Der FC Zürich besitzt die Chance, international für Aufsehen zu sorgen. In Ankara spielt der Schweizer Zweitligist heute (17.00 Uhr/live SRFzwei) um einen Platz in den Top 32 der Europa League.
Basels Sterne sind seit dem ernüchternden 1:4 gegen Arsenal endgültig verglüht, YB spielt einmal mehr nur noch um die goldene Europacup-Ananas. Einzig der FC Zürich ist nicht vom europäischen Radar verschwunden. Ausgerechnet jener Verein, der im letzten Mai nach dem Absturz in die Challenge League landesweit mit Hohn und Spott übergossen wurde, ist als letzter Schweizer Hoffnungsträger übrig geblieben. Der FCZ benötigt gegen Osmanlispor einen Sieg, um seine verblüffende Europacup-Story mindestens zwei Monate zu verlängern.
Canepas Komplimente
«I want it all and I want it now.» An die berühmte Songzeile des vor 25 Jahren verstorbenen Queen-Sängers Freddie Mercury will sich der FCZ-Trainer Uli Forte halten. Vor dem letzten Gruppenspieltag streifen die Stadtzürcher ihre Zurückhaltung ab, zumindest für die nächsten 24 Stunden blenden sie ihr in der Regel übergeordnetes Aufstiegsprojekt aus. Was der Rock-Poet einst verkündete, strebt Forte mit seiner Crew in Ankara an: «Ich will alles, und ich will es jetzt.»
Wie sich der Super-League-Absteiger innerhalb weniger Monate aus der Problemzone in den Komfortbereich kämpfte, ist bemerkenswert. Dass er angesichts seiner teuren Belegschaft in der zweithöchsten Klasse nicht in Bedrängnis geraten würde, entspricht den Erwartungen. Die Konstanz auf internationaler Ebene hingegen ist imposant. Und sie zahlt sich aus: 3,32 Millionen Euro Prämien haben die Stadtzürcher verdient – im Erfolgsfall fliessen weitere 1,16 Millionen in die Kasse.
In nahezu allen Wettbewerbsspielen hat die Mannschaft einen stabilen Eindruck hinterlassen und nur eine von 25 Partien verloren. Die soziale Balance stimmt, die Teamstruktur passt. Das Betriebsklima ist nach Angaben der Beteiligten nicht mehr zu vergleichen mit der allgemeinen Zerrüttung der letzten Saison. Klubchef Ancillo Canepa ist von der Entwicklung begeistert: «Das Klima ist so gut wie nie zuvor während meiner zehnjährigen FCZ-Amtszeit.»
Die nach der Relegation getätigten Transfers und die Neuformierung des Betreuerstabs haben ohne Verzögerung zur erwünschten Trendwende geführt. Canepa hebt Spieler wie Adrian Winter oder Keeper Andris Vanins hervor: «Sie haben für eine positive Dynamik gesorgt.» Der Präsident schätzt ihre Professionalität und gewinnbringende Ausstrahlung, aber auch ihre Demut. «Für mich geht von diesem Team Lebensfreude aus.»
Einer, der alle Höhen und Tiefen des Vereins in den letzten Jahren durchgemacht hat, teilt Canepas Beobachtungen: Oliver Buff, Meister und Absteiger, ehemals U17-Weltmeister. Der mit einem feinen Sensorium ausgestattete Mittelfeldspieler bestätigt den guten zwischenmenschlichen Flow: «Wir verstehen uns, wir sprechen wieder die gleiche Sprache. Der Zusammenhalt bewirkt viel.»
Der Macher will punkten
Von Identifikationsfiguren ist die Rede, von der gemeinsamen Sache einer Mannschaft, die nicht einfach wild zusammengewürfelt worden ist, sondern nach strategischen Grundsätzen nominiert wurde. Nur mit spielerischer und taktischer Qualität sei für eine Schweizer Mannschaft im Europacup gegen überdurchschnittliche Konkurrenten wenig auszurichten, ist Buff überzeugt: «Von einem guten Spirit hängt viel ab.»
Ohne die gründliche Flurbereinigung im vergangenen Sommer stünde der FCZ kaum vor einem Entscheidungsspiel in der Türkei. Ancillo Canepa und seine Frau Heliane spurten mit ihrem finanziellen Commitment vor, derweil Uli Forte mit seiner Präsenz an der Seitenlinie nachdoppelte. Extern und intern wird dem Trainer ein hoher Anteil am gegenwärtigen Kurs bescheinigt. Der Trainer sei ein Macher mit Drive, ein Vorgesetzter mit Sozialkompetenz, ein Mann mit Prinzipien und der Gabe, punktgenau zu coachen.
Im Duell mit Osmanlispor kann Forte weiter punkten, oder je nach Sichtweise auch mehr erreichen: «Wir können Geschichte schreiben.» Unter die Top 32 der Europa League vorzustossen, wäre auch für ihn, der als Coach bereits zwei Cup-Trophäen gewonnen hat, ein Coup – nach seiner Lesart sogar mehr: «Das Grösste, das ich bisher erlebt habe.» Internationale Erfolge pflegt Forte selber generell höher einzuschätzen.
Keine etablierte türkische Grösse
Ein (erster) Erfolg auf türkischem Boden wäre besonders wertvoll. In der jüngeren Vergangenheit taten sich die Schweizer Teams ausnahmslos schwer. Die teilweise fanatische Atmosphäre ist gewöhnungsbedürftig. Forte kalkuliert mit einer heiklen Mission: «Osmanlispor tritt zu Hause sehr dominant auf.» Die Reichweite des erst seit 18 Monaten wieder erstklassigen Klubs ist schwierig einzustufen.
Der FCZ-Widersacher hat teilweise komplizierte Jahre und politische Ränkespiele hinter sich. Als etablierte Grösse gilt das unübersichtliche Klubkonstrukt nicht, den Rhythmus bestimmen in der Süperlig die Istanbuler Auswahlen. Sonderlich populär ist Osmanlispor auch im Umkreis der Metropole Ankara nicht. Zum Retorten-Image passt die Lage des Stadions – rund 25 Kilometer ausserhalb des Stadtzentrums, fernab vom Fokus.