Girls und Gadgets, Song und Bösewicht – das erwartet uns im längsten Bond-Film aller Zeiten.
Schon nach den ersten paar Minuten des neuen Bond-Abenteuers «Spectre» plumpst der britische Geheimagent unvermittelt auf ein Sofa. Das geschieht zwar nicht ganz freiwillig, trotzdem fragt man sich für den Bruchteil einer Sekunde, ob ein Bond in Ruhestand überhaupt denkbar ist. Und selbst wenn die Handlung und wohl auch die Motivation von Hauptdarsteller Daniel Craig diesmal Ermüdungserscheinungen zeigen, lautet die Antwort selbstverständlich: NO EFFING WAY!
Hier darum noch einmal die wichtigsten Merkmale, die diesen neuen Bond wie die alten aussehen lässt: klassisch geschnitten wie ein Massanzug, aber mit wechselnden Applikationen und allem Chichi, die dem Zeitgeist auf den Leib geschneidert sind.
1. James Bond
Er würde sich lieber die Pulsadern aufschneiden, als noch einmal James Bond zu spielen, liess sich Daniel Craig vor wenigen Tagen ganz undiplomatisch in einem Interview zitieren. Leicht gemacht wurde ihm der Karrieresprung zu Ihrer Majestät beliebtester Doppelnull wahrlich nicht. Als «James Blond» wurde der Charakterdarsteller bespöttelt, der nicht einmal ein Auto mit Gangschaltung fahren könne. Aus eigener Erfahrung darf man hinzufügen: Dass er wegen einer Erkältung 2006 seinen Promoauftritt in der Schweiz absagte und wir beim Interview stattdessen mit Nebendarsteller Anatole Taubman vorlieb nehmen mussten: not cool.
Die Ansprüche an Bond-Darsteller sind also gross. Britisch muss er sein, klar, weil nur ein Engländer den Klassenkampf derart verinnerlicht hat, dass er zwischen Proletariat und Oberschicht so spielend leicht wechseln kann, wie es seine Grenzgänge zwischen den unterschiedlichen Milieus erfordern. Dazu kommen Gardemass, das den Agenten in Smoking wie in Badehose gleich gut aussehen lässt, sowie ein untrüglicher Killerinstinkt, auch was Frauen anbelangt. Craig spielt diesen Bond wie eine englische Bulldogge, verbissen, aber auch mit einem geschüttelten Mass an Selbstironie und Verletzlichkeit. Trotz aller Vorschuss-Häme hat Craig das in seinen Filmen so gut hinbekommen wie seit Sean Connery keiner mehr.
In «Spectre» hat Bond seine inneren Dämonen so weit überwunden, dass er sich auch einmal eine Kugel verkneifen kann: «Ich habe Besseres zu tun», sagt der Agent, und spricht Craig damit aus dem Herzen.
2. Die Handlung
Nach «Skyfall» (2012) führt Sam Mendes zum zweiten Mal in Folge Regie bei einem Bond-Abenteuer, doch nach der emotionalen Kernschmelze des vergangenen Abenteuers wirkt «Spectre» lediglich wie ein Aufwisch von Ideen und losen Enden, die noch im Schneideraum herumlagen. Das Bemühen, die Bond-Filme der Ära Craig abschliessend zu würdigen und den Geheimbetrieb in einigermassen geordnete Verhältnisse zu bringen, damit der Nachfolger problemlos andocken kann, ist offensichtlich.
«Spectre» ist ein Übergangsfilm, der zeigt, was war und was kommen könnte. Unter Craig hat sich Bond so weit von seinem Erbe als Kalter Krieger entfernt, wie das nur möglich war: Statt mit dem Gerangel ideologisch verfeindeter Grossmächte hat es Bond nach «Skyfall» schon wieder mit Cyberterroristen zu tun, immerhin die Weltbeherrschungspläne sind noch die gleichen. Pikanterweise lässt Mendes mit «Spectre» jene Verbrecher-Geheimorganisation aufleben, die Bond-Autor Ian Fleming 1959 als Ersatz für die bösen Russen erfunden hatte: Bis zur Verfilmung von «Thunderball», so glaubte der Schriftsteller, würde sich der Kalte Krieg überholt haben.
Apolitisch und amoralisch ist dieser Krake, der seine Arme in alle Richtungen ausstreckt, um in den Datenströmen zu fischen. Als Drohgebilde einer Überwachungsdystopie ist das schön unverfänglich, aber wer weiss: Bis Bond seinen neuen Auftrag erhält, könnten sich die transatlantischen Beziehungen weiter abgekühlt haben. Wer auch immer Craigs Nachfolger wird, er muss sich warm anziehen.
3. Der Bösewicht
Damit ein Auftragskiller und potenzieller Frauenverächter wie Bond glänzen kann, braucht es umso beeindruckendere Finsterlinge. Ernst Stavro Blofeld, geborener Oberhauser, heisst der Kopf der Krake in «Spectre», gespielt vom versierten Bösewicht-Darsteller Christoph Waltz. Doch vielleicht sind wir nach all den psychisch und physisch versehrten Schurken der vergangenen Filme (Mads Mikkelsen, Mathieu Amalric und Javier Bardem) etwas verwöhnt, jedenfalls vermag das Sprachentalent Waltz unseren Gaumen nicht wirklich zu kitzeln. Als grauer Funktionär der Angst sitzt er zwar an den Hebeln der Macht, aber die Fantasie, was mit dieser Macht alles angestellt werden könnte, traut man ihm dann doch nicht so recht zu.
