Digitale Kunstwerke sind auf elektronischen Medien gespeichert, die innert kürzester Zeit veraltet und nicht mehr erhältlich sind. Für die Konservierung digitaler Kunst ist das ein Problem. Die Ausstellung «Digital Art Works» im Haus für elektronische Künste Basel zeigt anhand zehn Fallstudien, wie das gelöst wird.
1993 hat der Genfer Künstler Hervé Graumann den Maler Raoul Pictor entworfen. Pictor schreitet in seinem auf Zweidimensionalität heruntergepressten Wohnzimmer vor der Staffelei hin und und her, manchmal setzt er sich zur Inspiration ans Klavier, bis er eine Eingebung hat und ein Bild malt. Danach signiert er das Bild in Latein und schickt das Unikat an den Drucker.
«Raoul Pictor cherche son style», so der Name des Werks, ist ein Computerprogramm. Entworfen hat es Graumann für den Macintosh LC 475, ein Modell aus der ersten Reihe des Herstellers Apple, der zur Farbdarstellung fähig war. Das war in den frühen neunziger Jahren – in Computerjahren: tiefstes Mittelalter.
Will man Graumanns Werk konservieren, stellt sich das Verschleissproblem. «Raoul Pictor cherche son style» wurde für einen Rechner entworfen, der längst überholt ist und heute nicht mehr hergestellt wird. Auf modernen Rechnern läuft das Programm nicht. Will man des Malers Schöpfungsprozess ausstellen, braucht man also die Hardware dazu – den alten Macintosh und den dazugehörigen Drucker, um das gemalte Bild auszudrucken. Man findet diese Modelle heute noch im Gebrauchtwarenhandel oder auf Onlinebörsen von Liebhabern.
Auch Geräte veralten rasend schnell
Ein weiteres Problem ist die Endlichkeit der Geräte: ihre Laufzeit ist beschänkt, ihre Zahl begrenzt. Irgendwann findet man keinen Ersatz mehr. Graumanns Werk droht damit der Verlust: Man kann die Geräte zwar nachbauen. Weil Computer – und andere Darstellungsträger digitaler Kunst wie Festplatten und Bildschirme – jedoch nicht in kleiner Stückzahl, sondern industriell für den Massenkonsum hergestellt werden, ist der finanzielle Aufwand einzelner Nachbauten beträchtlich.
Diesen Problemen in der Konservierung digitaler Kunstwerke geht die Ausstellung «Digital Art Works – The Challenges Of Conservation» im Haus für elektronische Künste Basel auf den Grund. Die Ausstellung beruht auf einem EU-Forschungsprogramm, das vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) anhand von zehn Fallstudien entwickelt wurde. Die Studien sollen Möglichkeiten zeigen, wie sich Werke der digitalen Kunst unter den Bedingungen des rapiden technischen Wandels bewahren lassen. Die Objekte der zehn Studien sind seit Freitag im Haus für elektronische Künste ausgestellt, Graumanns digitaler Maler Raoul Pictor ist eines davon.
Ein anderer Fall ist Michael Naimarks «Karlsruhe Moviemap» von 1991, eine Tramrundfahrt durch das damalige Stadtbild von Karlsruhe. Per Fahrschalter kann sich der Betrachter durch das Schienennetz der Stadt manövrieren, die Fahrt wird mittels Videoprojektion in Echtzeit dargestellt. Die Installation nutzt als Datenträger eine Laserdisc, ein Medium also, das im Gegensatz zur DVD nur analoge Aufzeichnung und Wiedergabe ermöglicht. Auch diese Datenträger werden nicht mehr hergestellt. Das ZKM hat zusammen mit Naimark das Werk 2009 neu geschaffen. Das Stadtbild wird nicht mehr mit 16-Millimeter-Kameras erfasst, sondern digitalfotografisch, hinzu kam eine neu konzipierte Steuerung sowie die Fahrt in 3D.
Der Nachbau erfasst das Problem der kurzen Halbwertszeit von digitalen Kunstwerken, bietet aber auch einen Ausweg: der Neuentwurf unter aktualisierten technischen Bedingungen. Ob damit das Werk an sich oder «nur» dessen Idee konserviert wird, ist die strittige Frage.
900 Röhrenbildschirme als Ersatzteillager
Eine dritte Möglichkeit zeigt sich in «Internet Dream» des Südkoreaners Nam June Paik aus dem Jahr 1994, eine Videowand aus 52 Monitoren, die über die Gesamtfläche rhythmusartig wechselnde, elektronisch bearbeitete Bilder aus drei verschiedenen Videoquellen zeigt. Neben dem Spezialfall des Videosplitters, der die Bildsignale auf die verschiedenen Monitore sendet und eine südkoreanische Einzelanfertigung ist, werden auch die Röhrenbildschirme mittlerweile nicht mehr angefertigt. Auch die liessen sich, unter Bewahrung des Gehäuses, nachbauen, um den Effekt des gekrümmten Monitors beizubehalten. Oder man sammelt die noch übrig gebliebenen Geräte ein: Das ZKM hat erst kürzlich 900 davon vom Westdeutschen Rundfunk, wo sie nicht mehr verwendet werden, erhalten.
«Digital Art Works», der Titel spricht es doppeldeutig an, funktionieren – allerdings stellen sich an die konservatorische Arbeit neue, technische Herausforderungen. Die Ausstellung bietet über die zehn Fallstudien hinaus somit auch Einblick in die jüngste Technologiegeschichte und spricht unterschwellig eine Kritik an der auf Verkauf, Konsum und Verschleiss ausgerichteten Elektronik- und Computerbranche aus.
Hervé Graumann hat seinen digitalen Maler Raoul Pictor übrigens in die Generation der Smartphones hinübergerettet und das Programm als App für das iPhone neu geschrieben. Visuell ist der Anschluss an 1993 erhalten geblieben, noch immer sind die Farben konturlos satt und das Malzimmer zweidimensional. Dass die Werkidee – ein Kunstwerk, das mittels des konkreten Algorithmus‘ selbst Kunstwerke als Unikate schafft – auch in der Gegenwart noch auf Resonanz stösst, zeigen die Downloadzahlen der App. Tausende sollen sie sich bereits aufs iPhone geladen haben, vor allem in China und im arabischen Raum.
«Digital Art Works»: Haus für elektronischen Künste, Oslostrasse 10, Basel. Bis 31. März 2013. www.haus-ek.org