Die Fachstelle für Behinderte wird geschlossen – das grenzt an Schildbürgerei

In wenigen Wochen wird die Fachstelle für Behinderte in Basel-Stadt geschlossen – selbst wenn die Regierung im Sinne einer Petition gegen die Schliessung Stellung nehmen sollte. Es droht ein fataler Know-how-Verlust. Die Empörung über die vom Basler Präsidialamt beschlossene Schliessung der Fachstelle für Behinderte per Ende Jahr ist nach wie vor gross. Behinderte Menschen wissen […]

Ein Schildbürgerstreich: Der befürchtete Know-how-Verlust durch die Schliessung der Behindertenfachstelle wird in jedem Fall eintreten – wenn die Regierung nicht endlich die nötigen Massnahmen ergreift.

In wenigen Wochen wird die Fachstelle für Behinderte in Basel-Stadt geschlossen – selbst wenn die Regierung im Sinne einer Petition gegen die Schliessung Stellung nehmen sollte. Es droht ein fataler Know-how-Verlust.

Die Empörung über die vom Basler Präsidialamt beschlossene Schliessung der Fachstelle für Behinderte per Ende Jahr ist nach wie vor gross. Behinderte Menschen wissen nur zu gut, dass weder die Bürgerinnen und Bürger noch die Verwaltungsangestellten über genügend Informationen über die wichtigsten Anliegen der Behinderten verfügen. Zudem gehen die rechtlich und fachlich komplexen Aspekte der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung weit über die einzelnen fachlichen Aufgaben der Dienststellen einzelner Departemente hinaus.

Die Behindertenfachstelle leistet hier übergeordnet und koordinierend seit zwölf Jahren wertvolle und unverzichtbare Arbeit, die das zuständige Präsidialdepartement im Vorfeld der Streichungsmassnahme nicht einmal evaluiert hat. Die Streichung hat nationale Beachtung gefunden und ebenso nationale Kritik ausgelöst. Der Grund ist einfach: Basel-Stadt ist bislang schweizweit ein Vorbild gewesen, verfügt es doch als einziger Kanton über eine Fachstelle für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.

Viel Fachwissen geht verloren

Der Schliessungsentscheid wird mit sachlich unhaltbaren Argumenten gerechtfertigt, etwa damit, dass der Gleichstellungsgedanke in den Departementen angekommen und im Bewusstsein der Verwaltung verankert sei. Betroffene machen andere Erfahrungen. Aus den unterschiedlichsten Gründen – wie etwa Arbeitgeberwechsel, Pensionierung etc. – ist die Fluktuation in den Dienststellen gross. Behinderungsspezifisches Wissen, das meist als Zusatzwissen in der verwaltungspraktischen Arbeit entsteht und nicht Bestandteil des beruflichen Anforderungsprofils ist, geht so leicht verloren.

Im Speaker’s Corner publiziert die TagesWoche ausgewählte Texte und Bilder von Community-Mitgliedern. Vorschläge gerne an community@tageswoche.ch.

Auch ist es anspruchsvoll, bei Planung und Umsetzung an alle möglichen Problemstellungen von Menschen mit Behinderung zu denken, die sehr unterschiedlich und vielfältig sein können. Körperbehinderte haben andere Probleme als Blinde oder Gehörlose, Menschen mit kognitiven oder psychischen Behinderungen stellen wieder ganz andere Anforderungen. Es ist also meistens nicht der böse Wille oder gar Absicht, dass man Anliegen der Behinderten nicht berücksichtigt, sondern schlicht Unwissenheit und mangelnde Erfahrung.

Gleichstellung heisst aus Sicht von Menschen mit Behinderung immer auch Nachteilsausgleich, oder wie es in Artikel 4 der Bundesverfassung heisst: «Das Gesetz sieht Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vor.» Die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ist ein wichtiges Thema. Das weiss nicht nur der Bundesgesetzgeber, das weiss halb Europa und schreibt deren Rechte in Verfassungen und Gesetzen nieder. Und nicht zuletzt darum hat die Schweiz 2014 auch die Uno-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Der Zeitpunkt für die Abschaffung der Basler Behindertenfachstelle ist denkbar falsch und in offensichtlicher Unkenntnis dieser Entwicklung erfolgt.

So werden Steuerfranken verschleudert

Die Petitionskommission des Grossen Rates beantragt dem Parlament nun aktuell, die im vergangenen April mit 7500 Unterschriften eingereichte Petition zur Stellungnahme in einem Jahr an die Regierung zu überweisen. Selbst wenn der Grosse Rat Basel-Stadt im Dezember eine Budgetkorrektur vornehmen sollte, wird die Fachstelle per Ende Jahr erst einmal geschlossen.

Der Schildbürgerstreich scheint nun einen zweiten Akt zu bekommen: Sollte die Regierung dann im Sinne der Petition Stellung nehmen, wäre die Fachstelle bereits seit Monaten geschlossen. Der befürchtete Know-how-Verlust wird in jedem Fall eintreten – wenn die Regierung nicht jetzt die nötigen und angemessenen Massnahmen dagegen ergreift.

Trotz Sparmassnahmen ist davon auszugehen, dass im Zeichen der Ratifizierung der Uno-Behindertenrechtskonvention durch die Schweiz im Jahre 2014 andere Kantone in den kommenden Jahren entsprechende Fachstellen einführen oder auf Grund bundesrechtlicher Vorgaben einführen müssen. Es wäre finanziell und betrieblich widersinnig, wenn die Basler Fachstelle dann wieder neu aufgebaut werden müsste. Es würden so unnötig Steuerfranken verschleudert.

_
Mehr zum Thema lesen Sie hier:

«Es sind die Barrieren im Kopf, die Behinderten das Leben erschweren» – Rollstuhlfahrer Walter Beutler plädiert im E-Mail-Dialog mit Christoph Meury für eine Inklusion behinderter Menschen.

Ein Schlag ins Gesicht der Behinderten – Ein Kommentar von Christoph Meury zum Beschluss des Präsidialdepa Gleichstellung von Menschen mit einer Behinderung zu schliessen.

«Es wäre falsch, diese Stelle künstlich am Leben zu erhalten» – Regierungspräsident Guy Morin und seine Reaktion auf die Kritik.

«Inakzeptabel und für Basel beschämend» – Der offene Brief vom 18. Februar an die Basler Regierung von Brian McGowan, dem ehemaligen Stadtberner Beauftragten zur Gleichstellung Behinderter.

Nächster Artikel