«Der Film ist für einmal der Literatur überlegen»

«Cloud Atlas» ist in vielerlei Hinsicht ein Wagnis. Drei Stunden Film. Drei Regisseure. Sechs Jahrhunderte Geschichtsmix. Tom Tykwer ist eine der treibenden Kräfte. Seit «Lola rennt» ist Tom Tykwer in Deutschland ein Renner. Mit «Parfum» hat er seinen internationalen Durchbruch geschafft, und zum ersten Mal die Baslerin Gigi Oeri als Produzentin ins Boot geholt. Jetzt […]

Tom Tykwer auf dem roten Teppich bei der Deutschland-Premiere von Cloud Atlas in Berlin.

«Cloud Atlas» ist in vielerlei Hinsicht ein Wagnis. Drei Stunden Film. Drei Regisseure. Sechs Jahrhunderte Geschichtsmix. Tom Tykwer ist eine der treibenden Kräfte.

Seit «Lola rennt» ist Tom Tykwer in Deutschland ein Renner. Mit «Parfum» hat er seinen internationalen Durchbruch geschafft, und zum ersten Mal die Baslerin Gigi Oeri als Produzentin ins Boot geholt. Jetzt macht er den Regie-Spagat mit den beiden Wachovskis, die die Matrix-Trilogie zum Kult machten. Mit «Cloud Atlas» wagt sich das Team an einen der aufsehenerregendsten Romane der britischen Literatur, der gleich fünf Jahrhunderte der Geschichte der Widerstands-Strömungen überspannt. «Cloud Atlas» ist in vielerlei Hinsicht ein Wagnis. Drei Stunden Film. Drei Regisseure. Fünf Jahrhunderte Geschichtsmix.

Herr Tykwer, Sie sind oft in Basel?

Naja, ich kenne ja Frau Oeri, ich mag die Stadt gern. Ich bin auch deshalb hin und wieder hier, weil Dany Levy, mein Compagnon in der Firma X-Filme, aus Basel kommt. Basel lockt also gleich mehrfach.

Was haben Sie Frau Gigi Oeri von Ihrem neuen Projekt erzählt?

Nach dem dem Dreh zu «Das Parfum» habe ich zu ihr gesagt, ich würde wieder auf sie zukommen, wenn ich noch einmal so einen verrückten und einzigartigen Stoff habe. «Cloud Atlas» war dann so ein Fall. Sie hat das Buch gelesen und empfand das ebenso. Sie hat auch das Drehbuch gelesen. Sie traut dann da ganz ihrem Instinkt und war sehr früh schon sehr eingenommen von dem Konzept. Und mit grosser Spontaneität verbunden.

Haben Sie jetzt auch ein Konto in der Schweiz?

(Lacht.) Ich? Nein. Das würde sich bei mir leider nicht lohnen…

Ihr Film dauert intensive drei Stunden, führt uns quer durch die Jahrhunderte. Der Autor der Vorlage, David Mitchell, beschreibt in sechs stilistisch klar abgesetzten Erzählformen, u.a. als Briefroman, Reportage oder Tagebuch, die er ineinander verschränkt, aber doch getrennt hält. Warum haben Sie nicht sechs Filme gemacht?

Was uns am Roman fasziniert hat, ist seine Gliederung: Klar, einsichtig, und stilistisch reich. Man hält sich also doch über sechzig Seiten hinweg im gleichen Kapitel jeweils in einer Welt auf. Und doch ist es so: Der Stoff ist unter der Oberfläche derart stark vernetzt, dass in der Wirkung, im Nachhinein, ein ganz anderer Eindruck bleibt: Als hätte man sechs Geschichten, aber nur eine einzige Erzählung gelesen. Die hat in ihren Unterströmungen derart dichte Verbindungen, dass sie uns in der Erinnerung wie eine Geschichte erschien. Was uns daran fasziniert hat, ist diese Verstrickung. Wir haben uns bei der Umsetzung weniger an den Roman gehalten, als an die Erinnerungswirkung. Die Adaption bezieht sich sehr darauf, was das Buch mit dem Leser macht.

Mitchell spielt mit Stilformen: Pazifiktagebuch aus der Seefahrerzeit, Briefe aus dem Jahre 1931, Drehbuchentwurf aus dem Heute. Das «Tagebuch» aus der Kolonialzeit bricht unvermittelt ab, vom Schicksal des Musikgenies erfahren wir in einseitigen Briefen. Das ist literarisch reizvoll. Während im Buch eine Reporterin Jahre später im Recherche-Stil Fakten zur Atom-Lobby zusammenträgt, wird ihre Geschichte im Film souverän mit den anderen Geschichten verschmolzen. Mussten Sie filmisch auf vieles verzichten?

