Jaramush, der Kartograph der Popkultur legt einen Vampirfilm vor. Aber ist darin alles Vampir, was beisst? Sofia Glasl folgt in ihrem Buch «Mind the Map» seinen musikalischen und literarischen Assoziationsketen. Die Karte seines Weltbildes liefert sie gleich mit.
Der neue J.J. steht bevor. Nach Film-Noir-Verschnitt, Western-Parodie, einem East-Western-Hiphop-Movie und einem Loblied auf Jacques Rivette ist der Meister der Anspielungen beim Vampir-Genre gelandet. «Only Lovers Left Alive» heisst das neue Werk des Grossmeisters der Selbstreferenz und Intertextualität. Da kommt das Buch von Sofia Glasl gerade zum richtigen Zeitpunkt: «Mind the Map» rüstet uns mit wissenschaftlichen Waffen aus, um dem neuen Werk beizukommen. Eine wunderbare JJ-Lektüre für Fortgeschrittene.
Wie kann man sich besser auf den Anspielungsmeister vorbereiten?
Die Autorin schiesst allerdings erst einmal, wie es sich in einer Dissertation gehört, mit scharfer wissenschaftlicher Munition. Wer sich da in den ersten Kapiteln nicht duckt, und mit den Worten des Meisters ruft: «Hab ich einen Schuss gehört? Na, und? Wir sind in Amerika!» der muss sich schon auf den ersten Seiten der Formulierungswut unprofessoral geschlagen geben.
Glasl beherrscht den sprachlich hochgerüsteten Diskurs, und spannt das Netz der Spannung zwischen Deleuze, Lautour und Derrida gekonnt. Wer dennoch etwas über «Jims Films» wissen will, darf sich jetzt nicht einschüchtern lassen, sondern duckt sich kurz, und liest dann die ergiebigen Kapitel, die folgen.
Natürlich will uns die von Bruno Latour hergeleitete Netzwerktheorie mehr sagen, als dass das Kunstwerk sich vor unseren Augen ebenso verändert wie unsere Augen sich vor dem Kunstwerk, das selber seine Augen gern in alle Richtungen richtet. Aber es sei uns, bei aller Ehrfurcht vor Latour, gestattet, die wunderbar hergeleitete Methode, mit der hier Jaramuschs Werke kartographiert werden, nur sträflich knapp zu streifen. Stattdessen verwiesen wir lieber auf die phantastische Mindmap. Sie ist der Gral der JJ-Fans. In ihr wohnt das eigentliche Abenteuer JJ.
Besser Sie haben diese Landkarte im Kopf.
Die Landkarte, die Glasl entworfen hat, macht, lustvoll – wie es Theorie kaum kann, klar, dass unser Eindruck in den Filmen JJ’s bislang nicht getäuscht hat. Seine Filme sind kleine Anleitungen zu grossen Abenteuern: Die Karte, die da vor uns ausgelegt wird, ist ein prächtiges Schnittmuster einer vernetzten Wirklichkeitsauffassung. Also, Finger auf die Karte legen und los geht die Reise durch den Kontinent JJ! Von Zitat zu Verweis zu Referenz zu Anspielungen und Assoziationen.
Es ist in der Tat ein Abenteuer, anschliessend der Reiseführerin Glasl durch die mehrdimensionalen Resonanzketten JJ’s zu folgen: Mit jedem Film kettet sie seinen Lieblingen neue Assoziationsketten an: Da spielen seine Lieblingsmusiker nicht nur mit (Tom Waits, John Lurie, Screaming Jay Hawkins etc.) sondern auch eine entscheidende Rolle in JJ’s Inspiration: «Ich glaube, die Musik hat mich dazu gebracht, dass ich jetzt auch andere Filme zitiere. Wenn zum Beispiel jemand wie Charlie Parker ein Solo spielt, kann er problemlos ein Pop-Standard zitieren, ohne diesen Song zu spielen. Er zitiert ihn nur, weil er passt. Das ist schön.»
