Kaum ist im Tessin am Freitag das neue Verhüllungsverbot in Kraft getreten, wurde bereits dagegen verstossen. Ein Mann und eine Frau, die mit einem medienwirksamen Auftritt in Locarno gegen das Gesetz protestierten, wurden umgehend gebüsst.
Bei den beiden handelt es sich um die Schweizer Konvertitin Nora Illi und den algerischen Unternehmer Rachid Nekkaz, die sich beide zum Salafismus bekennen. Mit einem blauen Niqab bekleidet ging die Schweizerin begleitet vom Algerier und ihrer Tochter am Freitag über die Piazza Grande in Richtung Ratshaus und dem Sitz der Stadtpolizei.
Eine Polizeipatrouille hielt sie an und brachte sie auf den Posten, wo die Schweizerin die erste Busse aufgrund des neuen Gesetzes erhielt. Die Höhe ist noch nicht bestimmt. Der Mann wurde mit 230 Franken gebüsst, weil er die Frau dazu angestiftet haben soll.
Die Konvertitin ist beim Islamischen Zentralrat Schweiz (IZRS) für Frauenangelegenheiten zuständig. Gemeinsam mit Nekkaz wollen sie und der IZRS die Busse anfechten, «wenn nötig gehen wir bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, weil das Gesetz eine Beleidigung für muslimische Frauen ist.»
Nekkaz hatte bereits Ende 2015 angekündigt, dass er sämtliche Burka-Bussen im Tessin bezahlen wolle. Sein Ziel sei, das Gesetz «zu neutralisieren». Nach Inkrafttreten des französischen Burkaverbots 2010 hatte Nekkaz einen Millionen-Fonds zur Verteidigung der «Freiheit und der religiösen Neutralität des Staates» gegründet.
In Frankreich hat er nach eigenen Angaben mittlerweile mehr als tausend Bussen bezahlt, zudem 261 in Belgien und zwei in Holland – total gab er bisher 243’000 Euro für die Bussen aus. Er kämpfe gegen ein freiheitsfeindliches Gesetz, sagte er gegenüber Journalisten.
Auch der Islamische Zentralrat Schweiz kritisiert das Gesetz in einer Mitteilung: «Ob die Taliban Frauen nötigt, eine Burka zu tragen oder die Tessiner Regierung sie dazu zwingt, den Niqab abzunehmen, darin besteht in der Sache kein Unterschied.»
Weder Burka noch Niqab
Das von der Tessiner Bevölkerung 2013 angenommene Verbot der Vollverschleierung verbietet das Tragen von Ganzkörperschleiern (Burka) oder Gesichtsschleiern (Niqab) im öffentlichen Raum. Im November 2015 hatte der Tessiner Grosse Rat entschieden, ein Ad-hoc-Gesetz für das Burkaverbot zu erlassen. Parallel wurde das Gesetz über die öffentliche Ordnung revidiert, in dem auch ein Vermummungsverbot, beispielsweise für Hooligans, erfasst wurde.
Für Besucherinnen und Besucher sieht das Gesetz keine Ausnahmen vor. Laut dem Kommissionsbericht von November 2015 sollen sie bereits am Flughafen oder an Zollstellen über das Verhüllungsverbot im Kanton informiert werden. So könnten «böse Überraschungen» vermieden werden. Dies sei unter anderem im Interesse der Tourismusindustrie.
Kopftuch- und Burkaverbote beschäftigten in letzter Zeit Politik, Behörden und Gerichte in der Schweiz immer wieder. In einem Grundsatzurteil taxierte das Bundesgericht Ende Dezember ein Kopftuchverbot an Schulen als unzulässig. Die gesetzliche Grundlage für ein Verbot sei zwar vorhanden. Im konkreten Fall einer Schule in St. Margrethen SG fehle es jedoch an einem öffentlichen Interesse, das ein Verbot rechtfertigen würde.
Auf nationaler Ebene läuft derzeit die Unterschriftensammlung für die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot». Die Initianten vom sogenannten «Egerkinger Komitee» um den Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann haben bis am 15. September 2017 Zeit, die nötigen 100’000 gültigen Unterschriften zu sammeln.