Der Grosse Kanton oder der grosse Kantönligeist?

Ist die Schweiz am Verschwinden? Zur Zeit sind gleich zwei Annäherungen an die Frage zu sehen: In «Schweizer Geist» werden klischiert die Alpengipfel-Juwelen fast aller Berg-Kantone gezeigt. Im «Grossen Kanton» wird auf satirische, aber leider auch alberne Weise über das Verschwinden der Schweiz nachgedacht. Gleich zweimal wird die Schweiz in Dokumentarfilmen hinterfragt. Mal idyllisch. Mal […]

Ist die Schweiz am Verschwinden? Zur Zeit sind gleich zwei Annäherungen an die Frage zu sehen: In «Schweizer Geist» werden klischiert die Alpengipfel-Juwelen fast aller Berg-Kantone gezeigt. Im «Grossen Kanton» wird auf satirische, aber leider auch alberne Weise über das Verschwinden der Schweiz nachgedacht.

Gleich zweimal wird die Schweiz in Dokumentarfilmen hinterfragt. Mal idyllisch. Mal satirisch. Wozu eignet sich die Schweiz besser? Viktor Giacobbo stellt seinen Dokumentarfilm «Der Grosse Kanton» vor. Severin Frei seinen «Schweizer Geist». Beide können uns lächeln lassen, mal milde, mal bös. Worüber?

Satire muss nicht immer lebensgefährlich sein. Zur Zeit der Nazis fragte Werner Finck zwei Zuschauer in Gestapo-Uniform, die nie lachten, mitten in seinem Kabarattprogramm: «Kommen Sie nicht mit? Muss ich mitkommen?», und riskierte damit seine Verhaftung. Heute läuft ein Satiriker kaum mehr Gefahr, das Leben zu risikieren, wenn er Deutschland zum Anschluss auffordert. Wird Satire nicht mehr ernst genommen?

Scherzeshalber nennt man Deutschland gerne den «grossen Kanton». Nach der Wiedervereinigung und dem EU-Beitritt ist die Scherzbereitschaft ein wenig der Ernüchterung gewichen: Macht es in Deutschland wieder Schule, dass man die Bevölkerung nicht befragen muss, wenn man zur Gebietserweiterung schreitet? Erst wurde die DDR ohne Volksbefragung beigetreten. Dann trat man der EU ohne Volksbefragung bei. Was kommt als nächstes? Mallorca? Oder die Schweiz? Es stehen schon 285’000 Deutsche (mehr als Basler) in Schweizer Sold. Grund genug also, in die satirische Gegenoffensive zu gehen. Viktor Giacobbo ging der Frage nach: Muss Deutschland der direkten Demokratie der Eidgenossenschaft beitreten, damit nicht weitere ungefragte Völker vom grossen Kanton geschluckt werden?

Gestellt und bemüht

Viktor Giacobbo wird im Kanton Zürich dafür geliebt, dass er bissige Fragen stellen kann. Wenn er das überraschend tut, kann er Befragte wie kein anderer elegant entlarven. Aber im «grossen Kanton» wirken seine Fragen gestellt, seine Arrangements bemüht. Seine Fragen allein wären gar nicht so das Problem, sondern eher die Befragten: Dass Politiker häufig mal Blech reden, verhilft Satirikern zum Stoff für ihren Humor. Wenn nun hier Politiker sich als Satiriker gebärden wollen, entsteht dabei höchstens Edelblech, und noch seltener Humor. Stattdessen geben gut vorbereitete Promis lange und weilige Antworten, ja, singen (feinsinnig der Freysinger Oscar als heller Barde im Bild) sogar auch mal ein Liedchen zum Thema, das uns wieder an das Blech erinnert, das Politiker gerne reden. Das hat manchmal Aberwitz, selten Witz und nie politische Schärfe.

Als Dokumentarfilm fehlt dem «Grossen Kanton» die Überraschung der Befragten mit echter Information. Ausser ein paar verblüffenden Zahlenspielen schafft der Film keine freche Zuspitzung.

