Der Stoff, aus dem Almodóvars Filme sind

Am Donnerstag kommt «Julieta» in die Basler Kinos, der neue Film von Pedro Almodóvar. Der Stil des spanischen Regisseurs ist unverkennbar. Aber was sind die wichtigsten Zutaten in seinem Werk? Es sind sieben an der Zahl. Vor dreissig Jahren war Julieta jung und glücklich, nun ist sie 50 und steht vor den Trümmern des Lebens. […]

Bunt wie immer: Szene aus Almodovars neuestem Werk «Julieta».

Am Donnerstag kommt «Julieta» in die Basler Kinos, der neue Film von Pedro Almodóvar. Der Stil des spanischen Regisseurs ist unverkennbar. Aber was sind die wichtigsten Zutaten in seinem Werk? Es sind sieben an der Zahl.

Vor dreissig Jahren war Julieta jung und glücklich, nun ist sie 50 und steht vor den Trümmern des Lebens. Wie kommt sie da wieder raus? Was lief schief mit Mann und Tochter? Und wie schafft es Pedro Almodóvar, dass seine Frauen auch kurz vor dem Zusammenbruch noch so anbetungswürdig aussehen?

Zum Kinostart von «Julieta», des neuen Films von Pedro Almodóvar, die sieben wichtigsten Zutaten im Werk des spanischen Regisseurs.

1. Die Frau

Raimunda, die Putzfrau, die in der Küche das Blut ihres erstochenen Mannes vom Boden aufwischt. Manuela, die Krankenschwester, die auf der Suche nach dem Vater ihres verstorbenen Sohns zum guten Engel der Transvestiten-Szene von Barcelona wird. Gloria, die Hausfrau, die aus Frustration und Eifersucht im Affekt ihren Mann mit einer Schinkenkeule erschlägt. Die Kitschautorin Leo, der nach einer Ehekrise nur noch bizarre Tragödien gelingen. – Frauen tragen die Geschichten durch Almodóvars Filme, verehrungswürdig in ihrem Alltag, gebeutelt von Schicksalen, zuverlässig im Zusammenkehren der Scherben. Während die Männer, die Almodóvar ihnen zur Seite stellt, in der Regel als Unheilbringer dienen, stehen die Frauen im Zentrum der Geschichte und damit in der Welt von Almodóvars Kino.

Kein Wunder, dass sie immer wieder zu ihm zurückkehren – während Jahren hielt Carmen Maura seine Filme zusammen, später löste Victoria Abril sie ab, zuletzt war die aus Hollywood heimgeholte Penelope Cruz mehrmals seine Muse. Nur wenige Male schenkt Almodóvar Männern die Hauptrollen und erlaubt ihnen, mehr zu sein als Stichwortgeber, um die Story voranzubringen: In «La ley del deseo», «La mala educación» und «La piel que habito». Alles keine Heldengeschichten, sondern abgründige Romantik, in der sich die Figuren gegenseitig durch Macht, Gewalt und Wahn aneinanderfesseln und ins Verderben ziehen. Da hellen keine Schönheiten des Alltags die schwarzen Geschichten auf, und keine Mutterfiguren rücken am Ende die aus den Fugen geratenen Verhältnisse wieder gerade. Womit wir beim nächsten Punkt wären.

2. Die Begierde

«El deseo», die Begierde, hiess die Produktionsfirma, die Almodóvar zusammen mit seinem Bruder gründete. Und tatsächlich gründen zahlreiche seiner Filme darin, was Menschen einander aus lauter Leidenschaft antun können. Almodóvar braucht dafür keine weiteren Spezialeffekte als die geduldige Kamerafahrt über verschlungene Körper, etwa in der wunderbar gefilmten Bettszene von «Carne trémula». Sind die Verstrickungen von Körpern und Beziehungen in seinen früheren Filmen, etwa im Durchbruchswerk «Mujeres al borde de un ataque de nervios» noch als schrille Farce und überdrehte Komik erzählt, glühen die Menschen später unter der spanischen Sonne vor einem Verlangen, das in Gift umschlägt.

Neurosen kippen nicht in die Groteske, sondern in fatale Obsessionen, bis das Objekt der Begierde gebunden oder vernichtet ist. Beispielhaft die mythenbeladene Erzählung des plastischen Chirurgen Antonio Banderas in «La piel que habito», der das Ebenbild seiner verstorbenen Frau aus eingekerkerten jungen Menschen wieder heranoperiert, oder der entlassene Sträfling in «¡Átame!», der seine Auserkorene so lange ans Bett fesselt, bis sie freiwillig bei ihm bleibt. Leidenschaft bringt entweder Helden oder Monster hervor, sagte Almodóvar einst. In seinen Filmen meistens beides.

