Die Religion der Politik

Die Abstimmungen sind vorbei, die Kommunalgremien besetzt. Wen man gewählt hat, weiss man zwar bisweilen nicht so genau – auf den Wahlplakaten sind in der Regel Partei und Name der Kandidatin vermerkt, und ein pauschaler Spruch. Darob verwundert war auch seine Exzellenz, der Botschafter der USA in der Schweiz, Donald S. Beyer, den wir kürzlich […]

Auf dem Rückweg vom Morgenshooting am Mesa-Arch in Utah wenigstens war Obamas Healthcare kein Thema mehr.

Die Abstimmungen sind vorbei, die Kommunalgremien besetzt. Wen man gewählt hat, weiss man zwar bisweilen nicht so genau – auf den Wahlplakaten sind in der Regel Partei und Name der Kandidatin vermerkt, und ein pauschaler Spruch.

Darob verwundert war auch seine Exzellenz, der Botschafter der USA in der Schweiz, Donald S. Beyer, den wir kürzlich interviewt haben. In seinem land, sagte er uns, würden die Kandidaten mit klaren Botschaften und Standpunkten für sich werben.

Stimmt. In sieben Jahren in San Francisco habe ich diesbezüglich einige Standpunkte kennengelernt, meistens in sehr teuren und mit millionenschweren Kampagnen finanzierten TV-Kampagnen. Informationen über Sachvorlagen oder Kandidaten sind darin aber ebenfalls eher selten zu finden. Der geneigte amerikanische Wähler / die Stimmbürgerin braucht in der Regel nicht mehr als eine einfache Aussage wie die, dass die Ehe eine göttliche Institution für einen Mann und eine Frau sei. Oder dass die staatliche Krankenversicherung der erste Schritt in den Kommunismus ist.

Die platten Kampagnen-Soundbites gibt es ja in der Schweiz durchaus auch. Was mir in den USA viel mehr fehlte, war die anschliessende Diskussion über die Sprüche genauso wie über die Fakten. Mit meinen europäischen Freunden habe ich jederzeit und überall amerikanische Politik diskutiert, Kandidaten duchgehechelt oder Parteistandpunkte analysiert.

Sobald aber ein echter Amerikaner dabei war, galt das höchste Gebot der US-Dinnerparty: keine Politik und keine Religion.

Ich konnte und kann es nicht verstehen: Worum geht es denn in einer Demokratie, wenn nicht darum, alle Meinungen auf en Tisch zu legen, namentlich seine eigene mit Argumenten zu bereichern, und/oder andere davon zu überzeugen? Und wo, wenn nicht im Freundeskreis oder lockeren andersartigen Gruppen, soll dieser Prozess stattfinden?

Also habe ich ein Experiment gestartet. Mehrfach, an den wochenlangen Landschafts-Fotoworkshops, die ich mir gelegentlich  leistete: 12 Teilnehmer aus allen Teilen des amerikanischen Staatenbundes, die ausser ihre leidenschaft für Fotografie nichts verbindet. Bei den An- und Rückfahrten zu den Shootings zu Sonnenauf- und Untergang sassen wir jeweils zu viert wild gemischt in den drei Autos und rollten durch die Landschaft von Utah, des Death Valleys oder Nordkaliforniens. Sowie die Plaudereien über Fotoausflüge, Ausrüstung und -reisen erlaubten, brachte ich ein aktuelles politisches Thema ein. Und regelmässig sorgte ich, der unsensible Europäer, damit für erhitzte Gemüter und Entsetzen über den Bruch des Tabus bei den harmoniebdürftigsten Teilnehmerinnen.

Die Erkenntnis daraus allerdings reduziert sich auf die, dass politische Diskussion unter Nicht-Gleichgesinnten in den USA tatsächlich kaum möglich sind. Die Standpunkte werden auch hier reduziert auf Schlagworte, Beschimpfungen zwar nicht der andersdenkenden Gesprächsteilnehmer, aber jedenfalls deren Parteivertreter und Kandidaten, und emotionalen Ausbrüchen. Inmitten der überwältigendsten Natur (oder der absoluten Dunkelheit), an Sanddünen entlang und majestätischen Canyons, lieferten sich meine Mitfahrer einen, wie ich bald merkte absolut aussergewöhnlichen (und deswegen aussergewöhnlich hitzigen), politischen Schlagabtausch.

Leider war es nur das. Es gab kaum Hinweise auf neue Informationen, Zeitungsartikel oder TV-Reports, Zahlen und Untersuchungen oder bundesstaaliche oder sogar internationale Vergleiche, obschon die Gruppen jeweils aus Menschen bestanden, die buchstäblich aus jeder Ecke des gigantischen Landes stammten. Es gab immer nur zwei Positionen: republikanisch oder „liberal“, also links.

Vier Mal habe ich das Experiment gestartet, und vier Mal wurde binnen einer Woche klar, dass die Kollegen und Kolleginnen Fotografen und Fotografinnen weniger über die Inhalte der Gespräche als über den Umstand erstaunt und leider eher genervt waren, dass sie überhaupt stattfanden. Meine Fragen, wieso man denn nicht wenigstens versuche, die Argumente der anderen Seite zu hören, zu verstehen und gegebenfalls zu entkräften, kriegte ich mehr als einmal zu hören, weil aus diesen Diskussionen immer nur Unfriede entstehe.

Ich hielt das für eine Erscheinung der totalen Polarisierung, in der sich die USA durch das Zweiparteiensystem und den Kampf um die winzige Mitte aus – in der Regel extrem monothematisch interessierten – kulturellen Gruppen befinden.

Bis mir eine amerikanische Freundin die Illusionen nahm. «Die Leute hier sind ganz einfach fast durchs Band weg nur minimal informiert – sie kennen nicht mehr als die Slogans. Eine Diskussion ohne Argumente aber wird schnell emotional, und deshalb gehört es zum guten Ton, sie zu vermeiden.» Insofern ist es kein Zufall, dass Religion als zweites Thema ein Tabu darstellt: Entweder man glaubt, oder eben nicht – Argumente haben da wenig Platz.

Ich war jedenfalls jeweils froh, dass auf dem Rückweg von den Shootings die Diskussion über die eben gelungene Fotografie wieder von meinen unverschämten Tabubrüchen ablenkte.

Bis zum nächsten Morgengrauen.

 

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