Wir haben das insofern ernst genommen, als wir die Genres bildlich bedienen: Der Siebzigerjahrestil ist in der Episode von Luisa Rey vertreten, der Science-Fiction-Reisser ist ebenso markant. Aber wir haben versucht, dem Film als Ganzes eine Ästhetik zu geben, die die Teile nebeneinander stellt, sie aber auch verbindet. Für den Zuschauer soll das Gefühl bleiben, dass diese Arbeit, die ja auch über weite Strecken eine Teamarbeit ist, aus einer Hand geflossen ist. Es ist ja an dieser Art der Filmproduktion auch eine grosse Gruppe beteiligt.

Das erinnert an die Bauweisen von Shakespeare-Stücken. Er hat oft auch mit einem Dutzend Schauspielern 40 Figuren besetzt. Das machen Sie auch. Halle Berry spielt, wie andere auch, sechs verschiedene Rollen. Haben Ihre Besetzungen ähnliche innere Verbindungen wie Shakespeares Königin und Herrscherin der Unterwelt?

Wir mochten diese Überlappung von Charakteren im Buch sehr. Die Möglichkeiten des Films sind hier der Literatur überlegen. Für einmal. Erstaunliche Unterschiede, die in der Visualität zu finden sind. Man sieht, was sonst nur beschrieben ist. Gesichter können sich über Jahrhunderte wiederholen und folgen den inneren Strömungen des Romans nun ganz anders: Das schafft ganz neue szenische Zusammenhänge. Die Protagonisten werden öfters mal vor grosse moralische Fragen gestellt. Wenn man dann noch das Personal hat, ist es natürlich noch augenfälliger: Tom Hanks spielt eine Person im 22. und im 19. Jahrhundert, aber geläutert. Diese Verbindungen machen letztlich deutlich, was die Hoffnung des Buches prägt: Dass die Menschheit sich nämlich doch, neben allen Rückfällen in die Barbarei, weiter entwickelt.

Tom Hanks darf einmal seine ganze Wandlungsfähigkeit als Schauspieler zeigen. Man sucht geradezu nach seinem Gesicht, als wären wir mit C.G.Jungs Archetypen durch die Jahrhunderte unterwegs. 

Hanks fängt als heimtückischer Mörder an, und endet, nach Jahrhunderten, als Held. Er kommt eben immer wieder vom Weg ab, trifft dreimal auf die Frau, Halle Berry, ehe sie zusammenkommen: Zum ersten Mal in den Siebziger Jahren, wenn sie in das Atomkraftwerk kommt, dann trifft er sie nochmals auf der Party, wo er den Schriftsteller spielt, der den Kritiker vom Dach schmeisst – sie lächelt ihm zu, und man darf kurz denken, er gehe gleich zu ihr rüber – und dann sehen sie sich Hunderte von Jahren später wieder und gucken sich an, als würden sie sich kennen. Als wäre das Ganze die Läuterung eines Menschen…

Sie haben die Musik zum Film geschrieben. Aber: Sie haben erst die Musik geschrieben, dann den Film gedreht. Andere machen das genau umgekehrt. Hilft Ihnen das bei der Montage?

Ich finde beim Musikmachen viel darüber heraus, wie ich den Stoff verstehe. Ich versuche mit der Musik eher ein Klima zu beschreiben, versuche eine Atmosphäre einzugrenzen und habe meist danach, wenn die Musik fertig ist, eine viel genauere Vorstellung, wie ich die Geschichte auflösen kann, wie ich Sequenzen aufbauen kann. Die Musik ist dann eine weitere treibende Kraft. In «Cloud Atlas» hat sie auch eine Verbindung zu den anderen Regisseuren geschafft. Wir haben bei der ersten Lesung des Drehbuches mit allen beteiligten Schauspielern bereits die Musik hören können, auch das Sextett, welches von grosser Bedeutung ist. Das hat wie eine verbindende Übersetzung gewirkt.

«Cloud Atlas»: Eine Cloud ist ein diffuser Computerspeicher. Ein Atlas eine Landkarte. Sehen Sie einen Weltfahrplan?

Cloud ist im Moment sicher ein gängiger Begriff. Was mir aber sehr gefällt, ist, dass er die Gebildeten mit einer klassischen epischen Erzählform abholt, intelligente Unterhaltung verspricht und die jungen, neugierigen Kinogänger auch anlockt. Das haben die Erfahrungen in Deutschland gezeigt: In den Kinos, wo  junge Zuschauer hingehen, läuft der Film sehr gut. 





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