Die Welt, eine Genossenschaftsbeiz

Die USA einigt sich mit dem Iran und setzt sich mit Kuba an einen Tisch: Angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen sollte die Schweiz überdenken, wie sie sich an der Global Governance beteiligt, statt sich auf den Part der neutralen Vermittlerin zu beschränken. Jetzt ist es also so weit. Die USA und der Iran konnten sich vor […]

Vertrauensverhältnis nicht mehr benötigt: Die USA haben das Schweizer Vermittlermandat in Kuba aufgelöst. Auf dem Bild aus dem Jahr 1965 bespricht sich der ehemalige Schweizer Botschafter Emil Stadelhofer mit Fidel Castro in einer Pizzeria. Stadelhofer übernahm das Mandat kurz nach der kubanischen Revolution.

Die USA einigt sich mit dem Iran und setzt sich mit Kuba an einen Tisch: Angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen sollte die Schweiz überdenken, wie sie sich an der Global Governance beteiligt, statt sich auf den Part der neutralen Vermittlerin zu beschränken.

Jetzt ist es also so weit. Die USA und der Iran konnten sich vor einigen Tagen nach langen und zähen Verhandlungen auf ein Nuklearabkommen einigen. Beinahe zeitgleich haben die USA und Kuba die Normalisierung ihrer diplomatischen Beziehungen mit der Eröffnung von Botschaften in der jeweils anderen Hauptstadt gekrönt. Zwei denkwürdige und durchaus positive Ereignisse – eigentlich.

«Eigentlich» deshalb, weil die Schweizer Vermittlungs- oder offiziell «Schutzmachtmandate» zwischen den USA und Iran beziehungsweise zwischen den USA und Kuba nun nicht mehr länger von Bedeutung sind. Da die USA und Kuba nun direkte diplomatische Beziehungen aufgenommen haben, wurde das Schweizer Mandat der USA in Havanna kürzlich sogar explizit von US-Aussenminister Kerry schriftlich gekündigt.

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Als Schutzmacht spielte die Schweiz in der globalen Politik einst eine bedeutende Rolle. Insbesondere während des Kalten Krieges war sie dank ihrer Neutralität die Schutzmacht schlechthin. Zeitweise hatte sie bis zu 24 solcher Mandate gleichzeitig inne. Nach dem Ende des Kalten Krieges und nun speziell auch nach dem «Verlust» dieser beiden doch namhaften Mandate sollte wieder einmal gefragt werden, welche Rolle die Schweiz in der gegenwärtigen globalen Politik einnehmen soll. 

Globale Herausforderungen, internationales Handeln

Kennzeichnend für die Gegenwart sind komplexe Phänomene globalen Ausmasses wie Klimawandel, Migrationsströme, Terrorismus, Umweltverschmutzung, Proliferation oder langandauernde innerstaatliche Konflikte. All dies sind Herausforderungen, die bekanntlich nicht mehr von individuellen Staaten erfolgreich angegangen, geschweige denn gelöst werden können.

Stattdessen sind die Staaten gezwungen, die Dinge gemeinsam an die Hand zu nehmen und nach Lösungen zu suchen. Dieses Gemeinsam-an-die-Hand-Nehmen wird auf Englisch Global Governance genannt. Dieser Ausdruck, für den sich kein entsprechender Begriff auf Deutsch durchsetzen konnte, bezeichnet das Regeln und Steuern von globalen Angelegenheiten.

Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Hierarchie im Sinne einer Weltregierung. Vielmehr muss man sich in diesem Zusammenhang die Welt als Genossenschaftsbeiz (wie das «Hirscheneck») vorstellen. Die Staaten bilden das Kollektiv, das zugleich Belegschaft und Geschäftsleitung ist. Gemäss den Statuten dieser «Weltgenossenschaft», also den völkerrechtlichen Grundsätzen, haben alle Staaten die gleichen Rechte und Pflichten und sind somit gleichberechtigt.

Prinzipiell stimmt dies zwar im rechtlichen Sinne, faktisch aber ist das natürlich weder in der Genossenschaftsbeiz noch in der Weltgemeinschaft der Fall. Zwischen den Kollektiv-Mitgliedern gibt es zahlreiche Unterschiede, was ihr jeweilig inneres Wesen, aber auch ihre externen Einflussmöglichkeiten betrifft. Während Gewisse sich und ihre Meinung also effektiver ins Geschehen einbringen können, sind andere nicht so erfolgreich damit. Jedes Mitglied dieses Kollektivs partizipiert nach seinen eigenen Stärken und Möglichkeiten. 

Ein Abseitsstehen ist nicht erwünscht

Einer für alle, alle für einen – dieser Slogan stammt nicht nur aus Alexandre Dumas‘ Roman «Die drei Musketiere». Er steht auch – auf Lateinisch – in der Kuppel des Bundeshauses: «Unus pro omnibus, omnes pro uno.» Obwohl er sich ursprünglich auf den Zusammenhalt der Kantone bezieht, kann er heute auch als Leitgedanke für das Engagement der Schweiz in der Global Governance verstanden werden.

Ein Abseitsstehen ist weder erwünscht noch möglich, da die Lösungen für Probleme gesucht werden, die jeden Einzelnen angehen. Wie jedoch kann und soll die Schweiz sich einbringen? 

Die Möglichkeiten eines Schweizer Engagements in der Global Governance sind mannigfaltig, gewisse bereits erprobt, andere noch zu prüfen. So kann dies geschehen in der Rolle der Vermittlerin (wie im Ukraine-Konflikt), als Initiantin neuer Projekte (wie im Falle des UN-Menschenrechtsrats), als Unterstützerin bei Katastrophen und Krisen (wie beim Swisscoy-Einsatz im Kosovo), als Gastgeberin von internationalen Organisationen und Konferenzen (sei dies in Genf, Montreux, Lausanne oder Davos) oder auch als Mitbestimmerin (als Mitglied des UN-Sicherheitsrates). 

Grundsätzlich jedoch muss sich die Schweiz, genau wie alle anderen Staaten, zunehmend hinsichtlich einer Global Governance aktiv beteiligen. Denn nur, wenn sich alle Staaten gemeinsam bemühen, können die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts eventuell einst auch gemeistert werden.

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Daniel Högger ist Senior Policy Fellow «Global Governance» bei «foraus», dem Think Tank zur Schweizer Aussenpolitik, und Lehrbeauftragter an der Universität Basel. Der Text erschien in ähnlicher Form auf dem foraus-Blog.

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