Die Expertin des Psycho-Spiels

«In mir sieht es aus, wie ein einem Hotel. Ich erwache jeden morgen in einem anderen Zimmer.» Die schwedische Regisseurin Lisa Langseth legt eine Psychodrama-Studie vor. Lisa Langseth ist eine der grossen Hoffnungen des schwedischen Films. Für das Drehbuch ihres neuesten Films «Hotell» erhielt sie 2013 den schwedischen Filmpreis«Guldbagge». Als Dramatikerin und Regisseurin tritt sie […]

«In mir sieht es aus, wie ein einem Hotel. Ich erwache jeden morgen in einem anderen Zimmer.» Die schwedische Regisseurin Lisa Langseth legt eine Psychodrama-Studie vor.

Lisa Langseth ist eine der grossen Hoffnungen des schwedischen Films. Für das Drehbuch ihres neuesten Films «Hotell» erhielt sie 2013 den schwedischen Filmpreis«Guldbagge». Als Dramatikerin und Regisseurin tritt sie in grosse Fussstapfen von Multi-Talenten, die schreiben und inszenieren. Lukas Moodisson (Lyriker, Drehbuchautor, Filmregisseur), Suzanne Osten (Theater-Regisseurin und Drehbuchautorin), Niklas Rådström (Lyriker/Romancier/Drehbuchautor) und Lars Noren (Dramatiker, Theater-Regisseur) gehören schon zur Grosselterngeneration. Wie sie steht Langseth in der Tradition der schwedischen, realistischen Theaterkunst. Hansjörg Betschart unterhielt sich mit ihr über ihren neuesten Film, der demnächst in den Kult-Kinos anläuft.

Frau Langseth, Ihr Film «Hotell» zeigt Menschen, die in einer solidarischen Gesellschaft, für die Schweden steht wie kein anderes Land, gross geworden sind.

Schweden war einst eine sehr solidarische Gesellschaft. Doch meine Figuren leben in einer anderen Welt. Heute sind viele Errungenschaften der schwedischen Nachkriegszeit verloren. Das «Folkhemmet», (das «Volks-Heim») ist nicht mehr so warm. Es ist eher ein Hotel geworden. Die Betreuung der psychisch Kranken ist mangelhaft. Die Alten werden mässig versorgt. Schweden wird schleichend entsolidarisiert. Unsere Eltern sind noch in einem solidarischen Schweden gross geworden. Wir beginnen ein anderes Schweden kennen zu lernen. Eines das mehr und mehr wird wie das restliche Europa.

Ihre Figuren stecken alle in einer Krise. Welches war Ihre grösste Krise?

Ich habe weder eine dramatische Geburt erlitten, noch ein Kind, das behindert zur Welt gekommen ist. Der «Hotell» fasst eher Erfahrungen zusammen, die ich in krisenhaften Augenblicken gesammelt habe. Was macht das alles für einen Sinn? Wer liebt mich wirklich? Müsste ich nicht eine ganz andere sein? Das sind universelle Krisen. Sie stehen wie Methaphern.

Wie viele Therapien haben Sie hinter sich?

Ich habe als Heranwachsende psychische Erkrankungen in meiner Umgebung erlebt. Ich habe auch eigene Therapie-Erfahrungen. Ich kenne keine Berührungsängste, wenn es gilt, einen Lebensentwurf auszuprobieren, eine Änderung zu wagen.

Ihre Figuren sind nicht der Auffassung, dass eine Therapie die gesellschaftliche Anpassung bewirken soll? Sie?

Ich zeige zu Beginn Figuren, die sich in der Gesellschaft als Gemeinschaft nicht wohl fühlen. Ich zeige wie sie an sich arbeiten. Ich zeige, wie sie zu sich finden. Indem sie andere spielen.

Heisst das, sie verändern sich?

Die Figuren sind anders, als sie wieder in die Gemeinschaft zurückkehren, klar. Aber da erweist es sich, dass die Umgebung kränker ist, als sie von sich selber glaubt. Diese Hochzeitgesellschaft in der sie wieder in die Wirklichkeit zurückehren, steht für eine grosse Normalität.

Sie lassen Ihre Schauspielerinnen ist fast naturalistisch agieren, ihre Geschichte aber ist drastisch überhöht. Das erinnert an Ihre Theaterarbeit.

In der Tat habe ich viel Erfahrung im Umgang mit Schauspielern in der Arbeit am Theater gelernt. Dort spielen sie Figuren grösser als im Film. Dort ist das anders sein ein Thema der Kunst. Hier ist es der Inhalt. Schauspieler verändern sich während Probearbeiten.

Sie haben grosse Erfahrung in der Arbeit mit Schauspielern? Führt das zu dieser Mischung von Komik und Schwere in Ihrem Film?

Es fällt mir nicht schwer, mit den ausfälligen, exzentrischen Seiten von Schauspielern umzugehen. Sie können wie Kinder sein. Grosse Kinder. Mit den Defiziten von Kindern. Das ist manchmal komisch. Theaterproben sind ähnlich wie Therapie-Situationen – es sind auch dramatische Labor-Situationen. Was die Figuren im Film tun, könnte auch ein Schauspieler-Ensemble tun, das sich für seine Figuren kreativ interessiert.

Die Figuren in ihrem Film wollen andere sein, als sie sind. Das ist ziemlich anstrengend – und für uns oft distanzlos nah. Es sieht tatsächlich aus, als würde ihre Hauptfigur Erika – wie eine Theaterregisseurin – eine Schauspielertruppe verlassen, als sie am Schluss des Films in ein Taxi steigt. Erleichtert? Erkennen Sie sich in ihr wieder?

Da gibt es Parallelen. Sicher. Sie hat sich in der Woche verändert. Die Arbeit hat mich auch verändert. Die Figuren sind wohl alle zusammen ein Abbild meiner Innenwelt. Alle leben sie in mir und sind von einer Idee getrieben: Das macht wohl auch dieses Ideen-Drama aus.

 

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