In «Dancing Arabs» tanzen Araber in einem israelischen Film. Regisseur Eran Riklis erklärt, wie es dazu kam – und warum eine solche Grenzüberschreitung wichtig ist.
Seine Filme gehen an Grenzen. Seine Filme wollen aber auch unterhalten. Eran Riklis hat schon zweimal am Filmfestival von Locarno den Publikumspreis gewonnen. Jetzt hat er ein palästinensisches Buch verfilmt. Und wieder ist ihm mit «Dancing Arabs» ein unterhaltendes Statement geglückt.
Wie viele Grenzen haben Sie in diesem Jahr schon überschritten?
Lassen Sie mich zählen. Israel. Dann Europa… Belgien, Spanien, Italien… Sind das überhaupt Grenzen?
Zumindest spielen in Ihren Filme Grenzen immer eine Rolle. Im «Cup Final» war es die Grenze zum Libanon. In «The Syrian Bride» war es die Grenze zu Syrien. In «Dancing Arabs» liegt die Grenze mitten in Israel – in den Köpfen. Welche Rollen spielen die Grenzen in Ihrem Leben?
Ich bin in Jerusalem geboren und habe dann die ersten sieben Jahre in den USA verbracht. Danach Israel, USA, Gymnasium in Brasilien, dann Kanada, danach wieder Israel, dann England. Ich habe als Kind dauernd Grenzen überschreiten müssen. Daher stammt vielleicht mein Interesse für Grenzüberschreitungen – besonders für die unsichtbaren.
Sie haben auch immer in der Nähe von Kriegen gelebt. Ich kann mich noch erinnern, wie mein Geschichtslehrer im Realgymnasium das Klassenzimmer mit den Worten betrat: «Es ist Krieg». An diesem Montag wusste niemand, dass der Krieg am nächsten Montag beendet sein würde. In welchem Lande waren Sie während des Sechstagekrieges?
Mein Vater hat in Israel als Wissenschaftler gearbeitet, in der Nuklearforschung: Da gab es eine eiserne Grenze der Geheimhaltung. Die war so geheim, dass wir Kinder nicht einmal wissen durften, was geheim gehalten wurde.
Dann waren Sie in Brasilien, als die Amerikaner den Vietnam-Krieg führten.
Ich war an der amerikanischen Hochschule, wo sich die Befürworter mit den Gegnern des Krieges stritten. Aber Brasilien war eine Diktatur. Da galten klare Grenzen, was politisch ausgesprochen werden durfte.
Hätten Sie sich damals schon als politisch bezeichnet?
Ich war naiv! Aber mein Literatur-Lehrer hatte eine sehr listige Art, damit umzugehen. Er las mit uns 1968 den Roman «One Flew Over the Cuckoo’s Nest», das eigentliche Meisterwerk, das für den Film mit Jack Nicholson als Vorlage diente. Das erwischte mich alles ganz politisch unvorbereitet. Das war eine Art Initialzündung für mich, um über Freiheit und Individuum in Systemen nachzudenken.
Damals war Israel noch von der Arbeiterpartei regiert.
Dann wurde ich ins Militär eingezogen. Ich verlor viele Freunde im Krieg. Dann kam der rechte Flügel in Israel an die Macht.
Neue Grenzen?
In jeder Hinsicht. Ja. Ich musste wieder lernen, die Wirklichkeit im Kopf neu zu deuten.
Ist dieser Konflikt für Beteiligte überhaupt fassbar?
Nein. Ich kann das als Künstler nicht. Ich kann ihn nur in eine Geschichte fassen. Ich versuche aber zumindest, ihn nicht zu vermeiden, wie viele das tun. Ich mag Eskapismus nicht. Ich lebe nicht in der besten aller Welten – sondern hier. Eyad sitzt am Ende auf dem Dach. Er hört den Muezzin. Und er weiss nicht, ob er die richtige Entscheidung gefällt hat. Da ist er froh und verzweifelt. So fühle ich mich oft.
Wie beweisen Sie Mut?
Ich merke an den Reaktionen, dass ich vielleicht etwas mutig war. Ich komme mir aber dabei ganz normal vor. Ich will nicht Furcht mich hindern lassen, nachzudenken. Mein arabischer Freund Sayed macht sich über die Juden lustig, und die mögen es! Aber das ist sehr diffizil, denn die Juden sind ja die Meister des Humors. Sie erlauben also nur Witze über sich, wenn sie auch selber lachen. Sie lachen auch gern über die Araber! Die Grenze ist da hauchfein.
Das ist wieder Ihr Thema…
Das ist ein grosses Thema der Menschheit. Ob Humor belebt oder tötet. Denken Sie an Charlie Hebdo. Da sehen die Muslime sich bedroht. Die Franzosen fühlen sich befreit. Ich weiss dennoch nicht immer, ob ich nicht eine Grenze überschreite. In Paris hat mir eine Jüdin gesagt, sie mag den Film. Aber sie kann nicht verstehen, wie eine jüdische Mutter ihren Sohn in muslimischer Erde beerdigen kann. Ich habe sie gefragt: Können Sie mir sagen, wie die Würmer in der Erde aussehen, wenn sie jüdisch ist? Erde ist Erde. Schwer zu sagen, wo da die Ängste wirklich beginnen.
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Der Film «Dancing Arabs» läuft in den Kult-Kinos.