Der Gejagte: Die stärksten Rollen von Peter Lorre

Ob als Kindsmörder, als erster Bond-Bösewicht oder als ehemaliger Forscher für die Nazis – Peter Lorres Rollen waren geprägt von der Figur des Gejagten. Ein Rollenbild, das seine Biografie widerspiegelte: Sein Leben war geprägt von der Exilerfahrung. Vor 50 Jahren starb er in Hollywood. Peter Lorre, 1904 geboren als László Löwenstein in der heutigen Slowakei, […]

Charaktergesicht des alten Hollywood: Peter Lorre.

Ob als Kindsmörder, als erster Bond-Bösewicht oder als ehemaliger Forscher für die Nazis – Peter Lorres Rollen waren geprägt von der Figur des Gejagten. Ein Rollenbild, das seine Biografie widerspiegelte: Sein Leben war geprägt von der Exilerfahrung. Vor 50 Jahren starb er in Hollywood.

Peter Lorre, 1904 geboren als László Löwenstein in der heutigen Slowakei, durchlebte ein Schauspielerleben, dessen Verlauf von der Weltgeschichte bestimmt war. Der geborene Jude begann als Bühnendarsteller in Wien, Breslau, Zürich und schliesslich Berlin, wo er in der Zwischenkriegszeit sich als einer der Lieblingsschauspieler von Bertolt Brecht etablierte. Nach dem internationalen Filmdurchbruch «M» unter der Regie von Fritz Lang 1931 emigrierte er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zuerst nach England ins Exil, wo er mit Alfred Hitchcock drehte, und startete schliesslich an der Seite von Schauspielgrössen wie Humphrey Bogart oder Cary Grant eine Hollywoodkarriere. Sie brach nach dem Krieg jäh ab, als er in der antisowjetischen Hysterie der McCarthy-Jahre unter den Verdacht kommunistischer Umtriebe geriet. Lorre starb, verschuldet, übergewichtig und mit einer Morphiumsucht kämpfend, an einem Schlaganfall am 23. März 1964.

«M – eine Stadt sucht einen Mörder», 1931

In einer Grossstadt geht ein Kindsmörder um, die Bevölkerung gerät in Hysterie, die Polizei ist überfordert und entnervt, und schliesslich beteiligt sich auch die Unterwelt an der Jagd. Fritz Langs erster Tonfilm ist in mehrfacher Hinsicht ein epochales Werk: Mit der neuen Technologie geht er sparsam um, um den Suspense zu fördern, er vereint die Genres des kriminalistischen Thriller, der sozialrealistischen Gesellschaftsanalyse inklusive schwacher rechtsstaatlichen Institutionen am Vorabend der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, sowie des Actionfilms, in dem das Individuum sich gegen die Masse stellt. Und er schafft die Figur des Triebtäters. Untersetzt und gedrungen, mit Schlapphut und Mantel, unauffällig und frei von Emphase. Bis ihm jemand das Kainsmal «M» auf die Jacke malt und ihn zur Verfolgung frei gibt. Dargestellt wird der Mörder von Peter Lorre, der schon in dieser Rolle eine Selbstentfremdung ausdrückt, die ihm, dem zeitlebens Fliehenden, zu einem zentralen Motiv wird. Von der lokalen Mafia in einem Schauprozess blossgestellt, bekennt der Mörder, vor seinen eigenen Verbrechen davon zu eilen: «Manchmal ist mir, als ob ich selbst hinter mir herliefe! Ich will davon, vor mir selber davonlaufen, aber ich kann nicht! Kann mir nicht entkommen!» Seine erste grosse Filmrolle füllt er derart überzeugend aus, dass er die nächste Zeit mehrheitlich Angebote für Mörderfiguren erhält.

