Die Pioniere kämpfen ums Überleben

Längst gehört Bio zum guten Ton. Seit die Grossverteiler ins Geschäft mit der Nachhaltigkeit eingestiegen sind, ist es für die kleinen Bioläden schwierig geworden.

Glückliche Kühe, teurere Produkte: Bio wird inzwischen auch von den Grossverteilern geboten. Das macht den Pionieren Schwierigkeiten. (Bild: Juergen Feichter / Keystone)

Längst gehört Bio zum guten Ton. Seit die Grossverteiler ins Geschäft mit der Nachhaltigkeit eingestiegen sind, ist es für die kleinen Bioläden schwierig geworden.

Konfitüre, Fleisch, Brot, Käse, Obst, Gemüse: Im Bioladen Höheners findet man alles. Nur etwas fehlt: die Kunden. Der Laden an der Schützenmattstrasse büsst seit Jahren Umsatz ein und steckt in den roten Zahlen. Und dies, obwohl Bio boomt – die Schweiz ist gar Bioweltmeister. Herr und Frau Schweizer gaben 2010 211 Franken pro Kopf für Bio-Landwirtschaftsprodukte aus, wie aus Zahlen von BioSuisse hervorgeht.

In den 80er-Jahren waren es noch die alternativ-linken Weltverbesserer, die auf Bio schwörten. Doch bald merkte man: Bio hat Potenzial. Läden schossen wie Pilze aus dem Boden. Eines der ersten Biogeschäfte in Basel ist das ehemalige Kornkämmerli (heute Eichblatt) an der St. Johanns-Vorstadt. Es besteht seit 1973. Auch Andreas Höhener, Inhaber des Bioladens Höheners, ist ein Biovertreter der ersten Stunde.

Als Mitte der 90er-Jahre die Landwirtschaftsreform kam und Biolandwirtschaft subventioniert wurde, stiegen die Grossverteiler ins Biogeschäft ein. Coop lancierte seine Biolinie Naturaplan und erweitert seither das Sortiment kontinuierlich, und auch Migros witterte das Geschäft mit dem ökologischen Angebot. Beide, Coop und Migros, versorgen jedermann mit Bioprodukten, und zwar zu zunehmend günstigeren Preisen.

Jene der Pionier-Bioläden dagegen verharrten im Hochpreissegment: 230 Gramm Brombeerkonfi kosten bei Höheners 8.40  Franken. Sie wird in einem Familienbetrieb im Elsass hergestellt, aus wild gesammelten Brombeeren, in kleinen Mengen. Bei Coop kostet die teuerste Bio-Konfi aus der Grossproduktion (210 Gramm Holunderblütengelee) 3.85 Franken. Weil Bio bei den Grossverteilern so günstig ist, vernachlässigen die Leute Fachgeschäfte wie Höheners.

Bittbrief an die Kunden

Im August 2012 wagte Andreas Höhener den Schritt an die Öffentlichkeit. In einem «Bio-Brief» informierte er seine Kundschaft über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und rief sie auf, wieder vermehrt bei ihm einzukaufen oder Ideen zu bringen, wie man die Situa­tion des Betriebs verbessern könnte. Die unkonventionelle Strategie gab ihm recht. «Schon in den ersten drei Wochen nach der Lancierung stieg der Umsatz um fünf Prozent», vermeldete Höhener im September. Doch das reicht noch nicht, um langfristig überleben zu können.

Die Evolution frisst also ihre Kinder. Ist die Zeit der Bioläden vorbei? «Nein», sagt Höhener trotz sinkenden Umsätzen. Noch immer könnten die kleinen Läden etwas leisten, was man bei den Grossen nicht bekommen könne: Authentizität. «Brot ist bei uns ein Brot, ohne technologische Ergänzungsstoffe wie bei den Grossverteilern.» Auch Werte wie Regionalität und Fairtrade seien «für viele mess- und spürbar», deshalb brauche es Läden wie Höheners.

Der Biopionier hat nichts gegen die Grossverteiler: «Jeder Quadratmeter Biofläche mehr ist ein Gewinn für uns alle.» Höhener sieht aber auch eine Gefahr: «Wir müssen aufpassen, dass nicht eine ähnliche Industrialisierung der Produktion Einzug hält wie bei der herkömmlichen Landwirtschaft.» Das Argument, Bioprodukte seien zu teuer, lässt Höhener nicht gelten.
«Bio könnten sich alle leisten», sagt Höhener, «gefragt sind aber andere Werte, äussere.» Ein Computer oder Handy dürfe alles auf der Welt kosten, sagt er. «Beim Essen dagegen sparen die Leute.»

Dass Biobetriebe auch neben den Grossverteilern florieren können, zeigt das Beispiel Birsmattehof in Therwil, der seit über dreissig Jahren auf Ökologie setzt. Der Hofbetreiberin Agrico gelang es, durch neue Ideen das Geschäft anzukurbeln und sich gegen die Konkurrenz zu behaupten. Der Birsmattehof produziert Gemüse, Obst, Quark und Fleisch. Das Hauptgeschäft sind die Gemüsekörbe, die man abonnieren und einmal pro Woche an einer der 40 Verteilstellen abholen kann. Der Verzicht auf Hauslieferungen spart Energie und ist so ökologischer.

Die Gemüsekörbe sind gefragt wie noch nie: Waren es 2006 noch 730 Abos, sind es heute über 1500. Koordinator des Gemüse-Abos, Bernhard Adamo, erklärt den Erfolg damit, dass es die Leute schätzten, regionale Produkte zu bekommen. «Und das zu fairen Preisen.» Auch der allgemeine Bioboom habe zum Erfolg beigetragen. Eine Zunahme in Zeiten der Krise also, wie ist das zu erklären? «Die Leute wollen sich das leisten», sagt Adamo. Ist denn Bio gesünder oder ist es einfach nur Gewissensberuhigung? «Ich bin überzeugt davon, dass Bio gesünder ist, zumal im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft das Biogemüse nicht mit Spritzmitteln wie Pestiziden belastet ist.» Ausserdem gebe es ein gutes Gefühl, wenn man Bioprodukte konsumiere, auch im Hinblick auf den sorgsamen Umgang mit den Ressourcen der Natur.

Die Kunden wollen zwar Bio, doch offensichtlich muss es günstig sein. Höhener hat als kleiner Zwischenhändler im Preiskampf kaum Chancen: Er hat weniger Verhandlungsspielraum als die Grosskonzerne, gleichzeitig höhere Kosten für Löhne und Ladenfläche als das beispielsweise beim Direktvermarkter Agrico der Fall ist. Biopionier Höhener bleibt angesichts dessen nur das Schreiben weiterer «Bio-Briefe» und das Hoffen – auf bessere Zeiten, eine zündende Idee und die Unterstützung seiner Kunden.

Ist Bio Pflicht oder Kür? In der Wochendebatte diskutieren Coop-Chefeinkäufer Philipp Wyss und Bioladen-Besitzer Thomas Müller, ob Bio-Produkte massenfähig sind. Ihre Stimme ist dabei genau so gefragt wie Ihre Meinung – mischen Sie sich ein!

Quellen

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.09.12

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