Durch den Nebel zum Kokain der Haute Cuisine

Im Spätherbst ins Piemont zu reisen lohnt sich nicht zum Wandern, dafür umso mehr für den Bauch: Es locken frische, weisse Trüffel und ein Rahmenprogramm, das man getrost auslassen kann.

Im Spätherbst in das Piemont zu reisen, lohnt sich nicht zum Wandern, dafür umso mehr für den Bauch: Es locken frische, weisse Trüffel und ein Rahmenprogramm, das man getrost auslassen kann.

Im November hängt der Nebel über den Hügeln des Piemonts tief und dicht. Während der Nacht- und Morgenstunden benetzt er die Frontscheiben der Autos mit kleinen, glasigen Tröpfchen und schränkt dabei die Sicht so stark ein, dass jede Minute Autofahrt zum Belastungstest für den Fahrer wird. 

Prompt verpassen wir auf der Autobahn trotz Navigationsgerät Ausfahrten, Abzweigungen und Raststätten. Es nützt wenig, wenn das Navi die Richtungswechsel ankündigt: Wir erkennen sie so spät, dass sie nur noch mit abruptem Bremsen zu nehmen wären. Wer das Piemont im Herbst oder im Winter mit dem Auto bereist, sollte dies möglichst nicht nachts oder morgens tun.

Im Auto flucht aber niemand über den Nebel, ausser der Fahrer – und dieser auch nur vorsichtig. Denn der Nebel ist bedeutend für das Wachstum des eigentlichen Reisegrunds: die weissen Trüffel der Provinzen Asti und Cuneo. Denn die Trüffel brauchen nebst anderen Bedingungen vor allem Kühle und Feuchtigkeit, um zu wachsen.

Kulisse eines Werbespots

Die ertragstarken Trüffelernten im Piemont finden in der Regel von Oktober bis Ende November statt. Während dieser Zeit findet auch die «fiera del tartufo» in der Altstadt von Alba statt. Die Stadt wird dann vom Trüffelduft erfüllt, aber auch vom Schweizerdeutschen, Englischen und Französischen, was das Aufkommen von «Italianità» erschwert.

Den unzähligen Events des Rahmenprogramms der Messe wie beispielsweise dem Esels-Palio oder den Folklore-Darbietungen haftet immer der fade Beigeschmack der PR an, des radikalen In-Szene-Setzens der lokalen Erzeugnisse. Als Tourist mit Geschmack fühlt man sich ein wenig vorgeführt. Die eigentlich hübsche Altstadt Albas verkommt so während der Messe zur Kulisse eines einzigen Werbespots.

Ein schlechtes Jahr für die Trüffel




Teures Vergnügen: Das Trüffel-Jahr war wegen des warmen Oktobers und Novembers nicht gut, das schlägt sich auf die Preise nieder.

Wer das authentische Piemont entdecken will, sollte deshalb zumindest Alba zu dieser Zeit meiden. Das macht sich schliesslich auch im Reisebudget bemerkbar: Die Zahlkraft von Trüffeltouristen und die oft fehlenden Kenntnisse über die Pilze führen zu überhöhten Preisen und einem breiten Lächeln in den Gesichtern der Restaurantbesitzer und Händler in Alba.

Für «taijarin con tartufo» (fein geschnittene Butternudeln mit darüber geriebener weisser Trüffel) bezahlen wir in einem Restaurant in Alba knapp 45 Euro. Ausserhalb, in den vielen kleinen Städtchen der Provinzen Asti und Cuneo, bezahlen wir unbedeutend mehr, erhalten jedoch ganze Trüffelmenüs mit mehreren Gläsern regionalen Weins.

Dieses Jahr war ein schlechtes für das Wachstum der Trüffeln: Die Temperaturen im Oktober und November waren viel zu hoch für die Pilze. Weil aber die Nachfrage nach dem «tartufo d’Alba», auch das Kokain der Haute Cuisine genannt, immer gleich hoch ist, stiegen die Preise dieses Jahr markant an. Je nach Grösse des Pilzes bezahlt man für das Gramm zwischen 4.20 Euro und 5 Euro. In den Jahren zuvor lag der Preis durchschnittlich ungefähr bei 3.50 Euro.

