Der «Schrei nach Liebe» und sechs weitere musikalische Zeichen gegen Rassismus

Wegen der Anteilnahme am Schicksal der Flüchtlinge in Europa und als Zeichen gegen rassistische Ausbrüche schafft es «Schrei nach Liebe» von den Ärzten nach 22 Jahren wieder in die Charts. Gegen Rassismus haben Musiker immer wieder deutlich Stellung bezogen, besonders in der amerikanischen Black Music. Eine nicht abgeschlossene Liste mit sieben Beispielen. Wegen der Anteilnahme […]

Wegen der Anteilnahme am Schicksal der Flüchtlinge in Europa und als Zeichen gegen rassistische Ausbrüche schafft es «Schrei nach Liebe» von den Ärzten nach 22 Jahren wieder in die Charts. Gegen Rassismus haben Musiker immer wieder deutlich Stellung bezogen, besonders in der amerikanischen Black Music. Eine nicht abgeschlossene Liste mit sieben Beispielen.

Wegen der Anteilnahme am Schicksal der Flüchtlinge in Europa und als Zeichen gegen rassistische Ausbrüche schafft es «Schrei nach Liebe» von den Ärzten nach 22 Jahren wieder in die Charts. Natürlich waren die Berliner nicht die Ersten: Gegen Rassismus haben Musiker immer wieder deutlich Stellung bezogen, besonders in der amerikanischen Black Music. Eine nicht abgeschlossene Liste mit sieben Beispielen.

1. Die Ärzte: «Schrei nach Liebe»

Die Parallelen sind frappant: In den frühen Neunzigerjahren brannten in Deutschland Asylunterkünfte, Fremdenhass – damals auf Flüchtlinge aus den Jugoslawienkriegen – entlud sich in gewalttätigen Aktionen. Die Ärzte stellten sich mit «Schrei nach Liebe» dagegen, orteten bei Neonazis Liebesdefizite («Deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit») und landeten mit dem Stück ein fulminantes Comeback. 22 Jahre später entflammt in Teilen Ostdeutschlands erneut der Hass auf Asylsuchende – und das Ärzte-Lied kehrt zurück. Mit der «Aktion Arschloch», benannt nach der, nun ja, Kernbotschaft des Songs, rief ein Musiklehrer aus dem Rheinland mit einer viralen Kampagne dazu auf, «Schrei nach Liebe» als Zeichen gegen Fremdenhass wieder nach oben in die Charts zu hieven. Was auch gelang: zumindest in den Download-Charts ist «Schrei nach Liebe» nun an der Spitze. Der Erlös der Kampagne geht dabei nicht an die Berliner Doktoren, sondern komplett an die Vereinigung «Pro Asyl». Übrigens: Auch die anderen so langlebigen wie erfolgreichen Deutschpunks, Die Toten Hosen, rechneten nach der Anschlagwelle in den Neunzigern mit den Neonazis ab. «Sascha» schaffte es 1993 auf Platz 4 der Charts – ob er nun ebenfalls wiederkehrt, ist noch offen.

2. Billie Holiday «Strange Fruit»

Die Zeilen lassen erschauern, auch nach über 75 Jahren. «Southern trees bear a strange fruit / 
blood on the leaves and blood at the root / black body swinging in the Southern breeze / 
strange fruit hanging from the poplar trees.» 1939 nahm Billie Holiday «Strange Fruit» erstmals auf und packte in das (nicht von ihr getextete) Lied die ganze Tiefe ihrer eigenen Erfahrungen mit dem alltäglichen, gewalttätigen Rassismus in den USA, den die afroamerikanische Bevölkerung erleiden musste. «Strange Fruit», das in seinen drastischen Worten rassistische Lynchmorde beschreibt, wurde besonders wegen Holidays eindringlicher Interpretation als kontrovers aufgenommen und jahrzehntelang von den US-Radios ignoriert. Heute ist es wie kaum ein anderer Song mit dem leidvollen Weg der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung verknüpft – und hat in den vergangenen Jahren und Monaten aufgrund der Reihe von Tötungsfällen gegen schwarze Jugendliche durch weisse Polizisten ein bedrückend aktuelles Echo erfahren.