Als Mockumentary liefert Giaccobo keinen Plot, höchstens ein paar hübsche Pointen, die aber doch eher wie Recyceltes aus vergangenen Zeiten wirken. Die Grundidee erschöpft sich geistig rasch, weil auch der satirische Horizont der Befragten so rasch erreicht ist.

Humorlose Politiker?

Als Schulfernsehbeitrag liefert der «Grosse Kanton» immerhin den Beweis, dass Politiker auch Humor haben wollen. Dass es beim Willen bleibt, ist in einer Willensnation nicht erstaunlich. Sie können wollen wie sie wollen – die Stärke der Befragten bleibt deutlich im ungewollten Humor. Das beweist das kläffende Hündchen hinter der SVP-Politikerin. Einen Höhepunkt liefert dann auch Frau Merkel, wenn sie vor einer blinden Europakarte unfreiwillig zu einer leicht tolpatschigen Gebietserweiterung Deutschlands schreitet, indem sie Berlin kurzerhand mal nach Moskau verlegt.

Am Sonntagabend füllen Giacobbo/Müller das 99cm-Bildschirmformat allemal mehrheitstauglich. Für die Grossleinwand reicht das Format des «Grossen Kantons» nicht aus. Was fehlt, liesse sich in einem Kapitel zusammenfassen: Wie stünde es im Kanton Teutschino mit der Satire? Der «Nebelspalter» wäre im Humorzeitschriften-Ranking die Nummer 31, und erhielte Konkurrenz von der eingeschweizten «Titanic».

Dieter Hildebrand

Schweizer Satire dürfte sich an der Geistesschärfe von Dieter Hildebrandt erfreuen oder mit Matthias Richling oder Georg Schramm messen. Wenn Denker dort Deutschland «den grössten Nettozahler der EU» nennen würden, würde vielleicht auch darauf hingewiesen, dass es die deutschen Steuerzahler sind, die netto zahlen. Warum? Um Griechenland zu retten? Nein, weil Griechenland, das EU-Land mit dem grössten Militär-Budget, die meisten Waffen aus Deutschland kauft, mit Krediten aus Deutschland, die es jetzt an die Deutschen Banken nicht mehr zurückzahlen kann, wenn es von den europäischen Steuerzahlern kein Geld erhält. Eigentlich ist nicht Griechenland bankrott, sondern die deutsche Moral. Interessant hierbei auch, dass die Deutsche Bank wie die Bundesbank an den Zinszahlungen von Griechenland, Spanien und Portugal so viel verdient, dass Brüssel die deutschen Steuerzahler (und nicht die Deutsche Bank) verpflichtet, an die EU zurück zu zahlen. Auf solches weisen angriffige Satiriker im Kanton Walhalla gerne mal hin.

Georg Schramm

Im Kanton Zürich aber verschont man mit pfiffiger Kost Schweizer Gehirne. Da klopft man beim Lachen anstatt an Köpfe lieber auf Schenkel – von Nachbarn. Da fehlt dann doch, das, was Satire ausmacht – in allen Kantonen: Sie darf nämlich «Menschen vor den Kopf stoßen, damit sie lernen, ihn zu gebrauchen».

Weckt da der Dokumentarfilm «Schweizer Geist» etwas mehr Geist? Viele werden hier befragt, die nicht so lange darüber nachdenken durften, was sie von der Schweiz halten. Diese einfachen Leute benennen Klischees und weisen auf Altbekanntes hin. Das überrascht uns nicht. Dennoch vermitteln die 90 Minuten Postkartenbilder eine Ahnung von einem real existierenden schweizerischen Multikulti-Geist, der sich vor und in den Bergidyllen am Leben hält. Das ist grandios fotografiert und weckt fast ein wenig die Sehnsucht, wir könnten nur als Touristen leben, oder alle unsere Arbeitsplätze lägen in den Berggipfeln. «Schweizer Geist» beweist, dass es unzählige Postkartenecken in der Schweiz gibt, an denen sich gut atmen lässt. Er beweist auch, dass für den Urlaub und den Ruhestand ein schönes Reiseland auf uns wartet.

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