«Der Hundertjährige»: Ein Road-Movie der besonderen Art

Als Buch wurde der Schelmenroman von Jonas Jonasson bereits millionenfach verkauft: Jetzt sprengt die Generation Ü-90 auch die Kinos in die Luft: Aber bitte: Bleiben Sie der deutschen Synchronfassung fern. Sonst werden Sie nie erfahren, was Tom Robbins meinte mit: It’s never too late to have a happy childhood! Allan Karlsson steigt aus dem Fenster. […]

Als Buch wurde der Schelmenroman von Jonas Jonasson bereits millionenfach verkauft: Jetzt sprengt die Generation Ü-90 auch die Kinos in die Luft: Aber bitte: Bleiben Sie der deutschen Synchronfassung fern. Sonst werden Sie nie erfahren, was Tom Robbins meinte mit: It’s never too late to have a happy childhood!

Allan Karlsson steigt aus dem Fenster. Er will seinen Geburtstag nicht im Altersheim feiern. Das ganze Dorf und die Presse warten dort auf ihn – vergeblich. Der Hundertjährige möchte nämlich lieber ganz ohne Rummel einen Schnaps trinken. Also nimmt er den nächsten Bus und fährt so weit er mit seinen letzten fünfzig Kronen darf. Und kommt nie mehr zurück.

Dieser Hundertjährige wollte nie etwas wissen von seinem Jahrhundert. Doch das Jahrhundert auch nicht von ihm – zu Unrecht: Auf wundersame Weise ist nämlich Allan Karlsson in alle grossen Ereignissen dieses Jahrhunderts verwickelt. Seine grosse Kinderfreude, Dinge in die Luft zu sprengen, bringt ihn um die halbe Welt. Während er unterwegs seinen Schnaps trinkt, erinnert er sich an manch eine Begegnung aus seinem hundertjährigen Leben: Er hat im Laufe seines Lebens fast alle wichtigen politischen Persönlichkeiten der Weltgeschichte getroffen und mit ihnen – nicht nur einen  – Schnaps getrunken.

Die Sprengkraft des einfachem Mannes

Wenn auch vieles an den Haaren herbeigezogen wirkt, (und in der deutschen Synchronisation gar verstellt!) so verstehen wir bald, dass dieser naive Schelm nicht alles nur geträumt haben kann: Als er gleich zu Beginn der Bus-Reise unter merkwürdigen Umständen zu einem Geldkoffer kommt, beginnen wir zu ahnen, dass seine Reise weiter führen wird, als in die nächste Kneipe. Bald wird er von einer ganzen Rocker-Bande verfolgt.

Der Schelmenroman von Jonas Jonasson, in Deutschland ein Bestseller, in Schweden bereits ein nationales Denkmal, ist jetzt von Regisseur Felix Herngren als Loblied auf den einfachen Mann mit werktreuer Derbheit inszeniert worden. Neben dem schwedische Komiker Robert Gustafsson hat fast die ganze alte Garde der schwedischen Theaterleute dem Buch zum spektakulärsten Kinostart der Schwedischen Filmgeschichte verholfen.

Zwischen den Zeilen des Originals schlummert die Anarchie

Wer die Anarchie der alten Herren wirklich geniessen will, sollte tunlichst die deutsche Synchronfassung meiden. Schweden haben zu ihrem ‚Folkhemmet‘ nicht nur eine eigene Assoziationswelt. Der schwedische Humor lebt auch von der leisen Aufmüpfigkeit, die Figuren wie ‚Schweijk‘ oder der ‚Soldat Läppli‘ auch kennen. Wenn auch der Regisseur Felix Herngren die Vorlage von Jonasson schon fast zu wörtlich verfilmt, sollte man wenigstens den Sprechwitz der Original Schauspieler nicht mit dem deutschen Kurzhaarschneider synchronisieren.

Das Original hat eben ganz differnzierte Haare auf den Zähnen. Auf Schwedisch ist der Humor voller subtiler Anarchie, oft verbunden mit schrägem Lokalkolorit (wenn wir zum Beispiel erfahren, dass mitten in Stockholm ein sowietisches U-Boot strandet). Was zwischen den Zeilen steht, hat die deutsche Synchronisation fast ausgemerzt.

Wer Ralph Carlsson, Iwar Wiklander oder Robert Gustafsson im Original an den Lippen hängt, darf ein wenig jenes Gefühl erleben, das man fast nur noch in Schweden kennt – Tom Robbins hat es einst so formulierte: «It’s never too late to have a happy childhood.» Wer die deutsche Synchronfassung sieht, wird nie wissen, was er damit meint.

Wie leicht man den wortkargen alten Schweden selbst ohne Untertitel folgen könnte – hier zum Vergleich: Bitte, erst schwedisch.

Und dann deutsch entstellt:

Der Film läuft im Original in den Kult-Kinos und hin und wieder auch in den Pathé-Kinos.

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