Die Halbfinals des French Open am Freitag versprechen zwei echte Highlights. Drei der vier Halbfinalisten haben schon drei und mehr Grand-Slam-Titel gewonnen.
Den Auftakt machen um 12:45 Uhr die Weltnummer 1 Andy Murray und der Champion von 2015, Stan Wawrinka. Anschliessend versucht Dominic Thiem, nach Titelverteidiger Novak Djokovic auch den neunfachen Sieger und Topfavoriten Rafael Nadal auszubooten. Die vier sehr unterschiedlichen Halbfinalisten im Überblick:
Andy, der Unbeugsame
Andy Murray (GBR, 30-jährig, ATP 1, 45- ATP-Titel, darunter 3 Grand Slams, 2 Olympia-Goldmedaillen im Einzel, 1 Sieg ATP-Finals, 14 Masters 1000):
Andy Murray ist die Nummer 1 der Welt und dennoch die grösste Überraschung im Halbfinal. Nach seinem Sieg im Viertelfinal gegen Kei Nishikori meinte der letztjährige Finalist lachend: «Ich bin der, der nicht in dieses Feld passt. Zum Start des Turniers spielte ich richtigen Müll.» In typischer Braveheart-Manier kämpfte sich der Schotte aber ins Turnier, nachdem er zuvor bei vier Sandplatz-Turnieren nur fünf Matches gewonnen hatte. Mit 13:42 Stunden stand er fast drei Stunden länger auf dem Platz als sein Halbfinal-Gegner Stan Wawrinka und fast sechs Stunden länger als Rafael Nadal.
«Auch im Training lief es zuvor nicht gut», gibt er zu. Nach seinem traumhaften Lauf in der zweiten Hälfte 2016, mit dem er Novak Djokovic als Nummer 1 abgelöst hat, geriet er in eine Krise. Wahrscheinlich gönnte er sich zu wenig Pause im Hinblick auf die neue Saison. Das ging auf Kosten der physischen Frische, aber auch der Motivation. «Jetzt ist es wieder viel besser», stellt er fest. Beim Drittrundensieg gegen Juan Martin Del Potro erinnerte der Brite erstmals seit langem wieder an den Murray der besseren Tage. Er traut sich deshalb absolut zu, im Halbfinal gegen Wawrinka wie vor einem Jahr zu gewinnen.
Stan, der Unberechenbare
Stan Wawrinka (SUI, 32-jährig, ATP 3, 16 ATP-Titel, darunter 3 Grand Slams, 1 Masters 1000):
Bereits vor einem Jahr war die Niederlage Wawrinkas gegen Murray eine Überraschung, da der Waadtländer als Titelverteidiger zuvor im Turnier mehr überzeugt hatte. Diesmal ist er noch deutlicher Favorit. Wawrinka fand nach einer zuvor ebenfalls schwachen Sandsaison nicht erst im Turnier seine Form, sondern bereits zuvor mit dem Sieg in Genf. «Damit ist das Selbstvertrauen wieder gekommen», bestätigt der Romand. Wie meist zeigt er bei den Grand-Slam-Turnieren sein bestes Gesicht. Und ein Wawrinka mit Selbstvertrauen ist brandgefährlich für jeden.
Mit einem zweiten French-Open-Triumph würde Wawrinka erstmals in seiner Karriere die Nummer 2 der Welt und Murray in Sachen Grand-Slam-Siege überholen. «Ich fühle mich ruhig, physisch und mental frisch und stark.» Kein Wunder: Vor seinem neunten Grad-Slam-Halbfinal hat der Lausanner erstmals keinen Satz abgegeben.
Rafa, der Unerschütterliche
Rafael Nadal (ESP, 31-jährig, ATP 4, 72 ATP-Titel, darunter 14 Grand Slams, 1 Olympia-Goldmedaille im Einzel, 30 Masters 1000):
Wer soll diesen Rafael Nadal stoppen? Ein Jahr, nachdem er vor seinem Drittrundenspiel wegen einer Verletzung des Handgelenks Forfait erklären musste, agiert er stärker denn je. Nur 22 Games verlor er in den fünf Spielen bis in den Halbfinal, auf Sand hat er in diesem Jahr nur ein Spiel verloren, im Viertelfinal in Rom gegen Dominic Thiem. Nadal hat von seinen 102 Sandmatches auf drei Gewinnsätze sagenhafte 100 gewonnen.
Einziges Fragezeichen: Nadal musste auf dem Weg in den Halbfinal keinen Top-15-Spieler bezwingen. Im Viertelfinal gab Landsmann Pablo Carreño Busta nach 51 Minuten verletzt auf. Fehlt ihm ein echter Test? «Die einen sagen, es ist besser, wenn man harte Matches hat, die anderen bevorzugen einfache», meint der Spanier dazu. «Wer weiss das schon. Ich bin jedenfalls zufrieden, wo ich stehe.»
Dominic, der Unbekannte
Dominic Thiem (AUT, 23-jährig, ATP 7, 8 ATP-Titel):
Das zweite Fragezeichen auf dem Weg zu Rafael Nadals zehntem Roland-Garros-Titel trägt einen Namen: Dominic Thiem. Der österreichische Aufsteiger der letzten zwölf Monate spielte in diesem Frühling schon dreimal gegen Nadal – in den Finals in Barcelona und Madrid sowie im Viertelfinal in Rom. Er kam dem Sand-Dominator jedesmal näher, bis er ihn in der italienischen Metropole bezwang – zum zweiten Mal nach dem Sieg in Buenos Aires 2016. Das gelang noch nicht vielen. Der Schützling von Günter Bresnik wird nicht in Ehrfurcht erstarren, wie er mit seinem abgezockt herausgespielten Sieg gegen Titelverteidiger Djokovic eindrücklich unter Beweis gestellt hat.
Ein kleiner Nachteil könnte sein, dass Thiem am Freitag erst zum zweiten Mal auf dem grossen Court Philippe-Chatrier spielen wird (nach einem Spiel vor drei Jahren in der 2. Runde gegen Nadal). Wegen der Regenkapriolen fand letztes Jahr selbst der (verlorene) Halbfinal gegen Djokovic nicht auf dem Centre Court statt. Entscheidend wird sein, wie schnell er sich mit den grösseren Dimensionen – der Chatrier verfügt über den grössten Auslauf hinter der Grundlinie aller Plätze der grossen Turniere – zurecht findet. Einen Fehlstart kann er sich gegen Nadal nicht leisten. Dazu meinte Thiem allerdings cool: «Ich denke, der Platz selber ist gleich gross wie überall.»