Im Wahlkampf ist alles politisch. Das Küssen. Die Bibel. Und das Geflügel. In den Lokalen einer Fast-Food-Kette kommt es zusammen.
Falls Sie Ihren Küssen eine politische Bedeutung geben wollen, haben Sie dazu in dieser Woche Gelegenheit. Vorausgesetzt, Sie sind gerade in den USA. Und Sie haben nichts gegen den Duft von Frittieröl, Barbecue-Soße und stark gezuckerter Limonade.
Je nachdem, welcher Gesinnung Sie sind, stehen Ihnen unterschiedliche Termine zum Küssen zur Verfügung.
Am Mittwoch ist der Tag für die christlichen FundamentalistInnen. Wer Gott, die Bibel, die traditionelle Familie und das Vaterland liebt, sich als Patriot versteht und die gleichgeschlechtliche Ehe für ein Übel hält – der geht am Mittwoch.
Wer hingegen schwul oder lesbisch ist, gleiche Rechte verteidigt und das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe für einen gesellschaftlichen Fortschritt hält – geht am Freitag.
Doch so unterschiedlich die Überzeugungen sein mögen, der Treffpunkt für beide Gruppen ist derselbe romantikfreie Ort: Eines der nach Frittieröl, gebratenen Hühnchen und Barbecue-Sosse duftenden Chick-fil-A Lokale. Davon gibt es landesweit mehr als 1600. Die meisten liegen in Vorstädten und Highway-Nähe.
Der Chef der Fast-Food-Kette, ein gewisser Dan Cathy, schliesst seine Lokale am Sonntag zum Gebet, erzieht seine Angestellten zu Werten, die auf der Bibel basieren und spendet der Nationalen Ehe-Organisation und anderen extrem rechten Gruppen Millionen. Sich selbst und seine Familie preist er folgendermaßen: „Unser Unternehmen ist in Familienbesitz. Und wir sind mit unseren ersten Frauen verheiratet“.
Doch den Run auf seine Lokale hat Dan Cathy erst mit einer Serie von Interviews ausgelöst, die er im Juli evangelikalen Zeitungen und Fernsehsendern gab. Unter anderem mahnte er darin vor dem „Gottesgericht“, das die Nation durch die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe provoziere.
In der aufgewühlten Wahlkampfstimmung ist das eine durchsichtige Erklärung gegen die Wiederwahl von Präsident Barack Obama. Seit er es gesagt hat, ist Dan Cathy für die einen ein Held, für die anderen ein Feindbild.
Bei den Unterstützern machte der ehemalige republikanische Präsidentschaftskandidat Mike Huckabee, der heute für den Fernsehsender Fox arbeitet, den Anfang. Er rief für den ersten August zu einem „Chick-fil-A Anerkennungs Tag“ in den Lokalen von Dan Cathy auf. Als eine der ersten Prominenten liess sich Sarah Palin händchenhaltend mit Mann und Kind sowie frittierten Hühnchen in einem der Fast-Food-Lokale fotografieren. Binnen weniger Tage kündigten mehr als eine halbe Million us-amerikanische FundamentalistInnen an, dass sie ihr folgen und mit ihren Familien noch mehr Chicken-Sandwiches essen werden.
Auf der anderen Seite erklärten demokratische Bürgermeister verschiedener Grossstädte – darunter Chicago, Baltimore und San Francisco – dass sie „andere Werte“ hätten, als die Fast Food Kette. Mehrere Geschäftspartner kündigten Chick-fil-A die Zusammenarbeit. Und Schwulengruppen im ganzen Land riefen zu einem „National Same Sex Kiss Day“ am 3. August auf. Aus ihrem Aufruf: „Niemand ist gezwungen, etwas zu essen. Es reicht, in ein Lokal hineinzugehen. Jemanden vom eigenen Geschlecht zu küssen. Sich dabei fotografieren zu lassen. Und das Bild ins Facebook zu stellen“. Der Termin ist der Jahrestag der Berufung des ersten offen schwulen Bischofs.
Am Mittwoch bildeten sich Schlangen von hunderten gottesfürchtigen Unterstützern vor manchen Chick-fil-A Lokalen. Am Freitag wird es voraussichtlich weniger Kinder und Kreuze, dafür aber mehr Farben bei dem nächsten politischen Run auf die Lokale geben.
Auf die Überzeugung der beiden Seiten – und auf den Wahlausgang – wird die Aufregung vermutlich keinen Einfluss haben.
Aber für Dan Cathy dürfte sie sich auszahlen. Er ist nicht nur ein gottesfürchtiger Christ. Sondern auch ein guter Geschäftsmann.