«Der Mann, der zuviel wusste», 1934

Eine Frühwerk des Master of Suspense Alfred Hitchcock aus seiner Londoner Zeit, mit Peter Lorre in seiner ersten englischsprachigen Rolle: Während eines Skiurlaubs in St. Moritz wird ein britisches Ehepaar Zeuge eines Mordes und erfährt vom sterbenden Opfer, dass ein Attentat auf einen ausländischen Botschafter in London geplant ist. Um die unfreiwilligen Mitwisser mundtot zu machen, entführen die Attentäter die kleine Tochter des Paares. Während der Mann das Versteck des Mädchens ausfindig macht, versucht die Mutter, dem Botschafter während einer Konzertaufführung das Leben zu retten. «Der Mann, der zuviel wusste» wurde zu Hitchcocks bis anhin grösstem Erfolg und ebnete ihm den Weg nach Hollywood – ihm und Peter Lorre, der als skrupelloser Attentäter mit blonder Strähne und grobem Akzent auftaucht. Zwanzig Jahre später hat Hitchcock auf dem Zenit seines Ruhms den Stoff noch einmal verfilmt – mit Schauplatz Marrakesch statt den Schweizer Alpen, und mit damaligen Weltstars James Stewart und Doris Day in den Hauptrollen. «Die erste Version stammte noch von einem talentierten Amateur, die zweite hingegen von einem Profi», sagte er über sein eigenes Remake.

«The Maltese Falcon», 1941

«Ein Stoff, aus dem Mann Träume macht», sagt der Detektiv Sam Spade es am Ende der Verfilmung von Dashiell Hammets Krimi-Klassiker. Die Träume, von denen «The Maltese Falcon» handelt, erscheinen allerdings in düsteren Farben und gehen verworrene Wege, an deren Ende der Knast oder das Grab wartet. Die Verfilmung von John Huston mit Humphrey Bogart in der Rolle des Detektivs gilt als Gründerstunde des Film Noir, jenes Subgenres des Krimis, in dem Moral und Ethos zugunsten der zynischen Weltsicht flöten gegangen sind, dass jeder jeden betrügt und am Ende die Skrupellosesten davon kommen. Der Detektivheld hat ein Verhältnis mit der Frau seines Partners, die vermeintlich schutzlosen Frauen entpuppen sich als kühle Femmes Fatales, und jeder lügt, wo er kann, so dass jedes Vertrauen in die Menschlichkeit erodiert. «The Maltese Falcon», in der deutschen Fassung etwas unglücklich mit «Die Spur des Falken» übersetzt, fokussiert in praktisch jeder Einstellung zentral auf den Hauptdarsteller Humphrey Bogart, aber neben ihm behauptet sich Peter Lorre in einer seiner stärksten Rollen: Als schmieriger Geschäftsmann Joel Cairo mit verklärtem aristokratischem Gehabe, in dessen Welt jede unmoralische Tat nur eine Frage des Preises ist.  

«Casablanca», 1942

Ein Jahr nach «The Maltese Falcon» stand Lorre erneut mit Humphrey Bogart vor der Kamera, und erneut musste er sich mit einer Rolle im Schatten Bogarts, der zu dieser Zeit auf dem Zenit seiner Karriere angelangte, begnügen. Und zwar am Tisch des Amerikaners Rick Blaine in dessen Café in Casablanca zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Während Rick als oberflächlich kühler und politisch desillusionierter Geschäftsmann inmitten von Nazis, Flüchtlingen aus dem verheerten Europa und der französischen Résistance nur seinen flott laufenden Barbetrieb im Sinn hat, versucht Lorre als italienischer Schwarzmarkt-Händler Ugarte, mittels Visa-Verkauf zu Höchstpreisen aus der Notlage der Verfolgten Profit zu schlagen. Weil «Casablanca», während der Kriegsjahre im Kino, an Moral und Ehre der Amerikaner appellierte (und zu der auch der nur scheinbar zynische Rick zurückfindet), waren die Rollenbilder eindeutiger verteilt als noch in der verschachtelten Jagd nach der Falkenstatue. Rick verliert zwar seine Liebe, gewinnt aber an Achtung, dem jüdischen Flüchtlingspaar gelingt die Flucht, ohne sich prostituieren zu müssen, und der Schächerer Ugarte wird von der Polizei verhaftet und exekutiert.

