Der verheimlichte «goldene Fallschirm» für Daniel Vasella sorgte für einen Eklat vor der Generalversammlung der Novartis. Auch andere Schweizer Topkader verdienen überrissen viel – das wird mehr «Aktionärsdemokratie» nicht ändern.
Wer viel leistet, soll auch gut verdienen. Darüber sind sich wohl alle einig, vom rigidesten Neoliberalen bis zum nicht minder rigiden Systemkritiker. Die Frage ist nur: Was genau bedeutet «viel leisten»? Und was bedeutet «gut verdienen»?
Als bekannt wurde, dass Daniel Vasella nach seinem Abgang von Novartis sechs Jahre lang je 12 Millionen Franken allein dafür bekommen sollte, dass er nicht für ein Konkurrenzunternehmen tätig wird, war die Doppelfrage beantwortet: etwas nicht zu tun, ist nicht «viel leisten», und 12 Millionen im Jahr ist viel mehr als «gut verdienen».
Die Saläre hiesiger Manager nähern sich immer mehr jenen ihrer US-Kollegen an.
Das sind die fünf Topverdiener der Schweiz (Jahressalär 2011):
1. Joseph Jimenez, CEO Novartis: 15,93 Millionen Franken
2. Daniel Vasella, VR-Präsident Novartis: 13,07 Millionen Franken
3. Severin Schwan, CEO Roche: 13 Millionen Franken
4. Paul Bulcke, VR-Delegierter und CEO Nestlé: 11,58 Millionen Franken
5. Ernst Tanner, VR-Präsident und CEO Lindt & Sprüngli: 10,31 Millionen Franken
Ob das für Daniel Vasella selber die richtige Antwort ist, steht dahin – auch wenn er auf die 72 Millionen Franken verzichtet hat. Aufgrund der Selbstverständlichkeit, mit der er in seiner aktiven Zeit zweistellige Millionensaläre einstrich, liesse sich eher darauf schliessen, dass er einen solchen Betrag für völlig berechtigt hält.
Sein Blickwinkel ist ein amerikanischer. In den USA ist ein Konkurrenzverbot für ausscheidende Topkader durchaus üblich. Nur steht es bei den meisten CEOs bereits im Arbeitsvertrag und bedarf keiner besonders ausgewiesenen Vergütung. Dafür sind Abgangsentschädigungen gang und gäbe. Rekordhalter in dieser Beziehung war Jack Welch, der sich seinen Abschied von General Electric mit 417 Millionen Dollar vergolden liess. Kollegen aus Vasellas Branche mussten sich mit deutlich weniger zufrieden geben – mit rund der Hälfte.
Selbst wenn man Vasellas Pensionskassenkapital in seine ursprünglich geplante Abgangsentschädigung mit hinein rechnet (dieses ist nämlich in den US-Vergleichszahlen ebenfalls enthalten), war er im Vergleich zu den US-Kollegen massvoll – auch wenn er selbst dort zur Spitzengruppe zählen würde.
Auch bei vielen anderen Schweizer Topmanagern gelten US-Massstäbe, wie ein Blick in die Salärstatistik des Jahres 2011 zeigt. Neben Vasella mit seinem Präsidenten-Salär von 13,07 Millionen Franken bilden sein CEO-Nachfolger Joe Jimenez, Roche-CEO Severin Schwan, Nestlé-Delegierter Paul Bulcke und Lindt & Sprüngli-Chef Ernst Tanner mit jeweils zweistelligen Millionenbeträgen die Top 5 der Liste. Weitere 35 Spitzenverdiener beziehen zwischen 9,5 Millionen (Franz Humer, Roche) und 2,5 Millionen Franken (Martin Strobel, Bâloise).
Die Banker, sonst in erster Linie für überrissene Saläre gescholten, sind nur mit zwei Exemplaren unter den Top 10 vertreten: Robert McCann (UBS, Chef der Vermögensverwaltung USA) und Josef Ackermann (damals noch CEO der Deutschen Bank). Für sie war das Jahr 2011 wegen der Finanzkrise ein eher bescheidenes. Insgesamt aber zeigen die Salärstatistiken, dass Schweizer Topkader den amerikanischen nacheifern – und sie in etlichen Bereichen bereits übertroffen haben.
Toplöhne steigen immer weiter
Die Einkommenstendenz ist also aufsteigend – auch in den «Niederungen» der Topverdiener. Die Zahl der Einkommens-Millionäre in der Schweiz hat sich in nur einem Jahrzehnt mehr als verfünffacht. Es sind jetzt gegen 3000.
Vielen Schweizern wird es unbehaglich, wenn sie die unmässigen Bezüge von Topleuten aus der Wirtschaft zur Kenntnis nehmen und dazu die Tatsache, dass diese unentwegt stärker steigen als die Durchschnittslöhne. «Mehr als eine Million im Monat, so viel kann man gar nicht ‹verdienen›», ist eine weit verbreitete Meinung, «das hat mit Leistung nichts mehr zu tun.»
