Die Schweizer Wirtschaft ist im zweiten Quartal 2012 gegenüber dem Vorquartal um 0,1 Prozent geschrumpft. Hauptverantwortlich dafür waren die Exporte. Ökonomen sehen die Schweiz am Rand einer Rezession oder zumindest vor einer deutlichen Konjunkturdelle.
Die Schweiz sei definitiv keine Insel der Seligen mehr, sagt David Marmet, Spezialist für Schweizer Ökonomie bei der Zürcher Kantonalbank, auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. Die Binnenwirtschaft sei zwar noch robust, bald werde sich aber die Exportschwäche durchschlagen. Schon jetzt sei das Wachstum des Privatkonsums gegenüber dem Vorquartal um zwei Drittel abgesackt.
Marmet hob hervor, dass das SECO die BIP-Zahlen auch für vorhergehende Quartale senkte. Der aktuelle Rückgang sei aber erstaunlich früh gekommen.
Die Haupthandelspartner Deutschland und Frankreich schwächelten, angesichts der Ermüdungserscheinungen in Fernost werde ein Ausweichen für die Exportindustrie schwieriger. Im dritten Quartal wäre ein weiterer BIP-Rückgang möglich und die Schweiz könnte in eine technische Rezession fallen.
Starker Rückgang der Exporte
Janwillem Acket, Chefökonom der Bank Julius Bär, teilt diese Einschätzung. Er schraubt seine Prognose für 2012 aufgrund der neuen Zahlen von 1,6 auf 0,5 bis 1 Prozent BIP-Wachstum zurück. Anpassungen der Wachstumszahlen aufgrund der Gesamtrechnung gebe es immer, diesmal seien sie aber stark, kommentierte er.
Die Exporte seien stärker gesunken als erwartet. Die Eurorezession werde immer spürbarer. Die Investitionen stagnierten und der Bau zeige Ermüdungserscheinungen.
Die Wirtschaft habe ihre Lagerbestände jetzt abgearbeitet. Die Einkaufsmanagerdaten zeigten nach unten. Die Schweiz „steht am Rand der Rezession“, sagte Acket. Ein Absturz sei angesichts der tiefen Zinsen, der Zuwanderung und Vollbeschäftigung indessen nicht zu erwarten.
Das Wirtschaftsinformationsinstitut Bakbasel, das in Wochenfrist Prognosen vorlegen wird, kündigte an, Korrekturen nach unten vorzunehmen. Die revidierten Daten legten das nahe. Hinzu kämen die weltweit eingetrübten Aussichten für die zweite Jahreshälfte.
Geschrumpfte Industrie – intakte Baukonjunktur
Im zweiten Quartal 2012 sanken die konjunkturrelevanten Warenexporte ohne Wertgegenstände wie Preziosen, Edelmetalle und Kunstgegenstände um 0,7 Prozent, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) am Dienstag mitteilte.
Dabei war die Mehrzahl der Sektoren rückläufig. Einzig die Ausfuhr von Uhren, Päzisionsinstrumenten und Fahrzeugen wuchs. Die Exporte von Dienstleistungen sanken um 0,9 Prozent.
Die Warenimporte schrumpften um 0,5 Prozent primär wegen den Fahrzeugen. Chemikalien, Maschinen, Apparate und Elektronik verzeichneten einen Anstieg. Dienstleistungsimporte stiegen um 1,8 Prozent.
In der Produktion sank die Wertschöpfung in der Industrie um 1,1, im Handel um 0,7 und und damit verbunden bei den Finanzdienstleistungen um 0,8 Prozent. Das Baugewerbe profitierte weiterhin vom Boom und steigerte sich um 1,5 Prozent.
Dadurch stieg die Wertschöpfung bei freiberuflichen, wissenschaftlichen und ähnlichen Dienstleistungen um 0,5 Prozent. Der öffentliche Sektor legte um 0,7 und das Gesundheitswesen um 0,2 Prozent zu.
Die Inlandinvestitionen stagnierten. Wegen der Kältephase im Februar kam es im ersten Quartal zu einem Rückgang der Bauinvestitionen, der im zweiten Quartal teilweise aufgeholt wurde. Die Bauinvestitionen stiegen um 1 Prozent.
Die Ausrüstungsinvestitionen hingegen sanken gegenüber dem Vorquartal um 0,9 Prozent. Negativ entwickelten sich Maschinen- und Fahrzeugindustrie.
Konsum steigt nur noch mässig
Die privaten Konsumausgaben stiegen im zweiten Quartal noch um 0,3 Prozent. Dazu trugen die Ausgaben für Wohnung, Wasser, Strom, Gas und andere Brennstoffe sowie Gesundheitspflege und Verkehr bei. Die Konsumausgaben des Staates und der Sozialversicherungen expandierten kräftig um 1 Prozent.
Letztmals war das BIP im dritten Quartal 2011 gegenüber dem Vorquartal rückläufig, und zwar um revidierte 0,2 Prozent. Das BIP wuchs darum 2012 um 1,9 und nicht um 2,1 Prozent. Im ersten Quartal 2012 wuchs das BIP gegenüber dem Vorquartal um 0,5 statt um 0,7 Prozent, wie zuvor gemeldet.
Nach unten korrigiert wurde die Zahlen wegen der im Sommer revidierten volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und einer neuen international angepassten Methodik.