Die Kranken Staaten von Amerika

Über eine obligatorische Krankenversicherung müsste doch gar nicht erst politisiert werden. Sie sollte zu den Privilegien jeden Bürgers eines modernen demokratischen Staates zählen. Erfährt ein Amerikaner, dass ich aus der Schweiz komme, erzählt er mir wahrscheinlich als erstes aus welchem europäischen Land seine Vorfahren stammen. Im nächsten Atemzug kommentiert er das Krankenversicherungssystem der Schweiz. Beides […]

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Über eine obligatorische Krankenversicherung müsste doch gar nicht erst politisiert werden. Sie sollte zu den Privilegien jeden Bürgers eines modernen demokratischen Staates zählen.

Erfährt ein Amerikaner, dass ich aus der Schweiz komme, erzählt er mir wahrscheinlich als erstes aus welchem europäischen Land seine Vorfahren stammen. Im nächsten Atemzug kommentiert er das Krankenversicherungssystem der Schweiz. Beides erfahre ich ungefragt.

Die obligatorische Krankenversicherung beschäftigt den Amerikaner nicht nur während dem Präsidentschaftswahlkampf. Das Thema ist ein Dauerbrenner, und zwar über alle Gesellschaftsschichten hinweg. Die USA sind eines der wenigen OECD-Länder, die ihren Bürgern keinen Zugang zu Krankenversicherung garantieren. Das US Census Bureau berichtet, dass 2010 16.3% der Einwohner nicht krankenversichert waren.

Nichtversicherte werden hemmungslos ausgebeutet: Wer keine Versicherung hat, die Arzt- und Spitalrechnungen überprüft, wird nach einer Behandlung mit Rechnungen zugeschüttet. Als Laie ist es kaum möglich zu überprüfen, ob die Leistungen so tatsächlich stattgefunden haben. So geschehen bei einem Freund von mir, der nach einer Kontrolluntersuchung mehr als sechs verschiedene Rechnungen erhalten hat.

Ich selbst habe eine internationale Krankenversicherung. Sie ist hier gänzlich unbekannt. Ich zahle die Behandlungen aus meiner eigenen Tasche und fordere die Ausgaben bei der Versicherung zurück. Für Ärzte gelte ich dadurch sozusagen als nichtversichert. Es gibt Arztpraxen, die Nichtversicherte kategorisch ablehnen, da der administrative Aufwand zu gross ist und sie riskieren, dass offene Rechnungen nicht beglichen werden. Eine Arztpraxis wollte mir Dollar 450 abknüpfen, nur um einen Termin zu vereinbaren.

Der Debatte um das amerikanische Gesundheitssystem kann ich nur mit Kopfschütteln folgen. Über eine obligatorische Krankenversicherung müsste doch gar nicht erst politisiert werden. Sie sollte zu den Privilegien jeden Bürgers eines modernen demokratischen Staates zählen.

 Dass die amerikanischen Elektrizitätssysteme grösseren Hitzeschwankungen oder kleineren Naturkatastrophen nicht standhalten, konnten wir schon von Dorothea Hahn lesen. Dass die Autobahnen der Ostküste regelmässig lahmgelegt werden bei einem mittelgrossen Schneesturm habe ich selber einige Male erfahren – in einem einzigen Winter notabene. Die Autofahrer lassen dann ihre Autos auf der Autobahn stehen und gehen zu Fuss – mehrere Stunden – nach Hause. Und die Staatsangestellten sind am darauffolgenden Tag von der Arbeit freigestellt, da sie ja mit Autozurückholen beschäftigt sind. Dass Häuser und Wohnungen oft schlecht isoliert sind und die Buchblätter flattern, wenn ich am Küchentisch lese, habe ich zur Genüge erlebt. Wie hat es die Supernation USA eigentlich so weit gebracht, wenn sie nicht mal den eigenen Schnee vor der Haustüre wegkehren kann?

Und dann stehe ich wieder auf einer privaten Benefizparty von einer Bekannten einer Bekannten, die keine Krankenversicherung hat, in Spitalbehandlung war und sich auf Jahre hin verschulden muss, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Wenn ich da Kunst ersteigere von Künstlern – fast alle nichtversichert – die ihre Werke einer Fundraising-Auktion spenden und zu der Musik der Bands tanze, die allesamt gratis für die Behandelte aufspielen, dann erinnert mich das an Harambee, eine kenjanische Tradition von Community Fundraising. Das Wort ist Swahili und bedeutet «alle ziehen am selben Strick».  Bloss Vater Staat soll sich bitte raushalten.

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