Der Blick ins finstere Herz der Menschen

Der britische Regisseur Ridley Scott wird am 30. November 75 Jahre alt. Mit «Alien», «Blade Runner» oder «Thelma & Louise» gelangen ihm Filme, die unvergesslich geblieben sind. Sein Blick ins finstere Herz der Menschen wühlt heute noch auf: Eine Liste seiner 7 eindrücklichsten Werke. Ridley Scott war ein Spätstarter in der Filmbranche, seinen ersten Kinofilm […]

Blickt in die Abgründe der Menschen: Filmregisseur Ridley Scott.

Der britische Regisseur Ridley Scott wird am 30. November 75 Jahre alt. Mit «Alien», «Blade Runner» oder «Thelma & Louise» gelangen ihm Filme, die unvergesslich geblieben sind. Sein Blick ins finstere Herz der Menschen wühlt heute noch auf: Eine Liste seiner 7 eindrücklichsten Werke.

Ridley Scott war ein Spätstarter in der Filmbranche, seinen ersten Kinofilm drehte er erst 1977 im Alter von 40 Jahren, aber gleich seine zweite und dritte Arbeit entwickelten sich zu Wegweiser im einem Genre, das abgesehen von Ausnahmen wie Stanley Kubricks «2001» erzählerische und psychologische Tiefe hinter dem Spektakel vermissen liess: Science Fiction. «Alien» 1979 und «Blade Runner» 1982 beschränkten sich nicht auf eine ins All verlagerte Kriegsschlacht im klassischen Dualismus zwischen Gut und Böse, sondern webten vor einem dystopischen Hintergrundszenario Fragen zur menschlichen Identität ein und versetzten den urmenschlichen Horror vor dem Fremden tief hinein in die menschliche Psyche.

Die Konfrontation zwischen Mensch und Ausserirdischen hat Scott jüngst in «Prometheus» wieder aufgegriffen, in dem er das Alien-Motiv mittels antiker Mythologie zur Ursprungsgeschichte des Menschen hochstilisiert. Überschaut man Scotts Filme, tritt indes ein anderes Thema konzeptuell hervor: ob in Historienfilmen «1492» oder «Kingdom Of Heaven», in seinen grimmigen Charakterstudien «Robin Hood» und «American Gangster» oder in der Science Fiction – zentral in Scotts Blick bleibt eine Entwicklungsgeschichte, die zuverlässig ins finstere Herz der Menschen führt. Weil Scott zwar auch Blockbusterfilmer ist, entgehen seine geprüften Helden in der Regel dem drohenden Untergang in die Verkommnis, jedoch mehrheitlich nur durch den letzten Ausweg – den Tod.

Ist die düstere, manchmal ganz und gar unheldenhafte Epik das erzählerische Stilmittel seiner besten Filme, glänzt Scotts Ruf indes vor allem durch die visuelle Ästhetik. Bevor er ins Kino wechselte, arbeitete er jahrelang als Werbefilmer, dort hat er gelernt, wie man eindrucksvolle Bilder in ökonomisch stimmigem Rahmen herstellt. Von den Produzenten wird er geschätzt, weil er fristgerecht Bilder liefern kann, die, falls notwendig, auch eine dürre Geschichte zur übermenschlichen Grösse stemmen. Am Freitag, 30. November, wird Scott 75 Jahre alt. Mittlerweile wurde er von der Queen für sein Schaffen zum Sir erhoben. Geadelt haben dürften ihn unter anderem die folgenden sieben Filme.

1. The Duellists (1977)

Für sein Debüt nahm es Ridley Scott gleich mit monumentalem Stoff auf: «The Duellists» spielt zur Zeit Napoleons, aber die Kriege des Korsen und das Desaster seines Russlandfeldzuges bilden nur die Kulisse für die Fama einer persönlichen Fehde, die die beiden Protagonisten fast ihr ganzes Leben lang verfolgt und nahezu vernichtet. D’Hubert und Feraud, zwei Offiziere der napoleonischen Armee, geraten durch ein Missverständnis aneinander und verabreden sich zum Duell. Der eine wird verwundet, der andere lässt von ihm ab, was der erste als Ehrverletzung auffasst und die folgenden Jahre vom verbissenen Furor verfolgt wird, die Scharte auszuwetzen. Entlang Napoleons Feldzügen über Deutschland bis ins Zarenreich treffen D’Hubert und Feraud immer wieder aufeinander, stets will Feraud die Gelegenheit zur Revanche nutzen, stets misslingt sie ihm. Am Ende, nach Napoleons Sturz, endet er in Armut und Bitternis und nimmt erst nach einem letzten Duell, in dem er wieder unterliegt, die Gnade seines Gegenübers an. Thematisch nimmt Scott hier den verbissenen Kampf zweier Kontrahenten, der nur durch ein Zeichen der Menschlichkeit und ein demütiges Opfer – hier das Ehrempfinden Ferauds – beendet werden kann und der als Motiv in späteren Filmen wieder auftaucht, vorweg. In «The Duellists» zeigt sich der Regisseur jedoch auch bereits als Gestalter einer mit der Handlungsatmosphäre eindrücklich korrespondierenden Bilderwelt.

