Das Museum Rietberg steht ab Februar im Zeichen zweier versunkener Städte des alten Ägypten, die erst im Laufe der letzten 20 Jahre entdeckt und erforscht wurden. Dabei stiessen die Forscher auf Spuren einer der wichtigsten Zeremonien des alten Ägypten.
Aus alten Schriften kannten Geschichtsforscher die Städte Thonis, Heraklion und Kanopus an der Mündung des Nils, aber gefunden hatte man von ihnen lange keine Spur. Bis Wissenschaftler des Europäischen Instituts für Unterwasserarchäologie (IEASM) auf die Idee kamen, im Meer danach zu suchen. Bei einer systematischen Suche stiessen sie in den späten 1990er Jahren und im Jahr 2000 am Meeresboden auf seltsame Strukturen – zwei und sieben Kilometer vor der Küste Ägyptens.
Das Team um Franck Goddio – IEASM-Gründer und Pionier der modernen Meeresarchäologie – entdeckte nur rund zehn Meter unter der Meeresoberfläche Tempelanlagen, monumentale Statuen, beschriftete Stelen und rituelle Gegenstände. Anhand der Funde waren sie bald sicher, auf Kanopus und Thonis-Heraklion gestossen zu sein. Wie sich ebenfalls erst im Zuge ihrer Erforschung der Stätte und Vergleich mit alten Texten herausstellte war Thonis der altägyptische Name für Heraklion.
Wie moderne Chirurgie
«Wir wissen, wie Tempelanlagen aufgebaut waren, und können ganz gezielte Ausgrabungen machen», erklärte Goddio an einem Mediengespräch am Mittwoch in Zürich. Früher habe man flächendeckend gegraben, heute gehe man eher wie bei der modernen Chirurgie vor: Mit möglichst kleinen, gezielten Eingriffen. Dabei helfen moderne Technologien, die das Sediment auf auffällige Strukturen «durchleuchten».
«Wir haben erst fünf Prozent von dem gesehen, was dort ist», sagt der Meeresarchäologe, der in der kommenden Woche die nächste Ausgrabung startet. Aufgrund der sonst zu schlechten Sichtverhältnisse können er und sein Team nur während weniger Wochen im Mai bis Juni und im September bis Oktober nach neuen Artefakten tauchen.
Den Rest der Zeit verbringen sie mit der Katalogisierung und Analyse der Artefakte und dem Publizieren ihrer Ergebnisse in Zusammenarbeit mit der Oxford University.
«Bei jeder neuen Ausgrabung glauben wir, dass wir nicht wieder so grossartige Objekte finden können wie im vorhergehenden Jahr. Und jedes Mal sind wir wieder erstaunt», so Goddio, dessen Forschung seit mittlerweile 20 Jahren von der liechtensteinischen Hilti Foundation finanziert wird.
Rund 300 Artefakte
Die Ausstellung zeigt rund 300 Exponate aus der ägyptischen Spätzeit von 664 bis 332 vor Christus und der griechisch-römischen Zeit von 332 vor bis 395 nach Christus. Die Fundstücke aus Heraklion und Kanopus werden durch 40 Artefakte aus den Museen in Kairo und Alexandria ergänzt. Viele der Objekte sind erstmals ausserhalb Ägyptens zu sehen, teilte das Museum Rietberg mit.
In der Ausstellung sollen die Besucher auf den Spuren einer der wichtigsten und geheimsten Zeremonien des alten Ägypten wandeln, die laut dem Kanopusdekret, einer Steintafel aus dem Jahr 238 vor Christus, regelmässig in Kanopus und Thonis-Heraklion, sowie auf den Wasserwegen dazwischen stattfand. Davon zeugen auch Funde des Teams um Goddio, die im Museum gezeigt werden: kleine bleierne Votiv-Barken und andere rituelle Gegenstände.
Bei dieser Zeremonie, den «Osiris-Mysterien», stellte der Pharao jedes Jahr die Legende des Osiris nach: Demnach wurde Osiris von seinem Bruder Seth getötet und sein Körper in Stücke zerteilt. Isis, Osiris‘ Schwester und Ehefrau, sammelte die Teile ein und fügte sie durch ihre göttliche Macht zusammen.
Osiris erwachte für kurze Zeit wieder zum Leben und zeugte mit ihr den gemeinsamen Sohn Horus, der schliesslich Seth besiegte. Osiris wurde so zum Gott des Jenseits und der Wiedergeburt. «Die Zeremonie spielte eine wichtige Rolle für die Kontinuität der Pharaonen-Dynastie», erklärte Goddio. Allerdings fand die Zeremonie in den Tempeln im Geheimen statt.
Ab 10. Februar können die Ausstellungsbesucher in diesen Teil des rituellen Lebens eintauchen, der der damaligen Bevölkerung verborgen blieb.