vielleicht lassen sich ja die Aargauer erweichen und gleichen euer finanzielles und kognitives Defizit aus, ihr aufrechten Oberbaselbieter. Die Genfer, die Waadtländer, die Jurassier stehen den Baslern, den (meisten) Arlesheimern im Geiste näher. Schon kulturell ist das eine ganz andere Liga, liebe Böcktener und Bucktener.

Zu guter Letzt ein Wort an euch, ihr wackeren Landesverteidiger von der SVP und deren 50,3 Prozent starke Schweizer Gefolgschaft. Ich sehe die Vorteile des Entscheids ja auch, jetzt muss man der etwas zu forschen Bedienung mit dem Thüringer Klang kein Trinkgeld mehr geben, da sie nach einem Monat eh heim muss.

Keine Sorge, auch das Verhältnis mit der Europäischen Union lässt sich wieder richten. Man muss mit Herrn Kommissionspräsident Barroso nur mal an den Tisch sitzen, eine Runde Stangen bestellen und einen Differenzler klopfen, dann findet man sich: Jetzt pass mal gut auf, Manuel, wir haben direkte Demokratie. Da darf man Verträge brechen und die Regeln neu zusammenschustern, um sich alle Vorteile zu sichern. Da darf man euch den Stinkefinger zeigen. Ob dir das nun passt oder nicht, Manuel. Ihr wollt uns ja eh nur die ganzen Rumänen und Bulgaren in ihren Burkas aufhalsen, ihr fremden Richter und fremden Vögte und elitären Intellektuellen.

Hmm. Kann sein, dass das so ausgeht. Gibt es noch so etwas wie eine höhere Gerechtigkeit, läuft es anders ab. Dann darf die Schweiz ihre Asylbewerber nicht mehr flugs nach Italien und Griechenland abschieben. Dann kann sie sich den bevorzugten Zugang zum Binnenmarkt an den Hut stecken. Kann sie ihre Ärzte und Ingenieure wieder selber ausbilden. Muss sie sich, wenn ein toller Bankjob in London winkt, hinten anstellen.

Aber das ist ja nicht euer Problem, liebe SVP’ler. Gefordert ist ja jetzt der Bundesrat – wie immer bei euren Geisteszuckungen tragt ihr null Verantwortung. Eure Rolle ist es, wachsam zu sein, dass alles getreu dem Initiativtext (also nach Belieben angreifbar, da beliebig formuliert), umgesetzt wird. Ganz schön schlau.

Wenn ihr Pech habt, fallt ihr auch mal ins Gülleloch, das ihr ausgehoben habt. Und erinnern sich die Leute dereinst daran, wer es nochmals war, der dafür gesorgt hat, dass sie ihren Job verloren haben.

Andrerseits: Dann wird auch wieder der Asylant schuld sein.

Disclaimer: Dieser Schrot&Korn-Beitrag wurde der Wemf zur Beglaubigung vorgelegt und liegt auch am Flughafen Zürich auf. Es gilt der Gerichtsstand Basel-Stadt.

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