«Arsen und Spitzenhäubchen», 1944

Was für eine irre Geschichte: Zwei harmlos wirkende alte Tanten bringen einsame alte Männer um, um sie Gott näher zu bringen. Ein geisteskranker Neffe, der sich für den ehemaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt hält, hebt im Keller die Gräber für die Opfer aus, im Glauben, er baggere damit dem Panama-Kanal seine Bahn. Ein zweiter Neffe macht sich als entstellter Serienmörder zusammen mit seinem Gehilfen Dr. Einstein seine umnachtete Familiensituation zunutze, um sein jüngstes Mordopfer bequem verschwinden zu lassen. In diese kuriose Konstellation tritt der dritte Bruder, Mortimer Brewster, ein ahnungsloser Theaterkritiker herein, der sich doch nur von seinen Tanten für seine Hochzeitsreise verabschieden will und am Ende die gesamte Sippe vor der Verhaftung retten muss. In «Arsen und Spitzenhäubchen», in dem kleinbürgerliche Scheinidylle auf gruseligen Horror trifft, blieb für Peter Lorre erneut nur eine Nebenrolle neben einem grossen Hollywood-Star übrig – diesmal neben Cary Grant. Lorre gibt den Chirurgen-Scharlatan Dr. Einstein, der mit kindlicher Unbeholfenheit versucht, das grösstmögliche Unheil abzuwenden und ansonsten in der Regel an seiner Schnapsflasche klebt. Eine wunderbar bizarre Komödie, inszeniert vom grossen Frank Capra.

«Der Verlorene», 1951

1950 kehrte Peter Lorre für seine einzige Regiearbeit «Der Verlorene» ins Nachkriegsdeutschland zurück – und übernahm zugleich die Hauptrolle: als Serumsforscher Karl Rothe im Dienst der Nationalsozialisten, der seine Freundin erwürgt, weil sie seine Forschungsergebnisse einem Kollegen verraten hat. Von Schuldgefühlen gepeinigt, wird Rothe von den Nazis wegen der Wichtigkeit seiner Forschungen weiterhin beschäftigt, landet nach dem Krieg in einem Flüchtlingslager und trifft dort seinen Rivalen wieder. Noch immer schuldbeladen, findet Rothe keine Vergebung, und macht bis zum bitteren Ende weiter mit dem Mordhandwerk. Auch «Der Verlorene» ist ästhetisch ein Film Noir, indem eine innere wie äussere Bedrohungslage chronisch spürbar sind. Seine besondere Tiefe erhält der Film wegen Lorre selbst, der – im wirklichen Leben aufgrund seiner Fluchtbiografie ebenfalls ein Haltloser – hier sich nun zum Täter wandelt und an seiner inneren Gebrochenheit, der keine Erlösung harrt, zugrunde geht. «Der Verlorene» stellte im zerstörten Deutschland in den Nachkriegsjahren eine ungeschönte Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit dar, auf die sich kein Publikum einlassen wollte. Der Film floppte komplett, angesagt in den Kinos war leichte Unterhaltungskost. Lorre, im Habsburgerreich und der Weimarer Republik gross geworden, fand nach seinen Jahren im Ausland in Deutschland keine Heimat mehr und verliess es nur ein Jahr später als Gescheiterter wieder. Es war ein Abschied für immer.

 

«Casino Royale», 1954

Es gehört zur Tragik des Lebens von Peter Lorre, dass er den Gegenspieler der wohl bekanntesten Filmfigur der Geschichte spielte – nur eben zu einer Zeit, als noch niemand davon wissen konnte. 1954 kam die Erstverfilmung von «Casino Royale» aus der Feder von Ian Fleming… eben nicht nicht ins Kino, sondern wurde auf dem US-Sender CBS ausgestrahlt. Der Produzent und Regisseur des Fernsehfilms hatte Fleming die Rechte für seinen gleichnamigen Roman für 1000 Dollar abgekauft und die Geschichte gehörig amerikanisiert. Bond, gespielt von Barry Nelson, hiess hier «Jimmy» mit Vornamen und arbeitete für den amerikanischen Geheimdienst. Wie in den beiden Remakes von 1967 und 2006 trat Bond im Kartenspiel gegen seinen Gegner Le Chiffre (Peter Lorre) an, und auch hier prügelte sich der Geheimagent am Ende seinen Weg frei. Lorre, spürbar an Gewicht zugenommen, spielte Le Chiffre so desillusioniert, wie er wohl bereits schon war. Angebote für grosse Hollywood-Produktionen erhielt er kaum noch, er erlitt einen Herzinfarkt und verschuldete sich hoch, so dass er in den letzten Lebensjahren fast nur noch in (zum Teil unfreiwillig) komödiantischen Horrorfilmen auftrat. 1964 starb der Verlorene im Alter von 60 Jahren.

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