Zudem wächst die Befürchtung, dass das Auseinanderdriften von oben und unten in der Lohnhierarchie den inneren Zusammenhalt der Schweiz gefährdet – denn immerhin versteht sich diese Gesellschaft auch mehr als 700 Jahre nach dem Rütli-Schwur immer noch als Eidgenossenschaft, als «einig Volk von Brüdern».
Bis vor wenigen Jahren war dies tatsächlich Schweizer Konsens. In der kleinräumigen, föderal bestimmten Wirtschaftsstruktur hielten sich auch die Unternehmer an den unausgesprochenen Gesellschaftsvertrag, wonach alle in ihrer Existenz gesichert und keiner sich über die anderen zu sehr erheben sollte. Auch wenn es selbstverständlich immer «die da oben» und «wir da unten» gab.
Natürlich verdienten die alten Granden der Schweizer Wirtschaft – von Polit-Unternehmer Ulrich Bremi über die Banker Robert Holzach und Nikolaus Senn bis zu den Chemiepatrons Louis von Planta und Alex Krauer – mehr als das Fussvolk in ihren Firmen. Von den unternehmerischen Saftwurzeln wie Otto Ineichen und Nicolas Hayek ganz zu schweigen. Weil diese Unternehmer aber immer das richtige Mass trafen, wurden sie akzeptiert und respektiert, auch wenn sich Gewerkschaften und Medien zuweilen heftig mit ihnen stritten.
Abgelöst wurde dieser Unternehmer der sozialverträglichen Art durch den globalen, ausschliesslich auf greifbare (will heissen: zählbare) Ergebnisse orientierten Manager, der die zählbaren Ergebnisse auch für sich selber realisieren will – also auch die eigenen Bezüge zu maximieren versucht. Das mag für die Unternehmen sogar nutzbringend sein, gesellschaftlich nachhaltig ist es nicht, und wirklich kontrollierbar ist es je länger, je weniger.
Kein Wunder also, dass Thomas Minder mit seiner Abzocker-Initiative, der Bundesrat mit dem Gegenvorschlag dazu, die Jungsozialisten mit der 1:12-Initiative, die Gewerkschaften mit der Forderung nach einem Mindestlohn dem gesellschaftlichen Auflösungsprozess Einhalt zu gebieten versuchen. Sie bauen alle auf gesetzliche Rahmenbedingungen, die die Spielregeln in Firmen verändern sollen.
Abzocker-Initiative und Gegenvorschlag betrachten die Aktionäre eines Unternehmens als wirkungsvollste handelnde Personen und wollen denen mehr Kompetenzen verschaffen. Die Juso-Initiative setzt auf eine klare gesetzliche Schranke: Der Oberste darf nicht mehr als das Zwölffache der Unteren verdienen.
Wenn alle anwesenden Aktionäre einstimmig votieren, würden sie nur einen kleinen Anteil an Stimmen auf sich vereinigen.
Ob die «Aktionärsdemokratie» das Übel beseitigen kann, ist zweifelhaft. Schon der Begriff «Aktionärsdemokratie» ist ein Widerspruch in sich. In der Demokratie gilt «one man, one vote» – ein Mensch, eine Stimme. An der GV der Novartis können alle persönlich anwesenden Aktionäre (es dürften über 2000 sein) einstimmig votieren – sie würden nur einen verschwindend kleinen Anteil an Stimmen auf sich vereinigen.
Denn die «Aktionärsdemokratie» ist eine «Aktiendemokratie». Je mehr Aktien jemand besitzt, umso mehr Stimmrechte kann er ausüben – also fast so wie beim historischen Drei-Klassen-Wahlrecht Otto von Bismarcks. Das führt dazu, dass die institutionellen Anleger, also Fonds, Vermögensverwalter, Pensionskassen, Versicherungen in jedem Fall die überwältigende Mehrheit der Aktienstimmen auf sich vereinigen.
Grosse haben schon abgestimmt
Den Ton geben dabei die «Institutionellen» aus Amerika an. Und die haben ihre Stimme meist schon Tage vor der GV elektronisch deponiert. Selbst Dominique Biedermann mit seiner Ethos-Stiftung, die das Aktienvermögen von mehr als 120 Pensionskassen verwaltet, könnte am Resultat nichts ändern, denn er vertritt an der Novartis-GV nur einen kleinen einstelligen Prozentanteil.
Die GV ist also wahrscheinlich schon vor der Begrüssung durch den scheidenden Präsidenten gelaufen. Weder wird dem Verwaltungsrat die Décharge verweigert werden, noch wird die neue Vergütungsregelung abgelehnt, die mehr Leistungsbezug verordnet, ohne freilich Obergrenzen zu definieren, noch wird die interimistische Einsetzung von Ulrich Lehner als VR-Präsident bis zum Herbst zurückgewiesen. Kurz: Der Verwaltungsrat wird sich wie immer und wie in allen grossen Publikumsgesellschaften auf der ganzen Linie durchsetzen. Sein Präsident wird keine rauschende Abschiedsparty erleben. Er dürfte vielmehr böse Worte zu hören bekommen. Und dabei wird es dann auch bleiben.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.02.13