Der stärkste Gegner ist die eigene Verletzlichkeit

Wer wird am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (26.–28. August) Schwingerkönig? Der Favorit, der ohne Verletzung durchkommt, denn die Verletzungsgefahr ist auch für die Besten im Sägemehl eine ständige Begleiterin. Und: Noch nie gab es vor einem Eidgenössischen derart viele Verletzte.

Der benommene Buendner Beat Clopath aus Bonaduz erholt sich nach seiner Verletzung im Kampf gegen Joerg Abderhalden am Brunnen am Sonntag, 27. Juni 2010, am Nordostschweizer Schwingfest in Naefels. (KEYSTONE/Arno Balzarini)

(Bild: Keystone/ARNO BALZARINI)

Wer wird am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest (26.–28. August) Schwingerkönig? Der Favorit, der ohne Verletzung durchkommt, denn die Verletzungsgefahr ist auch für die Besten im Sägemehl eine ständige Begleiterin. Und: Noch nie gab es vor einem Eidgenössischen derart viele Verletzte.

Rippenprellung, Rippenbruch, Schlüsselbeinbruch, Schulterprellung, Rückenprobleme, Oberschenkelzerrung, Muskelfaserriss, Knöchelverstauchung, Kapselriss und weit oben in der Hitliste: Kniescheibenverletzung, Bänderzerrung, Bänderdehnung, Bänderriss, Meniskusschaden, Knorpelschaden, Kreuzbandriss.

Für die schwächeren wie auch für die bösen Schwinger ist die Gefahr von Verletzungen jeglicher Art eine ständige Begleiterin. Keiner weiss, wie die Saison ausgehen wird, die er mit Hoffnung und Zielen in Angriff genommen hat. Und wenn am Ende der Saison das Eidgenössische Fest steht, schwingt Sonntag für Sonntag eine Ungewissheit mit, die Angst, den Höhepunkt des Jahres zu verpassen.

Noch nie so viele verletzt vor einem Eidgenössischen

Ernsthaft verletzte Schwinger gab es schon seit Anbeginn der Sportart. Verlässliche Statistiken über die Verletzungen in den einzelnen Jahren und vor allem in den eidgenössischen Jahren liegen allerdings nicht vor.

Deshalb muss man sich auf einen allgemeinen Eindruck verlassen. Und der besagt, dass die Zahl verletzter eidgenössischer Kranzschwinger vor keinem Eidgenössischen so hoch war wie in der Saison 2016, die am 27./28. August mit dem Höhepunkt in Estavayer (FR) abgeschlossen wird.

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Die Aufzählung der havarierten Sägemehlakrobaten will nicht aufhören. Sie beginnt beim Berner Dreigestirn: Schwingerkönig Matthias Sempach konnte nach fast einjähriger Pause infolge einer gravierenden Fussverletzung und einer anschliessenden Bauchmuskelzerrung erst Mitte Mai wieder eingreifen. Seither hat er immerhin Ruhe. Kurz zuvor war die Leidenszeit des Schwingerkönigs Kilian Wenger zu Ende gegangen. Aber noch im Mai musste der Berner Oberländer wegen Rückenproblemen ein weiteres, diesmal kurzes Timeout einlegen.



Matthias Sempach sitzt nach dem fuenften Gang gegen Reto Schmid verletzt im Saegemehl, beim Oberaargauischen Schwingfest, am Samstag, 23. Mai 2015 in Seeberg-Grasswil. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Matthias Sempach verletzt sich beim Oberaargauischen Schwingfest 2015 am Fuss. Für das Eidgenössische in Estavayer ist er wieder fit. (Bild: Keystone/PETER KLAUNZER)

Berner stark heimgesucht

Christian Stucki schlug sich zu Beginn der Saison mit einer Schambeinverletzung herum. Danach konnte der Seeländer einige Zeit schwingen, bis er Mitte Juli, just vor dem Berner Kantonalfest, eine Oberschenkelverletzung erlitt, die sich zu seinem Glück nur als Zerrung herausstellte. Der Start in Estavayer in der 52’016 Fans fassenden Arena von Payerne (VD) ist gesichert.

Aber wie sieht es mit einer vernünftigen Vorbereitung aus? Immerhin absolvierte er zwei Wochen vor dem Eidgenössischen einen valablen Formtest: Er gewann den Schwinget in Oberwil (BL) mit sechs Siegen.

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Wenn es heuer im Sägemehlring knackte, stammte das Knacken oft von einem Körperteil eines Berners. Tatsächlich erlitten ein paar namhafte Berner Trümpfe teilweise relevante Verletzungen: Florian Gnägi, Willy Graber, Simon Anderegg, Beat Wampfler, der ohnehin oft von Verletzungen heimgesuchte Matthias Siegenthaler und der hoffnungsvolle Jungschwinger Remo Käser, Sohn des Schwingerkönigs Adrian Käser.

