Django Reinhardt und seine Erben

Vor 60 Jahren starb Django Reinhardt, Gitarrist und Stammvater einer der fruchtbarsten europäischen Musikerdynastien. Sein musikalischer Geist lebt weiter, wie sieben Hörbeispiele zeigen. Django Reinhardt, Gitarrist und Stammvater einer der fruchtbarsten europäischen Musikerdynastien, ist heute vor 60 Jahren verstorben. Er wuchs als Sohn französischsprachiger Sinti in einer Wohnwagensiedlung bei Paris auf, und ebenfalls in einem […]

Er war ein flinker Finger: Django Reinhardt.

Vor 60 Jahren starb Django Reinhardt, Gitarrist und Stammvater einer der fruchtbarsten europäischen Musikerdynastien. Sein musikalischer Geist lebt weiter, wie sieben Hörbeispiele zeigen.

Django Reinhardt, Gitarrist und Stammvater einer der fruchtbarsten europäischen Musikerdynastien, ist heute vor 60 Jahren verstorben.

Er wuchs als Sohn französischsprachiger Sinti in einer Wohnwagensiedlung bei Paris auf, und ebenfalls in einem Wohnwagen kam es im November 1928 zu einem folgenschweren Brand: Reinhardt, knapp 19 Jahre, lebt dort mit seiner Frau Bella und hat gerade seine erste Schallplatte als Banjospieler aufgenommen, als der Wohnwagen ausbrannte. 18 Monate verbrachte Django im Krankenhaus, seine linke Hand war verkrüppelt, beinahe hätten ihm die Ärzte ein Bein amputiert.

Sein Bruder Joseph schenkte ihm eine Gitarre, auf der sich Django im Spital zielstrebig eine Spielweise beibrachte, zu der er Ring- und kleinen Finger kaum benutzen musste. Die Sehnen, durch die Hitze des Feuers geschrumpft, blieben gekrümmt; nur zum Akkordspiel konnte er sie ein wenig benutzen.

Djangos schnelle Schlaghand

Django spielte weiter. Erst als Strassenmusiker, dann in Cafés und Hotels. Er hörte Platten von Duke Ellington, Louis Armstrong und Joe Venuti; Jazz mischte sich in seine Musette-Walzer und seine Sinti-Musik. Sein ausgeprägt individueller Stil war geprägt von der Technik, die sein Handicap ihm aufzwang. Seine Soli aber strotzten geradezu vor virtuosen Läufen und der Geschwindigkeit seiner Schlaghand.

Mit dem von ihm entwickelten «Manouche Swing» hatte er grossen Erfolg, tourte durch England und mit Duke Ellingten durch die USA und schrieb, obwohl er nicht Noten lesen konnte, einige Kompositionen, die zu Standards des Genres wurden. Wegen seinem harmonischen Verständnis, seinem ausgeprägten Sinn für Rhythmus und seiner bemerkenswerten Technik aufgrund seiner verkrüppelten Hand, wurde zu einem herausragenden Solisten und zum wohl besten und einflussreichsten europäischen Jazzmusiker seiner Zeit.

Er starb am 16. Mai 1953 im Dorf Samois-sur-Seine bei Paris an einem Schlaganfall, aber sein musikalischer Geist lebt weiter, in seinen Erben – und in seiner Familie.

1. Django Reinhardt: «Nuages»

Keine seiner Kompositionen wurde so oft aufgeführt und neu interpretiert wie dieses Instrumentalwerk aus dem Jahr 1940 mit der unverkennbaren Melodie. Das Stück vertont frei umherziehende Wolken, die symbolische Heimat der nomadischen Manouches. Erstmals live vorgestellt hat er es in Paris zur Zeit der Besetzung durch NS-Deutschland und erarbeitete sich, da ohne Text, schnell die Reputation eines freiheitsliebenden Ersatzes für die Nationalhymne.

100’000 Exemplare davon wurden zu seinen Lebzeiten auf Schellack verkauft, und Django selbst hat das Stück in dreizehn weiteren Variationen aufgenommen, von Orchesterbegleitung bis E-Gitarre. Von «Nuages» entstanden noch zeit seines Lebens Versionen mit Textbegleitung, den treffendsten Titel dazu hat wohl der amerikanische Jazzkomponist Spencer Williams gewählt: «It’s the bluest kind of Blues».

2. Quintette du Hot Club de France: «Tiger Rag»

Zusammen mit dem Geiger Stéphane Grappelli, auf dieser Version des Jazzstandards «Tiger Rag» besonders prominent in Szene gesetzt, gründete Django Reinhardt 1934 dieses Quintett unter dem Dach des Pariser Jazzclubs Hot Club de France. Das Quintett, ergänzt mit Djangos jüngerem Bruder Joseph Reinhardt und Roger Chaput an den Gitarren sowie Louis Vola am Kontrabass, war in mehrerer Hinsicht revolutionär: es gilt als das erste ausschliesslich mit Saiteninstrumenten besetzte Jazz-Ensemble, ebenso war die Aufteilung der Besetzung in Solo- und Begleitinstrumente eine Neuheit.