 

2. Alien (1979)

Scotts erster Science-Fiction-Film hat nicht nur im Kino, sondern auch im Sprach- und Bildgebrauch Massstäbe gesetzt: Seither hat sich der Begriff des Alien, im ursprünglichen Wortsinn ein Fremder, Ausländer, als Synonym für Ausserirdische eingebürgert, von Spielbergs «Extraterrestrials» spricht keiner mehr. Entworfen hat das Weltraummonster der Schweizer H.R. Giger, der damit die Charakteristika der Gestalt – ein reptilartiger Humanoider mit verlängertem Hinterkopf – über den Film hinaus festigte. «Alien» gilt als erster Actionfilm mit einer Frau in der Hauptrolle (Sigourney Weaver) und hat das Genre anspruchsvoll über die Weltraumspielerei erweitert: atmosphärisch gehört er in den Bereich des Horror und des Thrillers. Das offene Ende bot Fortsetzungen nahezu an, die im Unterschied zu anderen Filmreihen nicht abfielen. Verantwortlich dafür waren Regisseure, die Scotts Arbeit nicht kopierten, sondern zu erweitern vermochten: James Cameron, David Fincher, Jean-Pierre Jeunet.

 

3. Blade Runner (1982)

Vor dem Hintergrund einer Hadeslandschaft, einer kaputten zukünftigen menschlichen Zivilisation, hat Scott die Erzählung «Do Androids Dream Of Electric Sheep?» von Philip K. Dick derart bildgewaltig ins Kino überführt, dass «Blade Runner» nach schwachen Kassenresultaten mit der Zeit zum Kultfilm avancierte. Harrison Ford spielt den Blade Runner Rick Deckard, ein Android, der im Moloch Los Angeles des Jahres 2019 auf der Erde andere Androiden finden und, da sie eine Bedrohung für die Menschen darstellen, töten muss. Der Kern der Geschichte ist schnell erzählt, tiefer wirkt das philosophische Thema, das Autor Dick entwarf und sich ebenfalls mit der menschlichen Urangst vor dem Fremden auseinandersetzt, das diesmal nicht als Horrorgestalt, sondern undercover als kaum zu unterscheidendes Replikat daherkommt. Scotts Bildpanorama, sein alptraumhaftes Zukunftsdesign einer verrosteten Welt, in der Futurismus und verstümmelte Tradition postmodern ineinander vermauert sind, sowie sein düster inszeniertes und von Fritz Langs «Metropolis» inspiriertes soziales Gefüge als faschistoides Kontrollsystem haben den dystopischen Science-Fiction-Film visuell definiert. Diese Prägung wirkte auf den Film selbst: «Blade Runner» kam Jahre später, nachdem er in Fankreisen grosse Berühmtheit erlangte, in einer umgestalteten Version nochmals ins Kino – und war sofort erfolgreich.

4. Thelma & Louise (1991)

Zwei Frauen, die von ihrem Leben mit einem tyrannischen Ehemann und einem perspektivenlosen Dasein als Kellnerin die Schnauze voll haben, fahren in einem Cabrio über die amerikanischen Strassen, treffen Männer, rauben einen Laden aus und rasen den Cops davon. Was als genretreues Road-Movie und den dazugehörigen Subthemen Freiheit, Selbstfindung und einem Lebensneustart bei Null angelegt ist, entwickelt sich zu einem Thriller mit Elementen einer tragischen Komödie. Der besondere Dreh von Scotts Film liegt in der Figurenwahl: mit Susan Sarandon und Geena Davis in den Hauptrollen hat Scott das traditionell männlich dominierte Genre der modernen Cowboys mit Karre und Knarre feministisch umgedeutet. Thelma und Louise sind auf der Flucht vor den Regeln der Männerwelt und der ihr eigenen Brutalität – vor Vergewaltigern, verführerischen Betrügern (Brad Pitt in einer seiner frühsten Rollen) und der Staatsmacht. Am Ende bleibt den beiden Freundinnen nur die Kapitulation oder der endgültige Schritt hinaus aus der Welt, vor den Klippen des Grand Canyon. «Thelma & Louise» wurde seither oft kopiert und in Serien wie «Seinfeld» und «Die Simpsons» parodiert, hat aber sein nachdenklich stimmendes Charisma auch nach zwanzig Jahren bewahrt, dank den schauspielerischen Leistungen von Sarandon und Davies sowie dem geschickt gesetzten Stilmittel, das einen Road-Movie ausmacht: Tempo.