3. Sly & The Family Stone: «Don’t Call Me Nigger, Whitey»

Dieses Stück ist nur das deutlichste einer kompletten Antirassismus-Platte: 1969 veröffentlichten Sly & The Family Stone das Album «Stand!» und verabschiedeten sich damit vom damals üblicherweise apolitischen Soul und Funk. «Stand!», der Albumtitel drückt es aus, hatte eine klare Mission: Gegen Rassentrennung und Diskriminierung aufzustehen – oder, noch besser, anzutanzen. Songs wie das Titelstück «Everyday People» und natürlich das Slogan-gewordene «Don’t Call Me Nigger, Whitey» standen nicht nur für scharfen Protest, sondern für ebensolche Beats.

4. Public Enemy: «Fight The Power»

1939 Billie Holiday, 1969 Sly & The Family Stone, 1990 Public Enemy mit «Fight The Power» – Klage, Trauer und Wut gegen rassistische Diskriminierung sind durch die Jahrzehnte hindurch ein Leitthema der Black Music und ihrer Subgenres geblieben. Und sie belegen, wie hartnäckig sich dieser Ungeist hält. «Fight The Power» bringt lyrisch einen neuen Ton hinein: Zwar ist auf der Gesetzesebene mittlerweile Gleichberechtigung eingekehrt, gesellschaftlich wie kulturell hält die Segregation jedoch weiterhin an. Schwarze haben nach wie vor nicht dieselben Chancen  («We’re not the same cause we don’t know the game»), auf den Briefmarken ist noch immer kein afroamerikanisches Konterfei erschienen, und selbst die Musik haben die Weissen von den Schwarzen geklaut: «Elvis was a hero to most / But he never meant shit to me / Straight up racist, the sucker was / Simple and plain».

5. Bob Marley: «War»

Machtvolle Worte, die der Reggae-König für seine Hymne gegen Krieg und Rassismus wählte: «Until the philosophy which holds one race superior and another inferior is finally and permanently discredited and abandoned, everywhere is war.» Rassismus und Suprematie als Triebfeder für endlose Kriege – es war eine Analyse, deren düstere Bitternis sich selten so in Marleys Texten wiederfindet. Denn die Worte stammten nicht von ihm, sondern aus einer Rede, die der damalige äthiopische Kaiser (und von den Anhängern der Rastafari-Bewegung als Messias verehrte) Haile Selassie 1963 vor den Vereinten Nationen in New York hielt. Marley, selbst überzeugter Rastafari, übernahm Teile der Rede Wort für Wort, um einen seiner tiefsten Songs zu schreiben.

6. The Clash: «White Riot»

The Clash waren eine der prägendsten Bands, die den Antifaschismus im Punk verankerten. Anders als die nihilistischen Zeitgenossen der Sex Pistols verstanden sich The Clash als politische Aktivisten. Der Systemumsturz zählte ebenso zu deren Zielen wie die Gleichbehandlung der Rassen. Die Band um Joe Strummer gehörte zu den Begründern des ersten Antirassismus-Festivals «Rock Against Racism» (das mit dem Slogan «Nazis Are No Fun!» warb), von dem der Clip zu «White Riot» stammt. Und damit haben The Clash den britischen Punk als subkulturelle Wehr gegen die rassistische Politik der damals wachsenden Partei National Front auf Kurs gebracht. Eine politische Essenz, die dem Punk fortan erhalten bleiben sollte, wie etwa die Dead Kennedys deutlich belegten.

7. Die Goldenen Zitronen: «Das bisschen Totschlag»

Zum Schluss noch einmal Deutschland, noch einmal frühe Neunzigerjahre, Brandanschläge auf Asylheime und Hoyerswerda. Natürlich haben auch Die Goldenen Zitronen, Deutschlands beständigste politische und wahrscheinlich intelligenteste Band, das Thema aufgegriffen – und dabei nicht nur Betroffenheit markiert ob den Anschlägen, sondern auch die verdeckte Heuchelei und Tatenlosigkeit, die solche Gewaltausbrüche erst ermöglichten, kritisiert. Und dabei freigelegt, dass Lichterketten und andere medial gut verwertbare «Zeichen» zwar das Gewissen beruhigen – aber auch nicht mehr: «Ist ja gut jetzt, alte Haut, wir ham schon Schlimmeres
 gesehen / und ich sag noch: Lass uns endlich mal zur Tagesordnung übergehn.» Das beisst im schlechten Gewissen, dass es weh tut – auch heute noch.

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