«Driften» – rasend junger Film

Er hat ihr Kind totgefahren. Sie will ihn umbringen. Zwei, die sich unter derartigen Umständen begegnen, haben vielleicht eine interessante Geschichte vor sich. Wir auch? «Driften» wagt sich an ein ungewöhnliches Thema. Der Regisseur Karim Patwa zeigt seinen Langspielfilm-Erstling über einen jungen Raser mit bestechendem Sog. Robert ist einer, der immer wieder sein Leben riskiert, […]

Alice und Roberts rasende Liebe

Er hat ihr Kind totgefahren. Sie will ihn umbringen. Zwei, die sich unter derartigen Umständen begegnen, haben vielleicht eine interessante Geschichte vor sich. Wir auch?

«Driften» wagt sich an ein ungewöhnliches Thema. Der Regisseur Karim Patwa zeigt seinen Langspielfilm-Erstling über einen jungen Raser mit bestechendem Sog. Robert ist einer, der immer wieder sein Leben riskiert, oder besser: vor allem das der anderen. Dabei hat er Alices Kind totgefahren. Alice will ihn umbringen. Zwei, die sich unter derartigen Umständen begegnen, haben vielleicht eine interessante Geschichte vor sich. Wir auch?

Auch wenn in der Geschichte vieles wirkt, als hätten wir das schon einmal so gesehen, Karim Patwa hat etwas  riskiert und – er bringt bewährte und blutjunge Gesichter vor die Kamera von Philipp Stichler. Und die haben etwas Neues zu erzählen.

Eine grossartige Schauspielerin entdecken

Robert ist im Gefängnis reifer geworden. Der junge Schauspieler, der ihn spielt auch: Max Hubacher («Der Verdingbub») spielt in «Driften» die Rolle des Täters. Als Raser hat er ein Kind getötet. Es war ein Unfall, sagt er. Es war Mord, schreit es aus dem Mutterherz von Alice.

Die Alice von Sabine Timoteo («Le Meravigie») ist mehr als ein spannendes Gesicht. Wer ihre Mutter Alice in «Driften» kennenlernt, findet eine bestechende Mischung von Lebensgier, Lustsuche und Trauer. Die fasziniert auch Robert.

Als Robert sich Alice – anonym  – nähert, weiss er von ihr nur das Eine: Sie ist die Mutter seines Opfers. Er hat mit ihr bereits eine Geschichte, von der sie nicht, dass sie sie hat, als er in einer verunglückten Nacht im Rausch mit ihr eine neue Geschichte anfangen will.

Das Schweigen über die Vergangenheit wächst zu einem Schrei

Aber nun drängt der eigentliche, schreckliche, Anfang der Geschichte langsam aus der Vergangenheit in die Gegenwart des Paares: Damals hat Robert Alices Kind totgefahren. Heute ist er merh als nur der Englisch-Schüler der jungen Frau.

Ab jetzt wird das Drehbuch beliebig. Ab jetzt halten nur noch die beiden jungen Schauspieler Hubacher und Timoteo den Motor der Handlung von «Driften» am Laufen. Bald sagen sich die beiden Sätze, die eine Fortsetzung der Beziehung mit Versöhnung unwahrscheinlich erscheinen lassen. Jetzt scheinen wir auf ein Melodram zuzusteuern. «Ich würde den Mörder meiner Tochter am liebsten umbringen», sagt sie. Er belügt sie über seine Indentität.

 Robert verwechselt seine Schuldgefühle lange mit Mitleid. Er ist ausserdem weit davon entfernt, seine Geschwindigkeitssucht als Krankheit zu erkennen. Spätestens hier verlieren wir das Interesse an ihm – und der Liebesgeschichte.

Auch Alice verwechselt ihre Sehnsucht mit mit Zuneigung  – auch als sie erneut mit dem jungen Mann im Bett landet, der so hartnäckig Interesse zeigt. Doch weiterhin tappen die beiden aneinander vorbei: Die Regie spannt uns lange auf die Folter – wenn auch nicht mit Spannung.

Das liegt nicht daran, dass so lange offen bleibt, was Robert will. Seinen Schuldberg abtragen? Wiedergutmachen? Um Verzeihung bitten?  Wie kann er das Kind wieder ins Leben zurück bringen? Das abfallen der Spannnung liegt vor allem daran, dass die Raser-Clique, die Robert verfolgt, einfach zu dämlich gezeigt wird.

Da Roberts krankhafte Raserei dadurch keine Kontur kriegt, wirkt jede Auseinandersetzung mit der Raserszene verunglückt. Plötzlich will der Film pädagogisch wertvoll sein, anstatt uns weiter aus den Tiefen einer Beziehung Mann-Frau zu erzählen. Vielleicht vertraut die Regie auch zuwenig auf die Kraft der Geschichte, die das Bild einer Katastrophe nur aus dem Rauschen der Erinnerung sichtbar zu machen versucht.

Langsam wird aus dem Rauschen der Erinnerung ein Bild

Vom Opfer, vom Kind, ist nie etwas zu sehen. Dennoch entstehen in uns die Bilder des Opfers. Wenn etwa Robert im Dunkel vor dem Haus der Kindsmutter ein Kieselsteinchen über die Kinderrutsche gleiten lässt, dann ist das Kind plötzlich da, und das Trauma albtraumhaft ganz nah.  

Der emotionale Sprengstoff, der in der Beziehung steckt, ist ohnehin sehr rasch klar. Aber wie wird die Explosion verkraftet? Was lauern hinter den falschen für echte Gefühle –  Mord und Totschlag? Da hätte der Film auch mehr auf die Schasupieler vertrauen können.

Ein Paar begegnet endlich seinen Ängsten

Doch kommt jener Teil des Films, für die das Ausharren sich lohnt erst spät: Alice schlägt Robert Rollenspiele vor, um englisch zu lernen. Plötzlich stehen die beiden in Rollen auf jenem dünnen Eis, auf das sie seine Lügen ohnhein geführt haben. Wer bist du eigentlich?

Als Alice  schliesslich eine Antwort auf die Frage erhält, liegt nun leider das Messer zu offensichtlich bereit, von dem sie gleich am Anfang sprach. Die subjektive Kamera fährt – wie erwartet –  plakativ über den Rücken des Rasers. Jetzt ist alles so prächtig vorbereitet, wie wir es längst erwarten durften – und dennoch spannend.

Eben jetzt gelingen Karim Patwa die packendsten Szenen. Jetzt löst er ein, worauf er uns fast eine Stunde hat warten lassen: Rasende Geltungssucht und Sehnsucht nach Geborgenheit treffen sich in einer rasenden Liebesgeschichte, die nach dem Tod sucht. Endlich dürfen die beiden Schauspieler aus dem Film ein spannendes Psychodrama machen.

 

 

    

 

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