Rund eine Million Velos stehen ungenutzt in Schweizer Garagen, Estrichen, Kellern und Scheunen herum – Kindervelos nicht eingerechnet. Das schätzt die Fachstelle für Zweiradfragen. Weitere rund 3,3 Millionen Velos flitzen, gondeln oder kurven über Schweizer Strassen.
200 Jahre, nachdem der deutsche Adlige Karl Friedrich von Drais am 12. Juni 1817 mit seinem Laufrad ohne Pedale, der «Draisine», in Mannheim eine 14 Kilometer lange Strecke bewältigt hatte, hat das Velo auch hierzulande alle Schichten erobert.
Schweizer sind Velomuffel
Die Schweiz ist bezüglich Velofahren aber ein «Entwicklungsland», wie der Präsident von Pro Velo Schweiz, Matthias Aebischer, sagt. Nur acht Prozent der Bevölkerung fahren regelmässig Velo. Das zeigen Erhebungen zur Mobilität. Rekordhalter sind die Niederländerinnen und Niederländer: 36 Prozent von ihnen setzen sich ständig auf ihr «fiets».
Der Vergleich zwischen der bergigen Schweiz und den flachen Niederlanden sei etwas ungerecht, sagte Aebischer. Aber auf das Niveau von Deutschland möchte der Nationalrat aus Bern die Schweizerinnen und Schweizer schon bringen. 12 Prozent der Deutschen benutzen regelmässig ihr Fahrrad.
Noch kein Kulturgut
Um mehr Leute aufs Velo zu bringen, setzt Pro Velo auf eine Doppelstrategie: gezielte Aktionen und eine bessere Velo-Infrastruktur, das heisst mehr Velowege.
Pro Velo hat darum 2016 ihre Velo-Initiative eingereicht. Diese verlangt, dass der Verfassungstext für Fuss- und Wanderwege um die Velowege ergänzt wird. «Während das Wanderwegnetz fast so etwas wie ein nationales Kulturgut ist, fehlt ein durchgehendes Velonetz», sagte Aebischer. Der Bundesrat will der Initiative einen Gegenvorschlag gegenüberstellen.
Sicher umsatteln
Damit die Leute umsatteln, müssen sie sich sicher fühlen. «Man sagt: Je mehr Leute in einer Stadt mit dem Velo unterwegs sind, desto besser entwickelt sie sich», sagte Aebischer. In Zürich seien zum Beispiel kaum Velofahrer unterwegs.
Beim «Städtevergleich Mobilität» von 2010 zwischen sechs Städten zeigte sich, dass in Zürich nur sechs Prozent der Bevölkerung auf den Drahtesel vertrauten. Basel (16 Prozent), Winterthur (13 Prozent) und Bern (11 Prozent) standen besser da. Zürich hat inzwischen beschlossen, die Lücken zu schliessen und die Zahl der Velorouten bis 2025 zu verdoppeln.
Viel getan wurde bereits anderswo. In einer vom Bundesamt für Strassen (Astra) und Pro Velo 2014 durchgeführten Umfrage schwang Burgdorf im Kanton Bern bei den Kleinstädten obenauf, bei den mittelgrossen war es Chur und bei den Grossstädten Winterthur.
Land der Velo-Entwickler
In der Frühgeschichte des Velos war das Velo-Entwicklungsland Schweiz ein Land der Velo-Entwickler. Schweizer Firmen und Privatpersonen seien von Beginn weg an der technischen Weiterentwicklung der Laufmaschine zum Fahrrad beteiligt gewesen, heisst es in einer vom Astra veröffentlichten «Geschichte des Langsamverkehrs in der Schweiz des 19. und 20. Jahrhunderts».
So habe Condor im Berner Jura ab etwa 1890 Velos produziert, die mit den ausländischen Produkten «problemlos mithalten» konnten. Zudem habe es kleinere Produktionsstätten wie Van Leisen in Genf, Flammer in Basel oder die Maschinenfabrik Rüegg in Uster gegeben. Die meisten Velos wurden aber aus England und Frankreich importiert.
Velosalon Genf
Technisch waren die Schweizer Räder aber Spitze. Ein Indiz sei, dass sich ab 1890 die internationale Fachwelt einmal jährlich zum Velosalon in der Schweizer Velohochburg Genf traf. Dort stellte 1895 die Firma Challand ein Sesselrad vor, das von einer deutschen Radsportzeitung als «fliegendes Sofa» gefeiert wurde.
In Genf war schon 1869 der erste Schweizer Veloverein gegründet worden. 1900 fuhren durch Genf 12’500 Velos, wie eine Auswertung der Steuerdaten von 14 Städten ergab. Die restlichen 13 Städte teilten sich 34’737 Velos.