Die deutsche Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der wegen des Anschlags in Berlin europaweit gesuchte Tunesier Anis Amri am Steuer des Tat-Lastwagens sass. Darauf deuten Fingerabdrücke unter anderem an der Fahrertür hin. Gegen Amri wurde Haftbefehl erlassen.
Das sagte Behörden-Sprecherin Frauke Köhler am Donnerstagabend. Den Tag über hätten an verschiedenen Orten in Nordrhein-Westfalen und Berlin Durchsuchungen stattgefunden. Ausserdem sei ein Reisebus in Heilbronn kontrolliert worden. Festnahmen habe es bislang nicht gegeben.
Bei dem Anschlag am Montagabend waren 12 Menschen getötet und mehr als 50 verletzt worden. Auf die Spur des 24-jährigen Amri kamen die Ermittler, als sie im Lastwagen seine Duldungspapiere fanden. Das geschah aber erst am Dienstag, weil die Fahrerkabine zunächst versiegelt worden war.
Die Bundesanwaltschaft hatte den Fall noch am Montagabend übernommen, wie der deutsche Justizminister Heiko Maas mitgeteilt hatte. Sie ist für Straftaten zuständig, die die innere Sicherheit Deutschlands betreffen, insbesondere Terrorismus.
Die Bundesanwaltschaft rief die Bevölkerung zur Mithilfe auf und setzte 100’000 Euro Belohnung aus – das Schreiben dazu wurde auch auf Arabisch, Dari, Farsi und Urdu veröffentlicht. Zugleich mahnte sie zur Vorsicht: «Bringen Sie sich selbst nicht in Gefahr, denn die Person könnte gewalttätig und bewaffnet sein!» Die Ermittler hatten danach den Fahndungsdruck erhöht.
Unter den Todesopfern vom Monatagabend sind neben dem eigentlichen Camion-Fahrer aus Polen auch eine Italienerin und eine Israelin. Ein zunächst festgenommener Pakistaner kam wieder frei. Am Donnerstag wurde der Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz wieder geöffnet. Zum Schutz der Besucher wurden schwere Betonblöcke aufgestellt.
Merkel begrüsst besonnene Reaktion
Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüsste die besonnene Reaktion der Bürger auf den Anschlag in Berlin. «Ich bin in den letzten Tagen sehr stolz gewesen, wie besonnen die Menschen, die grosse Zahl der Menschen auf diese Situation reagiert», sagte sie. Millionen Menschen hofften darauf, dass der Täter bald gefasst werde.
Deutschland habe «theoretisch immer gewusst, dass wir auch Zielscheibe des internationalen Terrorismus sind». Wenn der Fall eintrete, sei es aber «noch einmal etwas ganz anderes», sagte die Kanzlerin.
In Deutschland seien in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um dem Terrorismus Herr zu werden. Heute befinde man sich in einer Bewährungsprobe. Dabei habe man die «Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf unserer Seite». Merkel äusserte sich überzeugt, dass «wir auch in der Lage sein werden, unser freies Miteinander, unser gutes und offenes Leben in der Gesellschaft auch beizubehalten».
Kaum enge Kontakte zu Salafistenprediger
Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa gibt es bisher keine Hinweise auf enge Kontakte von Amri zu dem kürzlich verhafteten Salafisten-Prediger Abu Walaa. Amri habe zwar in Salafistenkreisen verkehrt und sei auch in entsprechenden Wohnungen gewesen, hiess es aus Sicherheitskreisen. Ein wichtiger Teil eines salafistischen Netzwerkes sei er aber wohl nicht gewesen.
Von März bis September war Amri als sogenannter Gefährder von den Sicherheitsbehörden überwacht worden. Damit sind unter anderen radikale Islamisten gemeint, denen schwere Straftaten zugetraut werden. Beweise für konkrete Anschlagspläne konnten die Ermittler aber nicht finden.
Eine Abschiebung nach Tunesien scheiterte, weil Amri keinen Pass hatte. Seit Dezember gilt er als untergetaucht. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat sich zu dem Berliner Anschlag zwar bekannt, dass die IS-Miliz tatsächlich Verbindungen zu Amri hatte, ist aber unbewiesen.
Durch die Schweiz nach Deutschland
Nach Darstellung seiner Brüder verliess Amri Tunesien nach der Revolution 2011 und reiste als Teil einer Gruppe nach Italien. Den Behörden gab er nach Angaben der italienischen Polizei an, minderjährig zu sein, obwohl er es zu dem Zeitpunkt nicht mehr war. Er sei nach Catania auf Sizilien gebracht und dort eingeschult worden.
Im Oktober 2011 sei er festgenommen worden, nachdem er versucht habe, seine Unterkunft in Brand zu setzen. Er sei dann wegen Vandalismus, Bedrohungen und Diebstahl verurteilt worden.
Im Mai 2015 sei Amri nach dreieinhalb Jahren Gefängnis freigelassen worden und sollte abgeschoben werden. Tunesien habe sich aber geweigert, ihn aufzunehmen. Er sei dann aus der Abschiebezentrale entlassen worden mit der Auflage, Italien zu verlassen. Anschliessend kam er über die Schweiz nach Deutschland, wie die Nachrichtenagentur Reuters meldete.