Joel Wicki: ein gewichtiger Ausfall

Auch Spitzenschwinger der beiden anderen grossen Verbände Innerschweiz und Nordostschweiz blieben nicht verschont. Die bekanntesten Oldies Arnold Forrer und Martin Grab mussten zwischendurch wegen Verletzungen pausieren, ebenso der aufstrebende Jüngling Samuel Giger.



<p>Pfleger kuemmern sich am Basellandschaftlichen Schwingfest in Oberwil um Daniel Rytz, der sich im letzten Gang gegen Thomas Zindel verletzt hat (27. April 1997). Rytz, der sich eine Halswirbel-Verletzung zugezogen hatte, wurde von der Rega in ein Spital geflogen. Anfangs Mai bestaetigte sich dann der schlimme Verdacht: Der 19jaehrige Daniel Rytz aus Oberkulm (AG) ist querschnittgelaehmt. Am 1. August traten fast alle 'Boesen' aus der ganzen Schweiz in Oberkulm zu einem Benefiz-Schwingfest an, dessen Erloes dem Verunfallten zugute kam. Rytz selbst wohnte dem Fest als Zuschauer bei. (KEYSTONE/Michael Kupferschmidt)</p>

Eine der schlimmsten Verletzungen in der Geschichte des Schwingsports: Daniel Rytz verletzt sich 1997 in Oberwil am Halswirbel und bleibt querschittgelähmt. (Bild: Keystone/MICHAEL KUPFERSCHMIDT)

Auch Christian Schuler konnte nicht die ganze Saison bestreiten. Benji von Ah verletzte sich derart schwer, dass er die Innerschweizer Delegation am Eidgenössischen nicht wird anführen können. Seine Ellbogenverletzung wird nicht rechtzeitig ausgeheilt sein.

Die junge Innerschweizer Hoffnung Joel Wicki erlitt zwei Wochen vor dem Eidgenössischen einen Unterschenkelbruch. Wickis Abwesenheit wird den Innerschweizern, die endlich zum zweiten Mal in der Geschichte den Schwingerkönig stellen wollen, sehr wehtun.

Über Verletzungen wird kaum Buch geführt

Einer der Pechvögel war auch der starke Youngster Pirmin Reichmuth aus dem Kanton Zug. Kaum hatte er sich von seinem zweiten Kreuzbandriss erholt, verletzte er sich erneut. Mittlerweile ist er wieder gut im Wettkampf. Für den 17-jährigen, 202 Zentimeter grossen Hünen Michael Bächli vom Nordwestschweizer Verband ist die Saison dagegen vorbei. Der Aargauer erlitt seine zweite Kreuzbandverletzung in zehn Monaten.

Wie ist die Häufung von Verletzungen im eidgenössischen Jahr zu erklären? Laut dem Zürcher Sportarzt Walter Frey kann es mit der Entwicklung der Sportart zusammenhängen. Genauso gut könne es aber ein Ausreisser sein, ein Unglücksjahr mit besonders vielen Verletzungen. «Jeder Fall ist ein Einzelfall. Um verlässliche Aussagen zu machen, müsste man schon vollständige Statistiken von den früheren Jahren haben», sagt Frey.

Solche liegen nicht vor, weder im eidgenössischen Verband noch bei der Schwingerversicherung. Die Verletzungen der Mittelschwinger und der schwächeren Schwinger werden zum grössten Teil gar nicht publik, sie werden oft nicht einmal zur Kenntnis genommen, und Buch geführt wird darüber erst recht nicht.

Kreuzbandriss als GAU

Walter Frey, zu dessen Patienten auch etliche Schwinger zählen, räumt ein, dass die Entwicklung des Schwingens eine Rolle spielen kann. Auch nach Freys Einschätzung spielte früher allein schon das Körpergewicht eine grosse Rolle, ob es nun mit Muskeln oder mit Fett zustande kam. «Ein Schwinger wollte damals vor allem Masse haben. Das gab ihm die Gewissheit, dass er schwer zu besiegen war.»

Die älteren noch aktiven Schwinger bestätigen, dass sich der Sport mehr und mehr in Richtung Athletik, Kraft und Schnellkraft entwickelt hat. Die Schwünge und Züge sind explosiver geworden. Die Kräfte, die auf die Gelenke wirken, sind enorm. Und am häufigsten spüren es die Knie.

Der Albtraum jedes Schwingers hat einen Namen: Kreuzbandriss. Der Kreuzbandriss bedeutet immer, dass die Saison per sofort zu Ende ist.

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