Drahtlose Telephonie der Wiesenberger

Nur wenige Flachländer kennen noch die frühen Formen der drahtlosen Telefonie: Den Juichzer. Wer heute in den Bergen die Talstation benachrichtigten will, oder einen Heutransport anfordern, der nutzt das Handy. Der Juichzer bleibt trotzdem erhalten – in der Polyphonie des Chorgesangs. Als Kind lernte ich sie in den Sommerferien auf der Alp kennen. Heute verschafft […]

Nur wenige Flachländer kennen noch die frühen Formen der drahtlosen Telefonie: Den Juichzer. Wer heute in den Bergen die Talstation benachrichtigten will, oder einen Heutransport anfordern, der nutzt das Handy. Der Juichzer bleibt trotzdem erhalten – in der Polyphonie des Chorgesangs. Als Kind lernte ich sie in den Sommerferien auf der Alp kennen. Heute verschafft sie mir das Gefühl, mein Handy vibriere  – in der Brusttasche …

 

Wiesenberger an den Solothurner Filmtagen

Wiesenberger an den Solothurner Filmtagen

Nur wenige Flachländer kennen noch die frühen Formen der drahtlosen Telefonie: Den Juichzer. Wer heute in den Bergen die Talstation benachrichtigten will, oder einen Heutransport anfordern, der nutzt das Handy. Der Juichzer bleibt trotzdem erhalten – in der Polyphonie des Chorgesangs. Als Kind lernte ich sie in den Sommerferien auf der Alp kennen. Heute verschafft sie mir das Gefühl, mein Handy vibriere  – in der Brusttasche …

Vor der Postkarten-Kulisse fängt der Dokumentarfilm über das Märchen um den Männerchor an. Die Wiesenberger treffen sich zum Üben. Männer, die hart gearbeitet haben, finden ihren Feierabend. Wir hatten solchen Vielklang von Stimmen lange in Sardinien oder Bali gesucht, oft in Bulgarien vermutet, und finden ihn nicht überraschend auch an den gächen Hängen über Dallenwil: Polyphone Gesangskunst. Wehmut und Tiefgang. Stimmung und Stimmenvielfalt. Wir haben es schon immer vermutet: Stimmen von Menschen, die nach getaner Arbeit Harmonie und Harmonien suchen, haben einen besonderen Klang.

Der Film von Bernhard Weber und Martin Schilt erzählt ganz unaufgeregt, wie die Männer-Gruppe sich in der plötzlichen Prominenz neu findet, wie sie daran wächst. Wie es dazu kommt, wie die Mannen aus den Bergen, vom plötzlichen Erfolg überrollt, zu einer Entscheidung finden müssen, ob sie die Reise an die EXPO in Shanghai antreten wollen. Das ist zweifelsohne der spannendste Teil des Films: ein kleines Musterbeispiel von kommunem Gemeinsinn. Drei Mal müssen die Hände gehoben werden, bis eine Mehrheit einverstanden ist: Sie fahren, nicht alle, aber mit dem Einverständnis aller. Und wir dürfen – zum Glück – Zaungäste sein. Die Filmer folgen den Mitgliedern des Chores über eine längere Zeit, kommen ihnen nahe, und verlieren sie auch in den schwierigen Augenblicken nicht aus den Augen. Beim Üben, beim Reden, beim Reisen, in den Tälern und bei den unerwarteten Höhepunkten sind wir dabei: Wie da ein paar Wiesenberger in China mit Stimmen aus fernen Ländern singen, ohne dass die Sänger aus den verschiedenen Ländern auch nur ein Wort voneinander verstehen, ist rührend und einzigartig zugleich.    

Zum Schluss bleibt eine kleine eidgenossenschaftliche Grundlektion: Wer nicht zuhören kann, sollte nicht mitsingen. Wer mitsingen will, sollte seine eigene Stimme finden. Wer eine Stimme haben will, ist auf die Unterschiede zu anderen Stimmen angewiesen. Das braucht nicht nur gutes Gehör. Es braucht auch den guten Ton. Und die Hände fuchteln nicht, sonder verschwinden in den Hosentaschen, nach getaner Arbeit. Gemeinsam gesungen ist der Juichzer eine meditative Form von Zusammensein – und die Wiesenberger finden sich unter der Leitung einer Frau.

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