Die Schweizerfahrungen einer Deutschen

Die Schweiz ist schnell durchschaut? Ein Irrtum, findet Maris Hubschmid aus Berlin, die für ein paar Wochen in der TagesWoche-Redaktion hospitierte. Einen Monat lang habe ich meinen Berliner Schreibtisch gegen einen Basler eintauschen dürfen, um Einblick in die Arbeit einer anderen Redaktion zu gewinnen. Die macht es sich leicht, die geht zur Hospitanz in die […]

Zu Gast bei Freunden, die wahrscheinlich selbst für ein ganz normales Brötchen einen komischen Begriff verwenden: die Berliner Journalistin Maris Hubschmid über die Erfahrungen in Basel.

Die Schweiz ist schnell durchschaut? Ein Irrtum, findet Maris Hubschmid aus Berlin, die für ein paar Wochen in der TagesWoche-Redaktion hospitierte.

Einen Monat lang habe ich meinen Berliner Schreibtisch gegen einen Basler eintauschen dürfen, um Einblick in die Arbeit einer anderen Redaktion zu gewinnen. Die macht es sich leicht, die geht zur Hospitanz in die Schweiz, dachten wohl viele Kollegen, als meine Wahl für das Auslandspraktikum auf die TagesWoche fiel. In den Augen vieler Deutscher ist die Schweiz eine Art kleines Deutschland – etwas pedantischer und reformfeindlicher lediglich. Da muss sie sich nicht gross umstellen, das ist das gleiche in Grün, war die Annahme (buchstäblich, wenn man die CI-Farbe der Zeitung bedenkt). Sie hatten ja keine Ahnung. Ich ging in ein fremdsprachiges Land!

Dabei hatte ich vorher noch selbstbewusst gesagt: «Das Schwiitzerdüütsch ist kein Problem für mich.» Ich habe Verwandte in Zürich, die habe ich immer verstanden.

Wahrscheinlich war das gar kein Schwiizerdüütsch

In den ersten Konferenzen dagegen verstand ich nichts. Zwischen Zürichdeutsch und Baseldeutsch lägen noch einmal Welten, haben mich beide Seiten aufgeklärt (und beide meinen, ihr Dialekt sei der besser verständliche). Einmal bot ich grosszügig an: «Um die Operngeschichte kann ich mich kümmern.» «Oper?», fragte die Kollegin. «Wir sprechen über Nachbarschafts-Streit.» Schon bald drängte sich mir der Verdacht auf, dass meine Verwandten nie Schwiitzerdüütsch mit mir gesprochen haben. Das, was die Eidgenossen Schriftdeutsch nennen, klingt in meinen Ohren immer noch eigenartig fremd.

Zu echten Irritationen aber kam es, wo Schweizer gänzlich andere Vokabeln verwenden. «Schmeckt nach Curry», sagte eine Kollegin strahlend, nachdem ich sie zwei Minuten mit meinem Reisgericht allein gelassen hatte. Ganz schön übergriffig, fand ich, jemandes Essen zu probieren, den man erst zwei Tagen kennt. Auch, dass «Schmutz» nicht Dreck, sondern Kuss bedeutet, muss einem gesagt sein. Auf meinem Personalblatt habe ich bei «Natel» mein Geburtsdatum eingetragen. Ich habe den Begriff irgendwie mit «pränatal» in Verbindung gebracht.

Einfach komisch, diese Schweizer

Einigermassen sinnfrei finde ich die Angewohnheit, beim Erzählen hinter jeden Satz ein «oder» zu hängen. «Wie war dein Wochenende?», fragte ich einen Basler. «Ich war Skifahren mit meiner Freundin und ihrem Bruder aus Bern, oder?», antwortete er. Wenn er es nicht weiss – woher soll ich es wissen, fragte ich mich im Stillen. So hielt ich am Anfang manchen Basler für dement.

Wer jetzt denkt, Kommunikation ist alles, hat weit gefehlt. Vom hohen Preisniveau brauche ich gar nicht erst anzufangen. Gefühlt hätte ich mir von dem Geld, das ich in Basel für Mittagessen ausgegeben habe, in Berlin einen Kleinwagen kaufen können. Dass ich auf einem Zebrastreifen fast überfahren worden wäre, habe ich schon aufgeschrieben ­(der Schweizer braucht zusätzlich eine Ampel). In anderer Hinsicht sind die Schweizer selbstständiger, als mir lieb ist: Manchen Stau habe ich an der Supermarktkasse verursacht, weil ich meine Bankkarte selber in das dafür vorgesehene Gerät schieben musste. (Es gibt drei Möglichkeiten, das falschzumachen.) Weshalb ich als Nichtraucherin eine «Raucherkarte» kaufen musste, um in einem Lokal ein Bier zu bestellen, ist mir bis heute nicht klar.

Fazit: Es ist erstaunlich, wie einerseits Vieles so ähnlich und gleichzeitig alles so anders sein kann. Damit jetzt kein falscher Eindruck entsteht: S ischt rächt gsi! Meine Zeit in Basel war grossartig. Die Stadt hat mir enorm gefallen, und meine wunderbaren Kollegen haben mir geholfen, mich in all dem zurechtzufinden und mein persönliches Schwiitzerdütschlexikon zu erstellen. (Allein vier Begriffe für pinkeln.)

Umgekehrt, das weiss ich natürlich, erschien zweifellos auch ich dem ein oder anderen befremdlich. Mindestens die kleine Tochter einer Kollegin hat das bestätigt: «Mami, wieso spricht die Frau Englisch?»

Sollte also je wieder jemand anmerken: «Schweiz? Das ist ja gar nicht richtig Ausland», werde ich allwissend lächeln. Und ich vermute: Einen kleinen sprachlichen und kulturellen «Jetlag» bringe ich heim.

(Merci vielmals und uf wiederluege!)

 

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