3. Die Tragödie

Man soll sich von den strahlenden Farben, den schönen Frauen und den manchmal so süffigen wie komödiantischen Schlenkern nicht täuschen lassen: Almodóvars Filme fahren genüsslich der Fallhöhe entlang, die auf seine Protagonisten wartet. Ähnlich den alten Göttern im griechischen Mythos lässt der spanische Regisseur seine Figuren an unsichtbaren Fäden ihren Ambitionen entgegeneifern, um danach umso härter zu Boden zu klatschen.

Auf den Regisseur und die hoffnungsvolle Schauspielerin in «Los abrazos rotos», die sich vor dem herrischen Produzenten und Ehemann in eine bessere Karriere und ein glücklicheres Leben davon machen wollen, warten Tod und Blindheit. In «Hable con ella» will ein Krankenpfleger durch Tablettenmissbrauch seiner Angebeteten ins Wachkoma nacheilen, was misslingt: Sie wacht auf, er stirbt. Und in der homosexuellen Dreiecksbeziehung «La ley del deseo» bringt sich der frisch entdeckte Antonio Banderas als getäuschter Liebhaber um, nachdem er den lang ersehnten Sex gekriegt hat.

Geschichten sind nach Dürrenmatt dann zu Ende erzählt, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen haben. Almodóvar hält sich nicht immer daran und erlaubt seinen Figuren manchmal in einem Anfall von Güte und Erbarmen, sich einigermassen unversehrt aus der Katharsis herauszuwinden. Aber wenn er wie ein Strafgericht über die Lächerlichkeit der menschlichen Hybris fährt, bleiben nur Trümmer übrig.

4. Der Witz

Was wäre das Melodram ohne seine Kontraste, den hinterhältigen Witz und schwarzen Humor. Almodóvar hat besonders in seinem Frühwerk seine drastischen Stoffe in bizarre Handlungen und frivole Töne gekleidet. Sein Spielfilmdebüt «Pepi, Luci, Bom y otras chicas del montón» handelt zwar von Vergewaltigung, sadistischen Ehemännern und brutalen Polizisten, denkwürdigste Szene ist jedoch ein Erektionswettbewerb in einem Punkschuppen in Madrid. Später gibt es schwule Islamisten, eine Groteske um Hitler-Tagebücher und reichlich makabren Witz über Selbstmordversuche.

Nach Jahren des Schwermuts, des beinahe schon Fassbinderschen trüben Realismus oder der bitteren Psychogramme ist Almodóvar zuletzt mit «Los amantes pasajeros» wieder zu den deftigen Zoten zurückgekehrt. Flott erzählt ist das noch immer, aber aus ausgefallenen sexuellen Vorlieben und entsprechend überbordendem Ulk lassen sich, anders als in den Achtzigerjahren, kaum noch Empörungspotenziale pressen. Sein Frühwerk benutzte den derben Witz und die Kulisse des urbanen Underground als bissige Attacken auf die Verklemmung des Franquismus. In «Los amantes pasajeros» bleiben noch vereinzelte ätzende Kommentare auf den Umgang einer krisengeschüttelten Gesellschaft mit ihren Ärmsten zurück: Was tut die Besatzung eines Passagierflugzeuges, wenn die Maschine kaputt ist und dem Absturz entgegenrast? Als Erstes die Economy Class unter Drogen setzen, damit sie von dem sich anbahnenden Crash nichts mitkriegt. Macht eh nur Ärger. 

5. Die Kirche

Aufgezogen von Mönchen in einem erzkatholischen Spanien, die ihn zu einem überzeugten Kirchengegner formten, muss die Kirche bei Almodóvar regelmässig für Attacken herhalten – entweder als Repräsentantin für verrottete Moral oder als Zielscheibe der Lächerlichkeit. Das begann 1983 mit «Entre tinieblas», dessen deutscher Titel «Das Kloster zum heiligen Wahnsinn» viel mehr nach dem schrägen Klamauk klingt, welcher der Film tatsächlich ist: eine lesbische Äbtissin, Nonnen als heimliche Autorinnen von Schundromanen, Drogendeals hinter Klostermauern.

Der derben Farce folgte in «Matador» die Geschichte eines jungen Stierkämpfers, dessen religiöse Mutter ihn mit strengen Dogmen zu einem psychischen Wrack mit erbärmlich gewaltobsessivem Männlichkeitsbild geformt hatte. Und «La mala educación» handelt von Missbrauch in einem katholischen Internat. Subtiler sind die Spitzen, die sich weniger gegen die Institution Kirche als gegen das moralische Denken richten, das im Verbund mit der faschistischen Diktatur jahrzehntelang das Denken in Spanien vergiftete. Die Wiederkehr der Toten («Volver»), die unheilvolle Dynamik von Schuld und Sühne, die exzessive Promiskuität und die sexuellen Brutalitätsneurosen als Resultat einer unterdrückten Freiheit sind die Themen, durch die sich Almodóvars zerrüttetes Personal mühen muss.

