Es war schon immer zu einfach, die Werke von Sacher-Masoch als Kehrseite von de Sade zu sehen. Roman Polanski beweist, dass beiden eine ungeahnte Leichtigkeit innewohnt. Und eine vergnügliche Theatralität.
«Die Venus im Pelz» beginnt mit einer Kamerafahrt durch eine Strasse von Paris. Getrieben vom unwiderstehlichen Ostinato der Musik (an «Boléro» von Ravel angelehnt), fliegen wir in ein altes, imperiales Gebäude. Der Buchstaben H fehlt über dem Eingangstor. Es handelt sich offensichtlich einem T … EATER, das seine besten Tage gesehen hat. Durch drei Eingangstüren geleitet uns die Kamera in den Zuschauerraum. Auf der Bühne streift das Licht die Kulissen vergangener Aufführungen. Der Regisseur (Mathieu Amalric) ist eben dabei, das Haus zu verlassen.
Vanda, die in die Jahre kommende Schauspielerin stürzt zum Vorsprechen herein – zu spät. Kaugummikauend, jammernd, fleht sie um eine Audition, schlenzt mit Vorstadt-Argot um sich, bedrängt den Regisseur mit Teenie-Slang und setzt sich schliesslich durch: Sie spricht für «Die Venus im Pelz» vor.
Das Liebespiel der Macht wird dekonstruiert
Was jetzt folgt ist ein neunzigminütiges Liebespiel um Macht, Unterwerfung, Verführung. Ein Meisterwerk der Selbstoffenbarung des Altmeisters Polanski. Mathieu Amalric ist dabei wohl der eigentliche Glücksfall für den Regisseur in diesem Film: Nicht nur sieht er dem jungen Roman verblüffend ähnlich. Amalric lässt sich von Polanskis Frau Seigner in ein hinreissend neugieriges, komödiantisches Rollenspiel verführen: Da kein Schauspieler mehr da ist, muss Thomas, der Regisseur selbst, die Rolle übernehmen.
Mehrfach werden die Rollen gebrochen. Der Anweisende wird zum Dirigierten, die Unwissende wird zu Besserwissenden, der Inszenierende wird zum Inszenierungsteil. Lustvoll wird der Arbeitsprozess auf dem Theater reflektiert, der Text dekonstruiert. Immer wieder werden die Rollen der Identifikation entrissen, aufgelöst, um dennoch umso theatralischer filmisch fortgespielt zu werden: Manchmal setzt Polanski sogar den Ton einer pantomimisch dargestellten Teetasse unter das Bild, um die fiktionale Wirklichkeit mit der Kunst-Wirklichkeit zu brechen.
Eine grosse Theatermetapher setzt die Phantasie in Gang
«La Vénus à la Fourrure» ist gleich mehrfach eine gelungene Theatermetapher: Das Theater als Ort der Begegnung mit einem grossen Text. Das Theater als Ort, in dem die grossen Mythen heruntergebrochen werden auf menschliche Tragödien. Das Theater, indem Rollen von den verschiedensten Seiten betrachtet und mit immer neuen Voraussetzungen gespielt werden können. Das Theater, das sich sogar die Wirklichkeit zu seinem Untertanen macht. Zum Schluss, wenn die Theaterproben eigentlich erst beginnen sollen, kehren wir wieder zurück in die Wirklichkeit, die längst ausser Kraft gesetzt ist.
Polanskis Leben, Lieben und Irrtümer in einem Stoff
Polanski hat mit seiner Frau Emanuelle Seigner im Stück von David Ives eine Trouvaille gemacht: Als stehe darin alles über sein Leben, inszeniert Roman Polanski all seine Tragödien und Untiefen noch einmal im leichten Spiel. An einem einzigen Dreh-Ort zeigt er, wie einfach mit diskretem Lichtzauber, inspirierten Schauspielern und einem beziehungsreichen Text Kino zu machen ist. Als wir am Schluss wieder durch die drei Türen auf die Strasse hinausfahren, ist die Musik auf ihren Höhepunkt und wir sind tief in das Verwirrspiel von Frau und Mann und Frau geraten, das ja eigentlich erst jetzt geprobt werden soll.
Den Bären machen! Sich jagen und fesseln lassen! Sich von einer üppigen, in Pelz gekleideten Frau Strafen und Erniedrigungen zufügen lassen! Diese Liebesspiele hat Ritter Von Sacher-Masoch in seinem «Kain»-Zyklus – phantasiert. Literaturfähig hat er 1870 in «Venus im Pelz», kurz vor den Partnerspielen von August Strindberg, das Rollenspiel der Geschlechter gemacht. Sacher-Masoch verhalf damit 1870 mit einem Federstrich einer bizarre Neigung ans Tageslicht, sich freiwillig zum Sklaven der Liebe zu machen.
Hundert Jahre zuvor hatte der Marquis de Sade in seiner «Justine» das Liebesspiel – mit umgekehrten Vorzeichen – ebenso unterwürfig beschrieben, und liess darin eine junge Frau von einem befreundeten Paar in den Liebesgenuss – durchaus nicht nur freiwillig – einführen: Lange galt der «Sadismus» als die eine Seite der Medaille, zu der sich fortan «Masochismus» gesellte, obwohl beide beide derart unterschiedliche Anregungen zum Liebesspiel boten, dass sie eigentlich nicht auf die gleiche Medaille gehörten.
Das Spiel von der Verführung: Im Theater oder im Kino?
Im zwanzigsten Jahrhundert diente de Sade den Surrealisten ebenso als Lichtgestalt, wie Masoch hundert Jahre später den Ärzten mannigfaltige Vorlagen für psychische Krankheitsbilder bot. Fortan wurden sie in einem Atemzug genannt, wenn das bizarre Rollenspiel der Liebe beschreiben wird, das das Ausgeliefertsein aus dem Reich der Phantasie in die Wirklichkeit holen will.
Eineinhalb Stunden werden wir in «La Vénus à la Fourrure» Zeuge einer Verführung. Erst wird der Regisseur verführt, dann liefert sich die Frau aus, dann wird die Regisseur-Figur seines Stückes verführt, dann selbst wir verführt, die wir ja ins Kino geeilt sind, um einen Film zu sehen – zu einem der leichtfüssigsten und letztlich einleuchtendsten Theaterabenden der letzten Jahre. So sind auch wir die Verführten: Das Kino hat uns in den Staub der traditionellen Theaterkulissen zurückgeführt.
Polanski hat einem Text alles entlockt, was zu einem grossen Theaterabend gehört: Eros, Tod und das Rollenspiel zweier souveräner Darsteller. Kino ist es deshalb nicht: Es ist ein Theaterabend auf der Leinwand. Würde er im Theater stattfinden, er käme ohne Leinwand-Projektion blendend aus. Das kann man von manch einer Theateraufführung schon lange nicht mehr behaupten.
Der Film läuft zur Zeit in den Kult-Kinos.