Fussball ist Manchmal eben doch weit mehr als ein Spiel. Eine Einschätzung, die Roman Bürki nach den Ereignissen der letzten Monaten teilen würde.
Der Torhüter von Dortmund hat in den letzten zwölf Monaten einen Bombenanschlag überlebt, mit dem BVB unter schwierigen Bedingungen die Champions League erreicht und den Cup gewonnen. Im Interview mit der Nachrichtenagentur sda spricht der 26-Jährige im Neuenburger SFV-Camp über eine unvergessliche Saison.
Roman Bürki, schildern Sie Ihren aktuellen Gemütszustand.
Ich bin stolz, glücklich, vielleicht auch etwas müde. Aber ich versuche, die Müdigkeit wegzutrainieren, damit ich am Donnerstag bereit bin für die Nationalmannschaft. Nach einer wunderbaren Feier in Dortmund freue ich mich, wieder einmal in der Schweiz zu sein, in meiner Heimat bei der Familie, bei Freunden.
Nach der Party kam die Ernüchterung. Während der Autofahrt zum Camp des Nationalteams in Neuenburg haben Sie von der Freistellung Ihres Trainers Thomas Tuchel erfahren.
Im Fussball geht es leider sehr schnell. Es liegt nun in der Hand der Verantwortlichen, eine gute Lösung zu finden.
Ein Handbruch, Spannungen im Verein, Todesangst, grosse Siege, am Ende der Cup-Triumph in Berlin, dann die Trennung vom Coach. Sie haben vermutlich die verrückteste Zeit Ihrer bisherigen Karriere erlebt?
Es war sehr speziell. Nach dem Anschlag auf unseren Bus und all den Begleiterscheinungen ging es in fast jeder Partie auf und ab. Aber es gelang uns trotzdem immer, die wichtigen Spiele zu unseren Gunsten zu drehen. Der Final gegen Frankfurt war das beste Beispiel dafür – das Loch nach dem sehr guten Start, dann doch noch der Sieg.
«Ich habe noch nie derart schlimme Phasen durchmachen müssen.»
Brauchen Sie ein paar Ferientage, um alles einordnen zu können?
Auf jeden Fall benötige ich Ruhezeit, um alles zu begreifen, um komplett abzuschalten. Ich freue mich extrem auf diese Auszeit. In meinem Kopf schwirren so viele Gedanken herum. Ich habe noch nie derart schlimme Phasen durchmachen müssen. Aber jetzt gilt es, noch einmal den Fokus zu finden, mit dem Nationalteam die positive Serie fortzusetzen, sich noch einmal zu konzentrieren.
Mussten Sie ab und an zum Tunnelblick ansetzen, um sich von der Trainer-Debatte nicht ablenken zu lassen und die Spannungen rund um die Dortmunder Führungsetage auszublenden? Dazu kam die Verarbeitung der Bombenexplosion neben dem Teambus. Wie ist diese massive Reizüberflutung zu verkraften?
Wir haben im Kreis der Mannschaft intensiv darüber geredet. Die Zeit fehlte weitgehend, die Themen mit Aussenstehenden zu besprechen. Es gab Spieler, die sich vertiefter und in der Gruppe mit dem Anschlag beschäftigten, andere gingen auf eher persönliche Weise mit der schwierigen Situation um. Die Ereignisse haben uns sicherlich enger zusammengeführt. Irgendwie haben wir uns am letzten Samstag in Berlin dann mit dem Cupsieg für all die Strapazen auch ein bisschen selber belohnt.
Haben Sie trotz des dichten Kalenders psychologische Hilfe in Anspruch nehmen können?
Ich hatte Hilfe, ja – auch von der Mannschaft und vom Trainer, der auf jeden einzelnen Spieler eingegangen ist und spürte, was nötig war.
Sie haben Ihren Trainer explizit erwähnt. Was pflegten Sie für ein Verhältnis zu ihm?
Er hat mich zu Dortmund geholt und mich zur Nummer eins gemacht. Tuchel ist ein sehr akribischer und professioneller Trainer. Er feilte an jedem Detail und war immer der Erste im Trainingszentrum. Es ist ja klar, dass es nicht an den Leistungen lag. Das muss andere Gründe haben.
Irgendwie wirkt es surreal, wenige Tage nach einer Feier mit gegen 250’000 euphorisierten Fans über die endgültige Zerrüttung mit dem Trainer diskutieren zu müssen.
Mich hat vor allem gestört, dass mir unmittelbar nach dem Cupsieg auf dem Rasen ein Journalist die Frage stellt: «Wollen Sie, dass Tuchel weiterhin Ihr Trainer bleibt?» Das empfand ich als Frechheit.
«Mir wurde auch gesagt, dass sie schon während der TV-Übertragung primär über die Zukunft des Trainers und über den möglichen Abgang von Aubameyang referiert hätten. Das ärgert mich.»
Die Nebenschauplätze waren wichtiger.
Mir wurde auch gesagt, dass sie schon während der TV-Übertragung primär über die Zukunft des Trainers und über den möglichen Abgang von Aubameyang referiert hätten. Dass wir aber einen grossen Sieg feierten, war offenbar nicht so wichtig. Das ärgert mich. Das ist schade.
Konnten Sie sich erst dann uneingeschränkt freuen, als Sie mit offenem Lastwagen-Verdeck in Richtung Borsigplatz rollten und den Menschenmassen zujubelten?
Das war für mich der eindrücklichste Moment. So ausgelassen und losgelöst hatte ich ein paar meiner Mitspieler noch nie erlebt. Der Druck war weg, man konnte sich gehen lassen. Das löste beim einen oder anderen ein paar Tränen aus.
Eine Viertelmillion Anhänger formierten sich rund um die Siegerparade. Wird Ihnen an Tagen wie diesen die Dimension des Klubs erst richtig bewusst?
Das ist auf jeden Fall so. Wir benötigten fünf bis sechs Stunden, um den Borsigplatz zu erreichen. Wie laut und festlich sich die Stadt gab, war beeindruckend und machte jeden von uns stolz.
Welche Schlagzeile würde zu dieser beispiellosen Saison passen?
Der Stolz auf die Leistung überwiegt, andererseits wurde uns aufgezeigt, wie viel Wichtigeres es im Leben gibt als Fussball – darum wohl am ehesten: Berg- und Talfahrt.