Als Kind haben wir das Buch «Die schwarzen Brüder» zitternd weggelegt. Jetzt sitzen wir gerne im Film und sehen ein Stück Schweizer Geschichte als wärs aus einem anderen Land.
Als Kind haben wir das Buch «Die schwarzen Brüder» zitternd weggelegt. Furchtsam haben wir dem Knacken des Holzfeuers in Grossmutters Kachelofen gelauscht. Niemand wollte sich vorstellen, dass ein Kind gezwungen wird, in enge Kaminschlunde zu krachseln, auf Dachgiebeln zu turnen und sich zu prügeln, um der Gefangenschaft zu entkommen.
Geschrieben von Lisa Tetzner (mit ihrem Mann Kurt Kläber, der aber als Autor in der Schweiz Berufsverbot hatte – als Kommunist) in den Vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts, spielen «Die schwarzen Brüder» in einer Zeit, da die Schweiz ein typisches Auswandererland war, der Kanton Tessin die Armenstube und die Kinder der Armen Handelsgut wie junge Ziegen: Das junge neunzehnte Jahrhundert. Der Grenzgängerstrom floss damals in Richtung Süden: Die Tessiner suchten als Reispflückerinnen und Handlanger ihr Wohl in den norditalienischen Königreichen.
Die Chronik der kleinen Schweizer Sklaven
Wenn auch der Roman von Lisa Tetzner (basiert auf der Chronik «Kleine Schweizer Sklaven») eine sehr didaktisch gebaute Geschichte anbietet: Mit Koller nimmt sich nun einer dieses Stoffes an, der bereits mit dem «Gefrorenen Herz» und dem «Schwarzen Tanner» liebevoll die Ikonographie der Schweizer Randzonen prächtig entwickelt hat: Es dampft nach Schweiss, es raucht das Tannenholz und es duftet nach Brot in seinen Bildern der Bevölkerung.
Koller übersetzt ihre Dialoge spannungsgerichtet in Bilder. Kein Dekor ist nur einfach Kulisse sondern immer auch ein Teil der Erzählung. Wenn da ganz früh eine Träne über die Wange des verkauften Kindes rinnt, dann erzählt der nächste Schnitt zur reissenden Verzasca bereits das Tal der Tränen, das den verkauften Kindern in Mailand bevorsteht.
Der Rest ist Schweizer Jugendbuch-Allgemeingut: Die Tessiner Buben werden getriezt. Sie klettern in heisse Öfen. Sie schuften im dichten Russ. Sie zwängen sich durch die Mailänder Schlote hinauf in die Dachhimmel. Über den Dächern wartet auf sie aber noch lange nicht die Freiheit. Die finden sie erst, als sie sich zusammentun.
Ein herrlich widerständiges Lausbubenteam
Da zeigt der Film auch seine eigentliche Stärke, die seine mögliche Schwächen hätte werden können: Immerhin stehen die Hauptdarstellerinnen zum ersten Mal vor der Kamera. Und sie sind umwerfend! Kinder, auch sie junge Talente, lassen sie sich von den Dekors geradezu spielerisch in diese ferne Welt hineinversetzen.
Xavier Koller ist es gelungen, sein Lausbuben-Team so in Schwung zu halten, dass sie auch als heutige Bauernlümmel ganz glaubhaft wirken können. Auch die anderen Schauspieler, wie Moritz Bleibtreu, der als versoffener Kinderhändler keinen Schurkenstreich auslässt, glänzen: Roberto Nigro zeigt mit wenig Worten ein vielsagenden Vater. Richi Müller lässt den Pater bauernschlau und ganz unkatholisch die Partei der Rebellen ergreifen.
Ein Lehrbild der damaligen Misere
Der Film kann wohl nicht mit hippen Überraschungen glänzen. Aber in einem inspirierten Teamwork ist ein Stück Klassik der Zukunft zu besichtigen. Jetzt schon. Nicht zuletzt auch als ein Blick in die Geschichte, der uns herausfordert, die Armenhäuser Europas mit anderen Augen zu sehen: Vor nicht allzu langer Zeit waren wir auch ein solches.