Die Geschmäcker der Hacker

Nach dem Hackerangriff auf Sony läuft nun «The Interview» doch in ausgesuchten Kinos. Ein weiterer Teil der Sony-Hacker-Beute – «Annie» – läuft ab nächster Woche auch bei uns. Annie, immer fröhlich und oft singend. Die Nachrichten um den Hackerangriff auf Sony ähnelten sich seit ihrem ersten Auftauchen im November: Erst vermutete Sony Nordkorea als Urheber. […]

Nach dem Hackerangriff auf Sony läuft nun «The Interview» doch in ausgesuchten Kinos. Ein weiterer Teil der Sony-Hacker-Beute – «Annie» – läuft ab nächster Woche auch bei uns.

Annie, immer fröhlich und oft singend.

Annie, immer fröhlich und oft singend.

Die Nachrichten um den Hackerangriff auf Sony ähnelten sich seit ihrem ersten Auftauchen im November: Erst vermutete Sony Nordkorea als Urheber. Dann vermutete das FBI Gleiches. In präsidialer amerikanischer Tradition vermutete auch Barack Obama Böses – ohne Beweise: Nordkorea verfügt über digitale Massenangriffsviren.

So wurde die Vermutung in den meisten raschen Medien zur Gewissheit. Auch der deutsche Aussenminister spricht von einer Bedrohung durch Nordkorea. Nordkoreas böser Bube mit Schweizer Erziehung (Kim Jong-un) übt sich derweil im Dementieren. Man habe den Hackerangriff amüsiert verfolgt, aber nicht verursacht, sagt der Diktator höchstpersönlich zu Obama.

Die Sony-Boys haben nun aus dem Hacker-Griff eine gewiefte PR-Strategie gemacht: Erst zeigte man sich schockiert. Man betonte den riesigen Schaden – und summierte eine halbe Milliarde an Kasseneinbussen. (Man verlor allerdings kein Wort über die Millionen von werbewirksamen, klatschspaltenfüllenden internen Sony-Mails, worin u.a. Angelina Jolie als zickig bezeichnet, Tom Cruise als aktuelle Steve-Jobs-Besetzung gehandelt und die Zusammensetzung der Chefetage von Sony-Boys enthüllt wird: es ist dort eine Frau angestellt…).

Das ulkige Interview

Erst veröffentlichte Sony nur den Titel des Films, der die Hacker zu ihrem Tun motiviert haben könnte: «The Interview».  Darin wird Nordkoreas Führer veräppelt. Als der Titel durch den Hackerangriff bereits in vieler Munde war, zog sich Sony aus den Kinos zurück.

Damit war der Titel endgültig in aller Munde, sogar in jenem des amerikanischen Präsidenten. Schliesslich betonte Sony, dass es auch keine DVD des Films geben werde. Viel neugieriger kann man die Welt nicht auf einen Film machen.

Das clevere Drehbuch einer PR-Kampagne

Es ist also nur logisch, wenn Sony den verbotenen Film dann doch dort zeigte, wo der Cyber-Krieg begann. Im Cyberspace. Unter www.seetheinterview.com ist der Film zu sehen, oder via Googles YouTube, Googles Google Play Store oder dem Microsoft Xbox Video Store. Kostenpunkt: $5.99 für Leihe, $14.99 für Download. Für die Kinobetreiber 0.-.

Jetzt soll aber auch die Kinoverwertung des bestbeworbenen Films der Welt vorangetrieben werden. Bereits läuft der Streifen in ausgesuchten amerikanischen Kinos – überbucht. Damit wäre «The Interview» gleich zu Beginn des Jahres der Film mit der besten PR-Kampagne ever. Wenn dann auch noch die DVD auf den Markt geworfen wird, dann darf vermutet werden, dass Sony das Drehbuch der Hacker ganz zu seinen Gunsten umgeschrieben hat.

Sah es nämlich erst so aus, als hätten die Hacker «ihr Ziel» erreicht (der Film verschwand vorerst aus den Kinos, was sogar Obama bedauerte), hatten die Jungs von «Guardians of Peace» (so nennen sich die Hacker) nun ausgerechnet zu Weihnachten das Geschenk: Den unterirdisch drögen Film «The Interview» konnten sie nicht verhindern.

Auch nicht gerade erheitert werden die Friedenswächter durch den Kriegsfilm «Fury» gewesen sein. Am tiefsten in die Depression dürften sie aber gefallen sein, als sie am Weihnachtsabend einen weiteren Teil ihrer Beute sichteten: «Annie».

«Annie», das vierte rührselige Remake

Während über «The Interview» alle reden, spricht über diesen Film kaum einer. «Annie» erzählt die Geschichte eines quirligen Waisenmädchens – im vierten Remake eines der rührseligsten Filme John Houstons («Annie») aus dem Jahre 1982. Statt Weiss in Technicolor ist das Waisenkind Annie diesmal digital coloriert (als Ziehtochter eines afroamerikanischen Grossindustriellen) und nicht minder kitschig. 

Die Dialoge sind entsprechend platt, und immer wenn die Dialoge platt sind, wird gesungen – das heisst: oft. Und kaum wird gesungen, wünscht man sich die platten Dialoge zurück. Denn auch gesungen wird etwas platt.

Dafür garantiert auch Cameron Diaz. In meterbreit über die Leinwand zuckenden Grimassen wird sie jeden Hacker endgültig in seinem Tun bestätigt haben: Diese Schauspielkunst ist ein Angriff auf alle guten Geschmäcker, selbst jene der Hacker.

Man will nicht in der Haut der «Guardians of Peace» stecken, die sich – endlich! – nach so viel Rumgehacke zu Hause auf ihren heimeligen vorfestlichen Festplatte ihren Liebsten Diebesgut zu Weihnachten schenken wollten, «Annie» unwrappten und auf eine betrunkene Cameron Diaz stiessen.

In der Hackerordnung ganz oben

Wenn auch «Annie» eher im cinéastischen Schatten bleiben wird, bleibt die wahrscheinlich grösste Cyberattacke der Geschichte dennoch ein PR-Hit. Die Sony-Fiction-Filmer hätten sich den Plot nicht besser ausdenken können. Das perfekte dramaturgische Happy-End für die Sony-Boys könnte sein: Demnächst präsentiert Sony seinen Film über einen Hackerangriff auf Sony, als Re-Enactment der eigenen Tragödie. Mit viel Kassenschlagermusik. Das brächte dann auch endlich wieder einen Sony-Film in der Hackerordnung ganz noch oben.

_
Ein Film im Kino, auch für Nicht-Hacker: «Annie» läuft in den Pathé-Kinos ab 15.1.

Nächster Artikel