Dictator? Great!

Bringen Sie ihren demokratischen Verstand in Sicherheit. Der Film versucht sie um denselben zu bringen.   Satire, von den Römern als literarische Gattung erfunden, hatte es immer schwer, ernst genommen zu werden. Erasmus wurde missverstanden, Heine verfolgt, Tieck belächelt. Goethe wurden seine Satiren gerade mal verziehen. Der Kabarettist Werner Finck musste – während des dritten […]

Diktator Aladin zieht im Big Apple ein

Bringen Sie ihren demokratischen Verstand in Sicherheit. Der Film versucht sie um denselben zu bringen.

 

Satire, von den Römern als literarische Gattung erfunden, hatte es immer schwer, ernst genommen zu werden. Erasmus wurde missverstanden, Heine verfolgt, Tieck belächelt. Goethe wurden seine Satiren gerade mal verziehen. Der Kabarettist Werner Finck musste – während des dritten Reiches – sein Publikum auffordern, nicht zu lachen, weil sonst auch die anwesenden Nazis bei seinen Witzen mitkommen würden, und er dann wohl auch mitkommen müsse … Grass, der mit der „Blechtrommel“ satirische Weltliteratur schuf,  erfuhr kürzlich die Höchststrafe für Satiriker: Er wurde ernst genommen. (Während viele Spassmacherinnen glaubten, er könne das nicht ernst gemeint haben …) Satire ist eben, wie eine Landmine, eine Waffe, die man oft erst erkennt, wenn jemand in die Luft geht.

 

Satire kann auch für Satiriker lebensgefährlich sein: Hätte Tucholsky sich nicht selber umgebracht, wer weiss, ob die Nationalsozialisten das nicht auch gerne für ihn erledigt hätten, wie bei Erich Mühsam. Verspricht uns Sasha Baron Cohens „Dictator“ also einen lebensgefährlichen Abend? Nun, da sich auch ohne Verstand gut leben lässt, wohl eher nicht.

Satiriker müssen – so sie gut sind – schon mal um ihr Leben fürchten. Morus wurde im Mittelalter hingerichtet, der Rapper Shahin Najafi flüchtete vor mittelalterlich anmutenden iranischen Todesdrohungen, der Komiker Zarganar wurde vor zwei Jahren ins mittelalte birmesische Gefängnis gesteckt, der dänische Karikaturist Westergaard lebt nur noch mit Body-Guards. Ist Cohen, der, soweit ich weiss, noch in Freiheit lebt, bloss ein gut bezahlter Spassmacher, weil er noch keine Dschihad-Drohung erhalten hat? Sondern nur auf dem Radar der „al-Aqsa Martyrs-Brigaden“ landete. Hat ers wieder übertrieben?

Seit weltweit Kameras auch die Wirklichkeit einfangen, kennt die Satire ein neues Problem: Bei der medialen Inbesitznahme der Bilder durch Machthaber, muss der satirische Film eine neue Definition von Wirklichkeit schaffen. (Schiller vermutete noch: «Satirisch ist der Dichter, wenn er die Entfernung von der Natur und den Widerspruch der Wirklichkeit mit dem Ideal zu seinem Gegenstand macht … je nachdem er entweder im Gebiet des Willens oder im Gebiet des Verstandes verweilt»). Aber die Wirklichkeit hat die Satire längst überholt: Eine Party à la Berlusconi würde einer Schweizer Satire-Sendung übel angerechnet. Aber wie rechnet man mit den Fernsehstationen ab, die bei jedem Auftritt des Cavaliere mitverdienen wollen? Adriano Celentano und Roberto Benigni geben hierbei ein Beispiel, wie man sich bei Berlusconi entschuldigt. Benigni diktiert einen Entschuldigungsbrief an den Cavaliere, weil er ihn beleidigt hatte. Er ihn. Oder er ihn?

 

Die Parodie, die Cohen uns von den Diktatoren gibt, ist nahezu menschlich, so dass sie uns erlaubt, das Prinzip dahinter zu erkennen: Machthaber, auch Diktatoren, sind nur so lange an der Macht, wie ihre Völker sie gewähren lassen. Oder ein bisschen länger: Wenn sie ihre Völker umbringen. Meist tun sie das ja Machthaber ohnehin. In Raten. Ohne Volk ist aber auch so ein Diktator kein Machthaber mehr. Die Hitler-Parodie von Chaplin war in Vielem viel wirklicher, als die triste Wirklichkeit, nicht zuletzt jener gefälschten Wirklichkeit, die Hitler der Öffentlichkeit vorgaukelte:

Auch Dani Levy hat seinem Diktator  durchaus menschliche Züge abgewonnen, um ihn umso deutlicher zu entlarven. 

  

und Lubitsch, der mit grösster Meisterschaft die Welt hinter den Nazis entlarvte, gewann sogar den gehassten Untergebenen noch liebenswerte Seiten ab.