Anfangs von ihrem Label noch als «zu modern» abgelehnt, erspielte sich das Quintett besonders in England und später in den USA einen immensen Erfolg und schaffte es mit der Coverversion «After You’ve Gone» sogar in die US-Charts. Durch den Krieg auseinandergerissen, stellte Reinhardt die Band mehrmals um, nahm Blasinstrumente mit rein und versuchte, der Gruppe den Bebop näherzubringen, was ihre Musik konventionalisierte und schliesslich zur Auflösung des Quintetts führte.

3. Schnuckenack Reinhardt: «Gypsy Violin Medley»

Welch musikalisches Talent in der Familie Reinhardt schlummerte, liess sich am Verhältnis von Django zu seinem Cousin Franz «Schnuckenack» Reinhardt erkennen – es bestand keines, die beiden sind sich nie begegnet. Schnuckenack (eine Abwandlung vom Romani-Audruck «schuker nak», zu dt. schöne Nase), gestorben 2006 in Heidelberg im Alter von 85 Jahren, galt als der grosse Geigen-Virtuose der Sinti-Musik.

Schnuckenack war nicht das musikalische Genie wie sein Cousin, der intuitiv in seinem Stil verschiedene Traditionen vereinte und ihn zum Pionier eines eigenständigen europäischen Jazz werden liess. Aber Schnuckenack sorgte in Deutschland, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte, massgeblich dafür, dass die die Musik der Sinti, zu seiner Zeit noch schal als «Zigeunermusik» tituliert, sich von der Tanzmusik für die Strasse zu einer anerkannt konzertanten Form wandelte.

 

4. David Reinhardt Trio: «Tributo a Django»

Django Reinhardt starb früh, aber die Musik vererbte er seinen nachfolgenden Generationen. Sein Sohn aus zweiter Ehe, Babik Reinhardt, folgte als Pianist und Gitarrist zuerst dem Rock’n’Roll, bevor er sich in späteren Jahren dem Gypsyswing zuwandte, wo er kaum je aus dem Schatten seines Vaters heraustreten konnte und sich mit der Traditionsbewahrung begnügte.

Diese Aufgabe führt nun die dritte Generation fort: Babiks Sohn David Reinhardt, der das Gitarrenspiel im Alter von sechs Jahren erlernte, entwickelte den Manouche-Stil eigenständig weiter – mit seinen Platten, für die er mehrere Jazzpreise erhielt, aber auch als Verwalter. Er kompilierte die Albumreihe «Jazz manouche» und bestückte sie mit einigen jungen, progressiven Stimmen. 2010 trat er auch am Umbria Jazz Festival mit einer neu interpretierten Auswahl von Stücken des Grossvaters auf.

 

5. Lulo Reinhardt’s Latin Swing Project: «Lela»

Noch um eine weitere Ecke verwandt ist Lulo Reinhardt, der wie Schnuckenack zum deutschen Ast der verzweigten Sippe gehört. Auch Lulo lernte das Gitarrenspiel, familienkonform, von seinem Vater und gründete mit anderen Familienmitgliedern eine Gypsy-Jazz-Kapelle, erweiterte jedoch bald das musikalische Spektrum.

Er integrierte neben Flamenco gerne Elemente des Latin,  der brasilianischen Popmusik – und spielte zur Abwechslung auch mal mit den Koblenzer Indierockern Blackmail ein paar Lieder.

 

6. Dotschy Reinhardt: «Girls Like Me (Django’s Theme)»

Mit Dotschy Reinhardt hat sich erstmals eine Frau der Familientradition angenommen. Dotschys Beiträge zum Gypsy-Jazz sind allerdings eher kulturkonservativer Natur, indem sie die Musik wie Textsprache der Sinti in einem zeitgenössisch geglätteten Jazzsound mit Bossa Nova aufhübscht und zugänglicher macht. Bedeutender sind ihre anderen Beiträge zur Kultur der Sinti: mit ihrem dritten Album «Pani Sindhu» geht sie ganz an den Anfang des Auszugs der Sinti aus Nordindien vor rund 1000 Jahren zurück, die ihre Existenz als fahrendes Volk begründete.

Die Lieder auf «Pani Sindhu» sind durchwegs auf Romanes gesungen, beinhalten jedoch Spuren aus dem zwischen Indien und Pakistan gelegenen alten Königreich Sindhu, deren Bewohner sich noch immer Sindhi nennen. Eine weitere Spurensuche hat sie vor fünf Jahren als Buch veröffentlicht: In «Gipsy – Die Geschichte einer grossen Sinti-Familie» erzählt sie die Historie der grossen Musikerdynastie Reinhardt nach, die mittlerweile ihre eigene Geschichte geworden ist.

 

7. Django Reinhardt: «Manoir de mes rêves»

Zum Schluss noch einmal der Meister selbst mit einem Beitrag, der zeigt, zu welch unermesslichen kreativen Schüben er fähig war – und wie nachteilig sich sein mangelndes Notenverständnis und seine ihm nachgesagte Schludrigkeit auswirkte. 1947 soll er eine «Zigeunermesse» komponiert haben, ein Oratorium mit üppiger orchestraler Begleitung, die so gewagte Harmonien beinhaltet, dass sie dem Dirigenten grosse Probleme bereitet haben soll.

Die Partitur, deren Niederschrift Django seinem damaligen Klarinettisten Gérard Levêque anvertraut hatte, ging verloren. Erhalten sind nur Teile davon wie dieses wunderbare Duett aus Klarinette und akustischer Gitarre: «Manoir de mes rêves».

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