Glasl leitet nicht nur her, dass Musik immer die Seele JJ’s Filme war. Sie kartographiert auch deren Wirkungen. Auf die Landkarte JJ gehören zum Beispiel seine Wiederholungen. Wie bei den Studioaufnahmen von Miles Davis lässt JJ mehrere Takes eines Filmausschnitts nebeneinander montiert stehen («Misery Train», «Night on Earth»). Andererseits lässt er immer wiederkehrend Schauspieler in neuen Filmen in Gegenrollen auftauchen, als währen sie immerwährende Spiegel in seinem Kosmos: «Das Universum hat kein Zentrum und keine Ecken.» ist ein immer wiederkehrender Satz in seinen Filmen. Auch dieses Wiederkehren ist kein Zufall. JJ gibt gerne zu, dass er arbeitet wie beim « … Hip-Hop. Da wird viel gesampelt und auf einmal entsteht etwas ganz Neues. Vielleicht hat das meine Art des Schreibens beeinflusst.»
«Nicht, wo du die Dinge hernimmst, wohin du sie führst, ist entscheidend.» J.L.Godard
Glasl stellt in ihrem «Mind the Map» Filmpaare gegeneinander und entwickelt an den Paaren jeweils das Wesenstypische. So wird klar wie JJ sich bei allen Anlehnungen an die gewählten Genres (Film Noir, Mafiafilm, Western etc,) auch immer den Genreerwartungen widersetzt, indem er sie unterläuft. Es dürfte also in «Only Lovers Left Alive» nicht überraschen, wenn der Vampirfilm eigentlich noch viel weiter führt.
Die Sorgfalt, mit der Glasl die Filme nach den Spuren der Popkultur untersucht, macht ihr Buch zu einem unverzichtbaren Ratgeber, um sich auf das neue Abenteuer JJ vorzubereiten. Wer sich bei seinen Assoziationsketten auch im nächsten Film andocken will, kriegt reichlich Lesestoff, der JJ für jene zu einem Abenteuer macht, die wissen wollen, wie es in JJ’s Kopf ausgesehen haben mag: Glasl legt uns eine Karte vor und holt uns all seine Filme noch einmal in den Kopf, indem sie uns die grundlegenden Bauprinzipien darlegt und in ein Netzwerk der Assoziationen einfügt.
Let’s Jaramusch!
«Nichts ist Original! Klau, was in deine Imagination beflügelt oder deine Inspiration in Schwung bringt. Verschling alte Filme, Neue ebenso, Musik, Bücher, Malerei, Fotographien, Gedichte, Träume, Zufälle, Gesprächsfetzen, Architektur, Brücken, Strassenschilder, Bäume, Wolken, Wasserwirbel, Licht und Schatten. Klau nur, was dein Wesen direkt bewegt. Tust du das, wird deine Arbeit (und dein Klauen) authentisch sein.»
Wer das Buch gelesen hat, geht mit neu geöffneten Augen in den Film. Ein paar erhellende Anregungen sollte man sich von Glasl mit in den dunkeln Saal nehmen: «Only Lovers Left Alive» ist erneut ein Genrefilm. Es gilt also wiederum wach zu bleiben, um, was dahinter steckt, zu entdecken. Die beiden Hauptfiguren heissen Adam und Eva. Kann ihr Paradies dann ausgerechnet die bankrotte Autostatt Detroit sein? Wäre da nicht Motown, müsste man sagen, nein, es sei nur einer der vielen ironischen Verweise JJ’s. Aber Motown war einst das Paradies der Popkultur: Die Musik steckt noch in Adams Gitarren, in seinem Messie-Haus. Womit wir wieder bei einem Lieblingsmotiv von JJ sind: Resonanzkörper. Auch der Physiker Tesla darf nicht fehlen. Diesmal steckt er im Notstromaggregat, das als letzte Hoffnung gilt. Wenn wir das Buch weggelegt haben, ziehen wir uns den Film rein. Gespannt darauf, wie es aussieht wenn der Amateur (=Liebhaber) JJ wieder intuitiv wissenschaftlich in seiner Filmwelt vergräbt.
Das Buch von Sofia Glasl ist im Schueren-Verlag im Herbst erschienen. Der Film läuft zur Zeit in den Kult-Kinos.