Die Kathedrale der Ewigkeit in Strassburg bestaunen

Nur wegen einer Kirche nach Strassburg fahren? In diesem Sommer unbedingt! Denn ihr Wahrzeichen hat die elsässische Hauptstadt wohl selten schöner in Szene gesetzt als im Jubiläumsjahr 2015.

Eine Lebkuchenkirche? Als seien die architektonischen Details mit Zuckerguss nachgezeichnet worden...

(Bild: Sarah Portner)

Nur wegen einer Kirche nach Strassburg fahren? In diesem Sommer unbedingt! Denn ihr Wahrzeichen hat die elsässische Hauptstadt wohl selten schöner in Szene gesetzt als im Jubiläumsjahr 2015.

Strassburg ist Europastadt, la Petite France mit seinen Fachwerkhäusern ist ein ziemlich idyllisches Stadtviertel und Gugelhupf schmeckt im Elsass sowieso am besten. Es gäbe viele gute Gründe, um Strassburg einen Besuch abzustatten, doch im Sommer 2015 ist bereits einer hinreichend: das Münster der Stadt, für das vor genau 1000 Jahren der Grundstein gelegt wurde.

In den engen Strassen der Stadt drängt sich das Münster zunächst gar nicht auf. Man läuft und läuft und läuft und findet sich fast zufällig irgendwann vor der Kathedrale wieder. Dann aber baut sich die Westfassade mächtig vor einem auf. Immer nach oben strebend, durch und durch gotisch das Masswerk der Fenster, kaum zu zählen die vielen kleinen Figuren. Natürlich empfiehlt sich ein Besuch des Kircheninneren und auch ein schlauer Architekturführer mag an dieser Stelle weiterhelfen, doch darum soll es hier nicht gehen. Denn annähern kann man sich der Kathedrale nicht nur mit dem obligatorischen Rundgang auf leisen Sohlen, sondern auch auf andere Art und Weise. 

Vorschlag eins:

Für einen ersten Perspektivenwechsel empfiehlt sich der Aufstieg auf die Aussichtsplattform unterhalb des Nordturms. 332 Stufen führen grösstenteils als Wendeltreppe nach oben, immerhin 66 Höhenmeter sind am Ende zurückgelegt, der weite Blick ist die Belohnung für die Mühen: Die Altstadt mit ihren steilen Schindeldächern wird vom Kanal der Ill umschlossen, weiter ausserhalb ist das Europaviertel auszumachen, ganz im Osten sind der Schwarzwald, ganz im Westen die Vogesen zu sehen. Einst haben Voltaire und der junge Goethe das Strassburger Münster bestiegen – dass sich eine Stadt besonders gut von oben betrachten lässt, wussten auch sie.

Vorschlag zwei:

Das Verhältnis des Illustrators Tomi Ungerer zum Wahrzeichen seiner Heimatstadt nimmt die Sonderausstellung «Mit münsterlichen Grüssen» im Musée Tomi Ungerer unter die Lupe. Über Jahrzehnte hinweg tauchte das berühmte Bauwerk immer wieder in den Werken des Zeichners auf. So diente die Kathedrale beispielsweise als Motiv für ein Werbeplakat der Stadtwerke und eine Kampagne gegen Umweltverschmutzung. Spielerisch kommt eine Reihe kleiner Collagen daher. Die Rosettenfenster bilden die Augen einer Katze, das Portal dient einer Bauchtänzerin als Haarschmuck. Als kleine Kathedrale entpuppt sich bei genauerem Hinsehen allerdings auch ein Zahn mit Wurzel, der dem Patienten gerade gezogen wurde – Ungerers satirisch-kritischer Blick blieb der Kirche nicht erspart.

Vorschlag drei:

Ihren ganz grossen Auftritt erlebt das Münster in diesem Sommer spätabends in der Dunkelheit, wenn seine 1000-jährige Geschichte auf zauberhafte Art und Weise lebendig wird. Speziell für das Jubiläumsjahr hat die Künstlerformation Skertzò die Licht-Ton-Projektion «Kathedrale der Ewigkeit» konzipiert. Das farbenfrohe Spektakel bestaunen jeden Abend Tausende Passanten – und teilen ihre Eindrücke auch auf Youtube. Aber Achtung: Das folgende Video nur anschauen, wenn ein Strassburg-Besuch heuer nicht mehr klappt, um den Überraschungseffekt nicht zu gefährden.

 

Nicht ganz so toll wie das Passanten-Video, der offizielle Trailer:

 

Der Westfassade der Kathedrale geben die Pariser Künstler mit der bunten Projektion möglicherweise ein Stück weit ihr ursprüngliches Aussehen zurück, denn inspirieren lassen haben sie sich von Plänen aus der Münsterbauhütte. Was auf der Südfassade geschieht, mutet für Momente an wie die Szenen eines Märchens. Bäume wachsen an den Mauern empor, Rosen überranken die Fenster. Plötzlich wird die Kathedrale erst gebaut, Hunderte Arbeiter balancieren auf wackligen Gerüsten, hämmern, schleppen schwere Balken.

Später strömt goldener Regen über die Strebepfeiler, werden Ornamente nachgezeichnet, als seien sie mit Zuckerguss auf einen Lebkuchen gemalt, und musizieren Engel mit Harfen und Trompeten. Das klingt kitschig. Und ist wunderschön. Das Lichterspiel ist kein Bluff. Es setzt in Szene, was vorhanden ist, leuchtet aus, was längst schon existiert. Und so fühlt man sich ertappt, als hätte man die Schönheit der Kathedrale erst jetzt erkannt.

  • Hinkommen: Strassburg ist von Basel aus bestens mit der Bahn zu erreichen. Die Direktverbindung dauert 1 Stunde 18 Minuten, die Züge verkehren meist im Halbstundentakt. Vom Bahnhof in Strassburg aus geht es zu Fuss weiter, per Tram oder auf dem Rad – die velohop-Station liegt gleich gegenüber.
  • Staunen: «Die Kathedrale der Ewigkeit» von Skertzò wird noch bis zum 20. September jeden Abend gezeigt. Im August um 22.15, 22.45, 23.15 und 23.45 Uhr, im September um 21.15, 21.45 und 22.15 Uhr. Am letzten Tag werden in die Show Botschaften integriert, die Twitter-Nutzer an die Kathedrale geschickt haben. Wer mitmachen will, findet hier weitere Informationen und eine App.
  • Schmunzeln: Die Ausstellung «Cathédralement vôtre» (Mit münsterlichen Grüssen) ist bis zum 4. Oktober im Musée Tomi Ungerer zu sehen. Geöffnet hat sie täglich ausser dienstags von 10 bis 18 Uhr, am 22. August um 15 Uhr gibt es eine deutschsprachige Führung. Mehr Infos: www.musees.strasbourg.eu
  • Weiterfeiern: Auf der Place du château können es sich Besucher noch bis zum 14. August in einem von 1000 Liegestühlen bequem machen und die Südfassade der Kathedrale studieren. Bis Mitte Oktober trifft man rund um das Münster zudem auf Skulpturen der Künstlerin Christel Lechner, im September gibt es ein Konzertwochenende. Das gesamte Programm des Jubiläumsjahres ist auf der Website der Tausendjahrfeier zu finden.

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