In «Spectre» gibt sich Blofeld als Urheber der Leiden zu erkennen, die Bond in den vergangenen Filmen über sich ergehen lassen musste. Und ging es in «Skyfall» darum, wer der bessere Muttersohn ist, dreht sich die Frage jetzt darum, wer dem Ersatzvater der zuverlässigere Sohn war. Oder so ähnlich. Psychoanalytiker werden an dem familiären Kuddelmuddel jedenfalls ihren Freud haben.
4. Die Gadgets
Man muss es sagen: Wir hätten uns mehr Kuriositäten erhofft. Aber schräge Gadgets sind im heutigen Zeitalter eher als Apps denn als physische Werkzeuge verfügbar. «Smart Blood» heisst denn auch die grösste Innovation, die Q seinem Agenten unterjubelt. Und zwar unter die Haut. Ein Geotracker in der Blutbahn. Dazu gibt es noch – das Product Placement verlangt es so – eine Schweizer Uhr mit zündender Wirkung.
Hinzu kommen britische Fahrzeuge. «Aber ich sagte doch: Bring ihn in einem Stück zurück – und nicht: Bring ein Stück davon zurück!», sagt Q über den letzten Fahrzeugeinsatz von Bond. Nun, Bond bringt ein Fahrzeug gar nicht mehr zurück, weil er es nach einer «Fast & Furious»-Verfolgungsjagd versenkt. Für einmal, ohne dass dieses Auto auch schwimmen könnte.
Ansonsten bewegt sich Bond auffallend oft in der Luft: Wer von der Herbstmesse nicht genug kriegt, wird sich an den schwindelerregenden Helikopterszenen erfreuen.
5. Die Bond-Girls …
… sind Bond Women! Nicht nur Bond wird reifer (er lässt gleich zu Beginn eine sexuelle Gelegenheit aus, weil die Arbeit ruft!), auch die Damen, die ihn betören, wirken erfahren.
Léa Seydoux schiesst scharf.
Bestes Beispiel dafür ist Monica Bellucci. Im Film spielt sie Lucia Sciarra, die Witwe eines italienischen Kriminellen. Bond hat ihrem Mann das Leben genommen – und gibt ihr in einem Techtelmechtel die Leidenschaft zurück. Mit ihren 51 Jahren ist Bellucci das älteste Bond-Girl aller Zeiten. Rekord!
Bedeutend mehr Filmminuten verbringt der Agent aber mit Madeleine Swann, gespielt von Léa Seydoux (die durch ihre Rolle in Ursula Meiers Film «Sister» bereits bekannt sein dürfte). Sie spielt nicht das klassische Betthäschen, sondern steht für eine toughe, selbstständige junge Frau. Vorbei die Zeiten blauäugiger, naiver Bond-Girls. In einem Interview sagte Seydoux zu ihrer Figur: «Sie braucht ihn nicht und sie wartet nicht darauf, dass er sie rettet.»
6. Die Locations
James Bond hat in der Vergangenheit mehr Zeit auf Zugdächern als in Zügen selber verbracht. Nicht so im neusten Film: Eine Zugreise führt ihn von Tanger durch Marokko in die Wüste – und Bond bleibt konsequent im Abteil, nicht darüber. Je tiefer der Zug in die Wüste eindringt, um so mehr fürchtet man, dass der Film abdriftet, in jene Ödnis, in die uns Marc Forster mit «A Quantum of Solace» geführt hatte. Keine Bange, diesmal müssen wir uns nicht über einen öden Bond-Film hinwegtrösten, auch wenn der Hauptsitz des Bösewichts, eine Oase, wenig prickelnd ist.
Dafür gefallen die Aufnahmen von Marokko, ebenso jene des kolossalen Rom, wo Bond über die Kopfsteinpflaster rast. Dass er danach in den österreichischen Alpen durch den Schnee stampft, nun, ist aus Schweizer Sicht natürlich bedauerlich. Ob Bond auch des starken Frankens wegen unsere Nachbarn bevorzugt, lässt sich nicht belegen, dafür aber, dass die Eröffnungssequenz für eine wunderbare Maskerade steht, die mit ihren Rhythmen und der Mischung aus Party und Bedrohlichkeit an die Voodoo-Szenen in «Live and Let Die» oder den Karneval in «Moonraker» erinnert. So taucht Bond in Mexico City in den «Dia de los Muertos» ein, den Tag der Toten. Ein wunderbares Setting für den Anfang des 24. Bond-Films, bei dem es auch um wandelnde Totgeglaubte geht.
7. Der Song
Er ist leider zum Vergessen. Natürlich, wer Adele beerben muss, hat es nicht leicht. Immerhin war «Skyfall», der Song, fast so gross wie die Klassiker von Shirley Bassey («Goldfinger», «Diamonds Are Forever»). Das lässt sich nicht so rasch toppen, haben sich die Produzenten wohl gesagt und sich für eine Männerstimme entschieden: Sam Smith, Brite, 23, changiert in «Writing’s on the Wall» zwischen Kopf- und Bauchstimme, vermutlich, um auf den gespaltenen Bond anzuspielen, der sich zwischen einem Mädchen und seinem Leben entscheiden muss.
Einem Bond-Film stünde aber eine tiefere Männerstimme besser – wer erinnert sich nicht gerne an Tom Jones‘ «Thunderball»? Noch schwerer wiegt aber die Ideenlosigkeit im Songwriting. Das Lied plätschert, statt zu ergreifen – daran mag auch die üppige Orchestrierung nichts zu ändern. Was nützt das schönste Waldhorn, wenn die Melodie nicht einfährt?
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«Spectre» läuft am 5. November in den Schweizer Kinos an.