Nur einmal seit Gründung der Premier League vor 23 Jahren kam der Meister nicht aus London oder Manchester. Die Chance, dass sich dies in der Saison 2015/16 ändern wird, ist ziemlich klein.
1995 hiess das beste Team der Premier League Blackburn Rovers, der Meistertrainer Kenny Dalglish. Beide sind mittlerweile von der Bildfläche verschwunden: Blackburn ist seit 2012 wieder zweitklassig (9. Rang in der Championship), Dalglish Vorstandsmitglied in Liverpool. Was blieb, ist der Fakt, dass Blackburn nach wie vor der einzige Klub ausserhalb der Fussball-Metropolen Englands ist, der die Phalanx der Top 4 durchbrochen hat. Ansonsten gingen sämtliche Titel an Manchester United (13), Chelsea (4), Arsenal (3) oder Manchester City (2). Eine Titelverteidigung ist seit Manchester United 2009 aber keiner Mannschaft mehr gelungen.
Als grosser Gejagter nimmt Chelsea dieses Unterfangen in Angriff. Der Sommer verlief weitgehend ruhig, José Mourinho nahm nach dem dritten Meistertitel in seiner zweiten Amtszeit als Trainer der «Blues» (nach 2005 und 2006) nur Retouchen vor. Er gab den alternden tschechischen Goalie Petr Cech an Stadtrivale Arsenal ab und holte an dessen Stelle den bosnischen Nationalkeeper Asmir Begovic, dazu ersetzte er Didier Drogba durch Radamel Falcao. Im Gegensatz zur Konkurrenz bleibt Chelsea das Problem erspart, sich zuerst einspielen zu müssen. Die Stammformation dürfte die gleiche sein wie in der letzten Saison, mit dem überragenden Dribbler Eden Hazard und Skorer Diego Costa – trotz latenter Oberschenkelprobleme schoss der schwer zu verteidigende Brasilianer in 24 Spielen 20 Tore – als zentrale Elemente.
Im Gegensatz zur Konkurrenz bleibt Chelsea das Problem erspart, sich zuerst einspielen zu müssen.
Als Schwäche sehen Experten und auch der Trainer die quantitativ dünn besetzte Abwehr. «Wir können nicht mit fünf Verteidigern in eine Saison starten», monierte Mourinho. «Das reicht definitiv nicht.» Alle Abwerbungsversuche für John Stone sind bislang gescheitert, weil Everton den 21-jährigen Engländer nicht im letzten Monat des Transferfensters noch abgeben will. Bei einem entsprechenden Angebot könnte sich das aber noch ändern. Everton verlangt gemäss Medienberichten rund 43 Millionen Euro für den Internationalen. Kommt der Deal zustande, würde er es bei aktuellem Stand in die Top 4 schaffen.
An den sündhaft teuren Spielerwechseln dieses Sommers war unter anderem Liverpool beteiligt. Nach dem frühen Out in der Champions League (in der Gruppe mit Basel) und der fünften Klassierung ausserhalb der Top 5 seit 2009 erhielt Brendan Rodgers die vermutlich letzte Chance, dem Team durch Zuzüge mehr Stabilität zu verleihen. Für die Offensive, die 2014/15 nur 52 Tore erzielte, wurden mit dem Belgier Christian Benteke und dem Brasilianer Roberto Firmino zwei sprichwörtliche Hochkaräter geholt. Allein für dieses Duo gab Liverpool fast 87 Millionen Euro aus. Ein erheblicher Teil davon wurde durch den Verkauf von Raheem Sterling zu Manchester City, dem mit 62,5 Millionen Euro teuersten Transfer aller Zeiten innerhalb der Premier League, refinanziert.
Van Gaal unter Druck
Auch Manchester Uniteds Trainer Louis van Gaal erhielt von den Klubbesitzern einen Freipass, das Team weiter nach seinen Wünschen zusammenzustellen. 205 Millionen Euro durfte der Holländer im letzten Sommer ausgeben, rund 110 Millionen (für Morgan Schneiderlin, Memphis Depay, Bastian Schweinsteiger oder Matteo Darmian) waren es in dieser Zwischensaison. «Er hatte nun ein ganzes Jahr und eine Sommerpause lang Zeit, den Spielern seine Ideen und seine Philosophie einzuimpfen», sagte der frühere United-Verteidiger Rio Ferdinand. «Er steht unter Druck, die Liga zu gewinnen oder mindestens Zweiter zu werden.»
Eine dritte titellose Saison – davor waren auch David Moyes und dessen interimistischer Nachfolger Ryan Giggs gescheitert – kann sich der Rekordmeister nicht mehr erlauben. Ebenso wenig eigentlich auch den Weggang von Angel Di Maria nach nur einer (wenig überzeugenden) Saison zu Paris St-Germain. «Nur wenige Trainer der Welt würden den Verkauf eines Spielers für 20 Millionen Pfund unter dem Kaufpreis unbeschadet überstehen», stichelte TV-Experte Alan Shearer. Höchste Priorität hat für Van Gaal nach dem Fehlstart des letzten Jahres, als die Meisterschaft aus Sicht der United nach nur 13 Punkten aus zehn Spielen bereits gelaufen war, die Startphase der Saison. Dazu gehören heuer auch die Champions-League-Playoffs.
Zu den «Big Spenders» gehörten der entthronte Lokalrivale Manchester City, der sich neben Sterling unter anderem mit dem englischen Internationalen Fabian Delph verstärkt hat, sowie Newcastle und Tottenham, die den eigenen Ansprüchen hinterher hinkten. Dank dem lukrativsten TV-Vertrag im Klubfussball haben die Klubs der Premier League finanziell unerreichte Möglichkeiten. Zwischen 2016 und 2019 werden auch dank den Rechten im Ausland über neun Milliarden (!) Euro verteilt.
Aufsteiger gegen den Abstieg
Vom ungebremsten Boom profitieren auch die Aufsteiger. Bournemouth, 2008 wegen Insolvenz in die vierte Liga relegiert, darf im zweitkleinsten Stadion der Premier-League-Historie (Fassungsvermögen rund 12’000 Zuschauer) erstmals überhaupt gegen die Grossen spielen. Als Lohn für den Promotion hat der AFC rund 42 Millionen Euro kassiert. Bei einem sofortigen Wiederabstieg würde Bournemouth, verteilt auf vier Jahre und quasi als «Rettungspaket», weitere 100 Millionen erhalten. Dem Team aus dem Badeort an der Südküste wird es eher als den anderen Aufsteigern Watford und Norwich zugetraut, die Klasse zu halten. Bei Watford stehen mit Almen Abdi und neuerdings Valon Behrami zwei Schweizer in wichtigen Funktionen unter Vertrag.
Auch Aston Villa könnte wieder in den Abstiegskampf verwickelt sein. Ob der von Verletzungen geplagte Philippe Senderos die Saison mit dem Team aus Birmingham absolvieren wird, darf bezweifelt werden. Aston Villa sucht für den Genfer, der seit letztem Sommer nur in acht Ligapartien im Einsatz stand, offenbar ziemlich aktiv nach einem Abnehmer.