6. Der gesellschaftliche Rand

Transvestiten, Punkrocker, Prostituierte – vor allem in seinen Anfängen schuf Almodóvar Figuren, die sich am Rande der Gesellschaft bewegen und aus jenen subkulturellen Randregionen Madrids stammen, in denen sich der junge Regisseur selbst bewegte. Um Milieustudien, das zeigten besonders die krachenden Komödien, ging es Almodóvar hingegen nicht, sondern um das Niederreissen der damals noch starren gesellschaftlichen Schranken. Quasi als Spiegelbild zu Woody Allen, bei dem der kultivierte Vorhang der bürgerlichen Gesellschaft regelmässig zerfällt, setzt Almodóvar seine Nachtvögel dem Verlust, der Obsession, der Rache – also existenziellen zwischenmenschlichen Herausforderungen aus. Herausragendes Werk dieses Strangs ist das preisgekrönte, für Almodóvar ungewohnt stille «Todo sobre mi madre», das fast ausschliesslich in der Transvestitenszene von Barcelona spielt, es jedoch behutsam vermeidet, ein Sozialdrama zu erzählen. Um Freundschaft geht es, um Krankheit und Tod und darum, dass nichts so sehr das Leben in geordnetem Gang hält wie der Gleichmut, mit dem Schicksalsschläge hingenommen werden.

7. Der Autorenfilmer

Man kann durch Almodóvars Schaffen nicht hindurchschauen, ohne dahinter den europäischen Film der Sechziger- und Siebzigerjahre zu erblicken. Seinen Landsmann Buñuel vor allem, etwa im Anfangsbild von «Volver», einem mehrdeutigen Stilleben einer vom Wind verwehten, hitzegetränkten Dorflandschaft. Auch Almodóvar hat mit seinen mittlerweile zwanzig Kinofilmen seine Marke, seine Kennzeichen geschaffen. Visuell, aber vor allem in der Erzählung. Das beweist sein internationaler Ruf, der sich der anhaltenden ästhetischen Treue zum Trotz behauptet.

«Wir sollten den Autorenfilm verteidigen», sagte der Regisseur in einem aufschlussreichen Interview, als er den Welterfolg von «Todo sobre mi madre» deutete. «Europäisches Kino ist das Gegenteil von Globalisierung, es ist das Gegenkonzept zum Einheitsdenken Hollywoods.» Diese Abwehr reflektiert natürlich sein filmisches Schaffen, das allzu menschliche Geschichten gerne aus den Nischen heraus erzählt. Aber sie verrät auch, wie die Marke Almodóvar – die Storyline seines neuen Film «Julieta» belegt es – ihr Thema gefunden hat, das sich in der Redundanz selbst stilisiert.

Almodóvars Filme sind mittlerweile auch dann sofort als solche erkennbar, wenn dem Betrachter nicht mehr Penelope Cruz‘ überwältigende Sinnlichkeit entgegenstrahlt. Sie haben ihren Ton. Wahrscheinlich deshalb drehen sich seine Werke immer häufiger um ihr eigenes Wesen: In «Volver» besetzt eine Filmcrew die Küche der Hauptperson, «La mala educación» versteckt seine Erzählung postmodern als Drehbuch im Drehbuch und schreibt sich laufend um.

Am augenfälligsten war sein Selbstgespräch mit dem Kino 2009 in «Los abrazos rotos», der als Film komplett im Filmmilieu spielt. Hier wird das Liebespaar aus Regisseur und Schauspielerin vom gehörnten Produzenten durch das eigene Werk in den Karriereknick, den Ruin und schliesslich das Verderben getrieben – indem dieser den gemeinsamen Film vor der Premiere zu einem unverständlichen Machwerk voller Mängel zusammenschneiden lässt. Unzählig sind die cinéhistorischen Anspielungen: die als Wiedergängerin von Sophia Loren inszenierte Penelope Cruz, der alte, von Kontrollwahn besessene Produzent als Anspielung auf Orson Welles‘ «Citizen Kane» oder Robert Mitchums «The Last Tycoon». Das Unglück überfällt Almodóvars Figuren nun nicht mehr durch direkte, rohe Gewalt, sondern aufgrund der gemeinsamen Leidenschaft: dem Film.
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«Julieta» läuft ab 19. Mai im Kultkino Basel.

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