Die neue Freiheitsdebatte

Das Phänomen der wilden Partys ist nicht politisch. Dafür haben diese auch etwas Spiessiges. Und sie sind Ausdruck einer neuen, mediterranen Lebensweise, die eine neue Freiheitsdebatte erfordere. Das alles sagt der Basler Stadtentwickler Thomas Kessler. Und er steht mit seiner Meinung nicht alleine da.

«Übergang von der alemannisch-ruralen zur urban-meditteranen Lebensweise»: «Tanz-dich-frei»-Happening in Bern. (Bild: PETER KLAUNZER)

Das Phänomen der wilden Partys ist nicht politisch. Dafür haben diese auch etwas Spiessiges. Und sie sind Ausdruck einer neuen, mediterranen Lebensweise, die eine neue Freiheitsdebatte erfordere. Das alles sagt der Basler Stadtentwickler Thomas Kessler. Und er steht mit seiner Meinung nicht alleine da.

Ist der Kampf für das Recht auf Party politisch? Diese Frage stellte die TagesWoche bereits gestern Montag – und beantwortete sie in ihrem Kommentar mit einem Ja. Heute behandelt nun auch der «Tages-Anzeiger» das Thema in einem Interview mit dem Basler Stadtentwickler Thomas Kessler  – und kommt dabei zu einem ganz anderen Schluss.

Kesslers Thesen

Kesslers wichtigste Thesen nach dem Partywochenende mit über zehntausend Feiernden in Bern und der Sauvage auf dem nt-Areal in Basel hier im Überblick:

  • Der Kommerz wird an den wilden Partys zwar kritisiert. Dennoch haben diese mit politischem Protest nichts zu tun. Die junge Generation hat in erster Linie das Bedürfnis nach Kreativität, Reibung und damit auch Illegalität. Darum genügen ihnen die Clubs und Freiräume, die sich eine Szene vor 10 oder 20 Jahren erkämpft hat, nicht mehr.
  • Probleme gibts vor allem in Bern, weil sich Behörden und Partygänger dort gegenseitig das Gespräch über die Frage verweigern, wie der öffentiche Raum genutzt werden soll und darf. In Basel und Zürich hat es nach Ansicht von Kessler genügend Freiraum für alle erdenklichen Jugendszenen. Schwierigkeiten bereiten dort nur ein paar wenige junge Erwachsene, welche die Partys für eine «postpubertäre Kompensation missbrauchen» und gewalttätig werden. Gleichzeitig räumt Kessler in einem weiteren Interview mit der «Basellandschaftlichen Zeitung» ein, dass teilweise auch die Kritik am Bewilligungswesen berechtigt sei: «Es gibt etwa sechs Punkte, die man verbessern kann, damit Kleinveranstalter einfacher zu Bewilligungen kommen. Wir werden der Regierung in einem Monat einen Bericht dazu unterbreiten.»
  • Die Gesellschaft steht am Übergang von der alemannisch-ruralen zur urban-mediterranen Lebensweise: Wir seit Jahrtausenden von ländlicher Weite geprägte Alemannen nehmen nach mediterranem Vorbild plötzlich Strassen und Plätze unserer engen Städte als Erholungs- und Unterhaltungsraum ein und geniessen die Vorzüge und die vermeintliche Leichtigkeit dieses Lebensstils. Wie das geht, ist in unserer kulturellen Erinnerung allerdings nicht abgespeichert. Die kulturellen Basics, damit dieser Lebensstil in unseren Städten reibungslos funktioniert, bringen wir nicht mit.
  • Spiesser gibt es nicht nur auf Seiten der Behörden und der Anwohner, die sich über den Lärm und den Schmutz vor ihrer Haustüren beklagen. Sondern auch unter jungen Menschen, die sich für sehr progressiv halten, tatsächlich aber in erster Linie auf die egoistische Durchsetzung ihrer eigenen Interessen aus sind und darum keine Rücksicht auf die Anwohner nehmen.

Kesslers Folgerung: Es braucht einen neuen Freiheitsdiskurs: «Wir werden in allen Schweizer Städten darüber reden müssen, wie wir das Zusammenleben in der Stadt organisieren wollen, damit ein kultiviertes Leben und Leben-Lassen möglich wird.»

«Einen neuen Modus finden»

Zu einem ähnlichen Schluss kam auch NZZ-Redaktor Daniel Gerny in seinem Kommentar. «Starre Lärmvorschriften, fixe Nachtruhezeiten und komplizierte Bewilligungsverfahren» genügten dem heutigen Lebensstil nicht mehr», schrieb er: «Die Herausforderung für die Städte besteht darin, mit Flexibilität, unbürokratischem Pragmatismus und unter Beizug aller Akteure einen neuen Modus des Zusammenlebens zu finden.»

Ansätze, wie etwa die in Zürich kürzlich eingeführte Jugendbewilligung, seien vorhanden. Und weiter: «Darüber hinaus aber hilft womöglich die kürzlich an einer Debatte in Basel geäusserte und ziemlich einfache Erkenntnis: «Menschen können tolerant sein – nicht aber Gesetze.»

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