 

5. Gladiator (2000)

Die Rückkehr der Sandale ist kein Film für Liebhaber des Autorenkinos, sondern ein gewaltiges Theater über Macht, Verrat, Rache und Opferbereitschaft. Russell Crowes physisch-heroische Präsenz als Cäsaren-Dauphin Maximus und die Verkommenheit der Darstellung seines Gegenübers Commodus durch Joaquin Phoenix gipfelte in einem Epos, das in der Tradition der Monumentalfilme der 50er- und 60er-Jahre steht: Ben Hur, Quo Vadis, The Fall Of The Roman Empire. Inspirieren lassen hat sich Scott für die gigantischen Massenszenen und Machtdemonstrationen zudem von Leni Riefenstahls NS-Propagandafilm «Triumph des Willens». Wie viele Historienfilme nimmt es auch «Gladiator» mit der historischen Präzision zugunsten des Spektakels nicht sehr genau, weder war die einleitende Varusschlacht eine Totaleroberung Germaniens durch römische Truppen, noch liefen Gladiatorenkämpfe derart regelfrei und auf Leben und Tod angelegt ab, und die Erneuerung der Res Publica nach dem Sturz des Tyrannen als Demokratieverheissung ist eine reine Erfindung, um Maximus‘ Opfer in einen höheren moralisch-historischen Dienst zu stellen. Auch damit steht «Gladiator» in der Tradition der alten Sandalenfilme, in denen die Hybris Roms an der Scheide zwischen dem Fall in die Korruption und Dekadenz oder der Läuterung als beispielhafte Weltmacht steht. Grosses, oscarüberhäuftes uramerikanisches Kino.

6. Black Hawk Down (2001)

Dank «Alien» und «Blade Runner» gilt Ridley Scott als Regisseur, dessen Filme höchstens als Parabel eine zeitkritische Diagnose zu stellen bereit sind, mit «Black Hawk Down» stapfte er jedoch unversehens in die zeitgenössische Politik. Basierend auf realen Ereignissen, handelt der Film von einem Einsatz amerikanischer Spezialeinheiten im somalischen Bürgerkrieg 1993. Ein US-Hubschrauber, dessen Besatzung auf der Suche nach einem Warlord ist, wird abgeschossen, die Überlebenden sowie das hingeschickte Rettungsteam sind von Miliz-Soldaten und bewaffneten Zivilisten eingekesselt, die Rettungsaktion misslingt. Im Abspann wird die Zahl von 19 getöteten US-Amerikanern und 1000 Somalis festgehalten. Lob erhielt der Film für den Versuch, aufgrund von Soldatenberichten sich möglichst nahe an einem Kriegsalltag ausserhalb klarer Frontlinien zu bewegen, dennoch fiel das Resultat zwiespältig aus. Die Somalis werden differenzlos als kriegswütige Masse dargestellt, während die US-Soldaten als handelnde Individuen gezeichnet sind, ausserdem wurden die Filmarbeiten von der US-Armee unterstützt und die Erzählung entsprechend für ein amerikanisches Kinopublikum aufbereitet. Die Motive der Somalis, ihre Wut über die militärisch verfolgte amerikanische Interessenpolitik sowie die strategischen Fehler der Operation bleiben ausgespart. Dennoch bietet der Film keinen blossen Hurra-Patriotismus, sondern zeigt ein Militärmanöver, das in Unkenntnis der verworrenen Lage vor Ort zu einem Desaster mit hohem Blutzoll ausartet. Kurz darauf eröffnete die USA den Krieg gegen Afghanistan, zwei Jahre später gegen den Irak.

 

7. Prometheus (2012)

Mit seinem jüngsten Film kehrt Ridley Scott zu den Rencontres zwischen Mensch und Alien zurück und damit zu seinem philosophisch unterfütterten Urthema, und wie in «Blade Runner» und «Alien» ist ihm das blosse Kräftemessen nicht genug. «Prometheus» war als Prequel zu «Alien» gedacht, hat in seinem Entstehungsprozess jedoch eine Übersteigerungsdynamik erfahren, die sich eher mit Kubricks «2001» messen lässt. Scott stellt nun die ganz grossen Fragen – was ist der Mensch, wo kommt er her, und warum trifft er so häufig die falschen Entscheidungen? Damit bewegt er sich damit in einem zeitgemässen Hollywood-Trend, bewährte Figuren- und Serienfilme mit einer Vorgeschichte tiefenpsychologisch aufzuladen – siehe Nolans Batman und der James Bond des Sam Mendes. Mit reinen Kindheitserinnerungen ist Scott allerdings nicht zu begeistern und schickt eine Raumschiffbesatzung ins All, die nach dem Erwachen der Menschheit suchen soll.

Während Kubrick über 40 Jahre zuvor dieselbe Frage in der Bildsprache des Mythos geschickt offen liess, geht es Scott profaner an. Die «Konstrukteure» haben die Menschen erschaffen und wollen sie trotzdem wieder vernichten. Warum, wird nicht ganz klar und lässt den Kanal für eine Fortsetzung weit offen, auch sonst übernimmt sich der Film, unfreiwillig seinem Namenspatron geschuldet, reichlich mit seiner Bedeutungsschwangerschaft und gebiert schlussendlich nicht mehr als einen metaphysisch-religiös zerbröselten Actionfilm mit solidem Horrorgehalt. In die Liste gehört er trotzdem, weil Scott in einem einem Genre handwerkliche Brillanz zeigt, dessen Ästhetik er mitgeprägt hat: der düsteren Seite der Science Fiction.

Nächster Artikel