Die Tour der Abwesenden

Die Tour de Suisse leidet unter dem Fernbleiben der grossen Rundfahrten-Spezialisten. Als Favoriten um den Gesamtsieg starten heute Fahrer wie der Franzose Thibaut Pinot oder der Pole Rafal Majka.

Das wegen eines Infekts geschwächte Aushängeschild der Schweizer Tour: Fabian Cancellara (Bild: SI)

Die Tour de Suisse leidet unter dem Fernbleiben der grossen Rundfahrten-Spezialisten. Als Favoriten um den Gesamtsieg starten heute Fahrer wie der Franzose Thibaut Pinot oder der Pole Rafal Majka.

Die Anwärter auf den Gesamtsieg an der Tour de France bereiten sich traditionellerweise eher am Critérium du Dauphiné auf das wichtigste Happening des Radsports vor als an der Tour de Suisse. Dieses Jahr fehlt an der Schweizer Rundfahrt, immerhin die viertgrösste Rundfahrt der Welt, aber auch ein grosser Teil der zweiten Garde.

So zogen zum Beispiel alle drei Fahrer, die letztes Jahr auf dem Podest standen, den Dauphiné dem neuntägigen Rennen durch die Schweiz vor. Der Portugiese Rui Costa (Por), der die Tour de Suisse zuletzt dreimal in Serie gewonnen hatte, der Holländer Bauke Mollema (Zweiter 2013, Dritter 2014) und Mathias Frank, der in den letzten beiden Jahren jeweils bestklassierte Schweizer (Fünfter 2013, Zweiter 2014), sind alle drei nicht dabei.

Grosser Favoritenkreis

Das Fernbleiben des Trios sorgt für eine spannende Ausgangslage im Kampf um den Gesamtsieg. Auf dem Papier sind Pinot, der Dritte der Tour de France 2014, und Majka, zweifacher Etappensieger an der letzten Frankreich-Rundfahrt, die Favoriten. Es ist jedoch gut möglich, dass das Duo nicht auf Sieg fährt, sondern die Tour de Suisse nur zum «Einrollen» für die Tour de France bestreitet. Zum grossen Kreis der Favoriten zählen auch Fahrer wie Weltmeister Michal Kwiatkowski (Pol), Jakob Fuglsang (Dä) oder Robert Gesink (Ho).

Während die Rundfahrten-Spezialisten durch Abwesenheit glänzen, ist die Gilde der Sprinter und Klassiker-Spezialisten ausgezeichnet vertreten. Der ex-Weltmeister Mark Cavendish (Gb), der diesjährige Seriensieger Alexander Kristoff (No), der Mailand-Sanremo- und Paris-Roubaix-Gewinner John Degenkolb (De), Peter Sagan (Slk) und Michael Matthews (Au) dürften sich um Erfolge in den Sprint-Etappen streiten. Ausreisser dürften es in diesem Jahr schwer haben.

Reichenbach statt Frank

Das Fehlen von Frank, dessen Saisonvorbereitung ganz auf die Tour de France ausgerichtet ist, schmälert auch die Chancen der Schweizer auf eine Top-Klassierung im Gesamtklassement. Frank ist im Moment der einzige Schweizer, dem ein Sieg in einer grösseren Rundfahrt zugetraut wird. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Fabian Cancellara der letzte Schweizer Gesamtsieger (2009) bleibt.

Statt Frank führt dieses Jahr Sébastien Reichenbach das Schweizer IAM-Team im Kampf um den Gesamtsieg an. Der 26-jährige Walliser hatte den Giro als Leader seiner Equipe wegen Magenproblemen aufgeben müssen und möchte sich nun in der Schweiz rehabilitieren. IAM stellt mit drei Einheimischen wenig überraschend das grösste Kontingent an Schweizern.

Kleine Schweizer Delegation

Insgesamt ist die Schweizer Delegation aber eher klein. Auf der provisorischen Startliste figurieren nur neun Einheimische und damit deutlich weniger als im Vorjahr (16). Nebst Frank fehlt auch BMC-Neoprofi Stefan Küng. Der hoffnungsvolle Thurgauer, der zweite Schweizer Etappensieger an der diesjährigen Tour de Romandie, wird nach seinem schweren Sturz am Giro d’Italia diese Saison keine Rennen mehr bestreiten.

Küng, der an der Tour de Romandie eine Etappe solo gewonnen hat, wäre ein aussichtsreicher Schweizer Kandidat auf einen Etappensieg gewesen. Die grössten Trümpfe dürften nun Michael Albasini, der an der Tour de Romandie mit zwei Tageserfolgen brilliert hat, und Fabian Cancellara sein. Cancellara ist für die Tour de Suisse auch in diesem Jahr das Zugpferd. Der Berner, der auch persönlich beim neuen Vermarkter unter Vertrag steht, leidet seit einigen Tagen an einem Infekt, startet aber heute in Rotkreuz zur Tour.

Infront Ringier setzt bei seiner ersten Tour auf ein neues Konzept. Mit zwei «Hubs» an den beiden Wochenenden, zum Start in der Region Zug und zum Abschluss in der Stadt Bern, und attraktiven Rundstrecken-Etappen sollen mehr Zuschauer angelockt werden. Die Königsetappe führt dieses Jahr nach Österreich zum Rettenbachgletscher oberhalb von Sölden.

Nach Plan verlief im Vorfeld für die Organisatoren aber nicht alles. Wegen des Felssturzes in der Schöllenenschlucht musste die 3. Etappe nach Olivone TI verkürzt werden. Statt in Brunnen, das auf den Start verzichtete, beginnt das Teilstück nun in Quinto. Der Gotthardpass wird trotzdem befahren, und zwar geht es von Süden her via alte Tremola-Strasse hoch und auf der regulären Passstrasse wieder nach Airolo hinunter. Insgesamt haben die Radprofis nun 1262,6 km zu absolvieren.

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