Und irgendwann sind wir auf einem Dorfplatz hingesessen und haben dem Treiben auf dem Markt zugeschaut, der wöchentlich stattfindet und doch ein Ereignis ist.
Die Sonne weckt früh an solch heissen Sommertagen, zwickt zum Bett hinaus, und ich überlege mir, mich allmählich auf einen neuen Rhythmus einzustellen: Morgens sehr früh drei, vier Stunden gehen, abends dann nochmals. Das dürfte dann im August aktuell werden, wenn ich mich dem Süden Italiens nähere.
Vorläufig, und sowieso solang ich Besuch habe, vertrete ich mir die Beine vor dem Frühstück gern im Dorf, schau in die Boulangerie hinein und – wenn es hätte – in die Bar. Hier in Vignoux ist alles noch geschlossen am frühen Morgen, sitze im Garten des kleinen Hotels, unter schattigem Schirm.
Wir kaufen nach dem Frühstück ein paar Picknick-Sachen ein, ziehen los Richtung Fluss und verlaufen uns in den Flusswindungen. Gehen den Weg zurück, fahren nach Vouzeron, setzen uns vor die Bar, wo eine in der Hitze langgestreckte Katze nur grad so viele Lebenszeichen von sich gibt, dass sie niemand für einen Kadaver hält. Die Zeitungen berichten über die neuen Minister des neuen Premiers, an der Fussball-WM geht es dem Final entgegen, der Weisswein ist kühl, wir geniessen den frühen Sommer.
Wir brechen auf, spazieren an einem Gehöft namens Germaigne vorbei, gehen über weiche Waldwege. Sandige zum Teil, sumpfige, morastige Wege, obwohl es nun doch schon eine ganze Weile heiss und trocken ist. Farnbewachsene, farnbesäumte – zwei, drei Meter hohe Farnstauden in lockeren Abständen, aber in dieser Fülle doch sehr dicht wirkend. Ja, ein bisschen verlaufen wir uns wieder, orientieren uns an Etangs, an Hochspannungsmasten und Sylvia erzählt mir von ihrem neuen Freund und ich mag, da er zur gleichen Zeit wie ich in in Basel studiert hat, mich sogar an ihn erinnern.
Belangloses und Klatsch
Sind in Allogny vor eine Bar gesessen – die vor Strasse zwei, drei Abzweigungen führen in verschiedene Richtungen, vor uns die schlichte Kirche, leicht versetzt dahinter die Mairie, dann eine Bar, ein Coiffeur und auf dem Platz ein fahrender Metzger, der nicht nur Hühnchen, Fleisch und Eier verkauft, sondern sie bei Bedarf auch noch rüstet und grilliert. Leute warten vor seinem Wagen, tauschen Belangloses und Klatsch aus, loben die Qualität der Würste, des Fleisches, der Mann ist guter Dinge und bereichert die Unterhaltungen mit seinem Schatz von Wissen und braucht so von Kundin zu Kunde zu Kundin seine geraume Zeit.
In der Bar hinter uns freuen sie sich, dass auch Italien frühzeitig von der WM heimreisen muss, hat gegen Südkorea zwei zu eins verloren. Einer lässt sein Auto mitten auf der Strasse stehen, geht mit seiner Frau zum Metzger in seinem Verkaufsmobil, schwatzt und wartet und unterhält die Runde, andere stossen dazu, man überbietet sich in Wort und Gestik, in lässigem Tun – Szenen, wie sie sich wohl über Dutzende und Hunderte von Jahren wiederholen, immer die gleichen Spiele, die gleichen Gespräche mit jeweils etwas anderen Worten und Sujets, mit der zeitgenössischen Kulisse. Hier in Allogny, aber auch drüben in Vignoux, in Neuvy, im ganzen Land, auf seine Art auch in Italien, in der Schweiz. Hunderte, Tausende, Hunderttausende von Dorfplätzen, auf denen sich – der Sitte des Landes und der Region entsprechend – diese Szenen immer wieder abspielen, wo getratscht, gehöhnt, gelacht, geflucht, benieden und geschäkert wird.
In Vouzeron setzen wir uns zum Nachtessen vor einem Restaurant auf den Vorplatz, in dem die Wirtsleute ausnehmend freundlich sind. Hier das Restaurant, dort die Bar, die Kirche mit dem doppelt aufgesetzten Turmdach, schräg dahinter die Mairie. Einer von diesen hunderttausend Dorfplätzen, hier plötzlich wieder in sanftem Abendlicht, das Gewölk hat sich verzogen, der Himmel dunkelblau, im Westen leicht rötlich; kaum ein Auto fährt vorbei, ein Knabe übt auf der Trompete, eine dicke Frau trägt noch ein Baguette über den Platz. Später spielt ein Mann in einem anderen Haus ein paar Melodien auf einer Geige.
(Vignoux-sur-Barangeon, 18. Juni 2002)