Chaplin, Lubitsch, Levy haben mit Cohen eines gemeinsam: Sie entlarven eine entsetzliche Wirklichkeit auf leichtfüssige Weise.   

Nach Gaddaffis Camping-Auftritten, Kim Jong Ils Kürzesstrecken-Raketen-Versuchen und Berlusconis Medien-Parties fällt es Satire zunehmend schwer, die Wirklichkeit an Aberwitz zu übertreffen, weil eben dieser Aberwitz uns in den Medien täglich  erreicht: Der Regenschirm-TV-Auftritt von Gaddafi ist durch Satire einfach nicht mehr zu übertreffen. Oder doch? Wenn Sie die Einfahrt von Sasha Baron Cohen in New York sehen, wissen Sie wie: Nein, der Diktator kommt nicht mit einem Zelt, er reitet auf einem Kamel und ist erst noch ein Double. Aber das wäre noch Wirklichkeit. Die Wirklichkeit wirklich erkennbar machen erst die Geliebten, die hinter dem Diktator in sechzig hellblauen Lamborghinis auffahren dürfen. Cohen macht klar: Wo früher politische Satire noch an den Verstand appellieren mochte, ist er heute gezwungen, uns um denselben zu bringen. Chaplin kämpfte mit seinem „Diktator“ noch gegen einen erklärten unerklärbaren Feind, den Führer. Cohen sieht die Räuber andernorts. Und – ist selbst einer: Er raubt uns den Verstand. 

Gadaffi und Kill Dumm Kill bescherten jahrelang den Fernsehunternehmern hinreissendes Entertainment, den demokratischen Waffen-Industrien und Banken Milliardengewinne. Aber seit auch demokratische Machthaber am Businessmodell „Ohne Völker wäre Regieren viel einfacher“ Interesse zeigen, lässt der Medien-Hipe um Diktatoren merklich nach. Seit es in den Demokratien bald mehr unzufriedene Völker als in den Diktaturen unzufriedene Diktatoren gibt, könnten Völker, die ihre Machthaber in den Diktaturen zum Teufel schicken, bald Nachahmer finden – auch in Demokratien. Seit demokratische Politiker ihre Völker beim Regieren zusehends als hinderlich empfinden, sorgen selbst Siege über Diktatoren nicht mehr so richtig für abendfüllendes Entertainment: Busch durfte noch Sadams, Sarkotzi Gadaffis, und  Obama Bin Ladens Tötung mitteilen. Aber wer wird der Welt den Tod des Bankensystems mitteilen?

 

„Dictator“ stellt nicht die Demokratie in Frage. Er stellt alles in Frage. Selbst die Namen von Diktatoren (s.o). Cohens Satire ist eine Waffe, die vor keinem Tabu zurückschreckt. Da kriegen alle ihr Fett weg – selbst fette Kinder (die dafür eigentlich dankbar sein sollten). Wenn irgendeine Bevölkerungsgruppe auf der Welt nach diesem Film keinen Grund hat, in einen eiligen Dschihad zu ziehen, dann nur, weil der Witz zu schnell ging: Manch eine blitzgescheite Pointe haut so rasch an uns vorbei, dass wir uns viel zu lange über die nächste, platte, ärgern, die die nächste, weniger geistreiche Pointe, ablöst.

Bei Cohen erfahren Sie, dass Satire eine Waffe sein kann, die in Köpfen Denkverbote sprengt: Cohens „Dictator“ ist nicht „Great“ wie jener Chaplins. Aber,  wenn Sascha Baron Cohens Diktator, nachdem er sein Praktikum im Bioladen in New York hinter sich, und sein Double umgebracht hat, vor der UNO eine Lobrede auf die Diktatur hält, darf man ruhig auch mal kurz an Chaplin denken. Während das Genie von damals pathetisch an die Menschlichkeit appellierte, lobt der „Dictator“ von Cohen ebenso leidenschaftlich die Vorteile der Diktatur. Bis wir gemerkt haben, dass er in seinem Hohelied der Diktatur lauter Ungerechtigkeiten aufzählt, die eben gerade Demokratien auszeichnen, hat er uns schon den Verstand geraubt. Spätestens dann wird uns klar, wer Cohens Feinde sind: Der volle Verstand. Solange Machthaber bei vollem Verstand ein brennendes Bankensystem mit Benzin löschen, damit sie ihre Macht nicht verlieren, ist es besser man bringt solche Machthaber um  – ihren Verstand. Machthaber, die beim Regieren das Volk als störend empfinden sollten nicht vergessen, dass Völker auch mal auf Diktatoren schiessen. Und Demokraten dazu neigen, dann zu applaudieren.

Der junge Diktator Aladin

Der junge Diktator Aladin

Wenn Sie also Ihren demokratischen Verstand in „Dictator“ riskieren wollen: Seien Sie darauf gefasst, dass sie sehr oft weit unter ihrem Niveau lachen werden. Immerhin müssen sie in unseren Kinos auf eines nicht gefasst sein: deswegen gefasst zu werden.

 

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