In Alba besser keine Trüffel kaufen

Der Erwerb der Trüffel sollte man in den Gassen von Alba selbst vermeiden, zu hektisch ist das Treiben. Für eine seriöse Beratung haben die meisten Händler dort zu wenig Zeit. Ausserdem werden viele Trüffeln in schlecht gekühlten Vitrinen ausgestellt, was sich schlecht auf die Konservierung des Aromas auswirkt. Den offiziellen Trüffelmarkt der Messe besuchen wir nicht. Denn der Hotelier in unserer dreiköpfigen Reisegruppe kennt einen Trüffelhändler wenig ausserhalb der Stadt, mit dem er bis anhin nur gute Erfahrungen gemacht hat.

Nach knappen zehn Minuten Autofahrt hält er vor einem unscheinbaren Fabrikgebäude: «Hier ist es.» Nur durch ein schlichtes Schild an der Fassade gibt sich der Händler «Tartuflanghe» zu erkennen. Das Innere der Lokalität hat dann wenig mit dem Äusseren zu tun: Die weissen Regale sind auf Hochglanz poliert und trotz der etwas sterilen Aufmachung kommt dank der herzlichen Begrüssung Geborgenheit auf. Die Beraterin nimmt sich viel Zeit für uns, obwohl wir im Vergleich zur restlichen, fein herausgeputzten Kundschaft nicht gerade Erwartungen an einen hohen Umsatz wecken dürften.




Nicht nur Gutbetuchte dürfen bei «Tartuflanghe» mal riechen.

Der Entscheid für die blumige Ecke

Wir können an jeder Trüffel riechen. Die Händlerin erklärt uns, dass jede Trüffel ihren eigenen Charakter hat und es deshalb nicht eine beste und eine schlechteste in ihrer Kühlablage gebe, sondern nur die für den jeweiligen Kunden richtige. Obwohl wir das für Vertretergeschwätz halten, müssen wir der Dame nach wenigen Geruchsproben recht geben. Wir sind erstaunt über die Vielfalt der Duftnuancen von blumig bis knoblauchig, die auch ohne grosse Erfahrung bald herausriechbar sind. Alle Trüffeln wurden, versichert uns die Händlerin, noch am frühen Morgen des aktuellen Tages ausgegraben.

Ich kaufe mir eine Trüffel aus der blumigen Ecke und bezahle für den 25 Gramm schweren Pilz 108 Euro. Meine zwei Begleiter entscheiden sich jeweils für etwas grössere Exemplare. Ein schlechtes Gewissen wegen der hohen Preise ereilt aber niemanden von uns: Zu betörend ist der Trüffelgeruch und zu gross die Vorfreude auf seine Vereinnahmung unserer Geschmacksknospen.

Der Spätherbst ist für den Abstieg in die Weinkeller perfekt

Natürlich darf man das Piemont nicht nur auf die Trüffeln und die kulinarischen Erlebnisse reduzieren. Die Landschaften sind, wenn der Nebel einmal den Blick auf sie freigegeben hat, wunderschön, die kleinen, enggebauten Städtchen und Dörfer auf den Spitzen der Hügel ebenso. Der zwischenmenschliche Umgang im Piemont ist viel bedächtiger und weniger impulsiv als in den meisten anderen Teilen Italiens.

Aber während der Herbst- und Wintermonate eignet sich das Piemont doch am besten für Touristen mit kulinarischen Absichten. Die Wandervergnügen werden durch den dichten Nebel und durch die kurzen Tage zu stark eingeschränkt. Jedoch sorgt der Nebel auch für die Gewissheit, wenig an Naturwundern zu verpassen, und somit für das notwendige ruhige Gemüt, während man in einer der vielen Weinkellereien der Region Weine degustiert. Deshalb bleiben wir ihm auch während der Heimfahrt am späten Nachmittag noch freundlich gesinnt, dem Nebel, obwohl wir schon wieder eine wichtige Abzweigung verpassen.




Wandern ist bei Nieselregen und Nebel nicht so schön, den Abstieg in die Weinkeller macht das Wetter aber umso schöner.

  • Absteigen: Rund um Alba gibt es viele schöne, moderne und saubere Ferienwohnungen, die auch während der Trüffelmesse zu vernünftigen Preisen mietbar sind. Dabei sinken die Preise mit zunehmender Distanz zur Trüffelhauptstadt.
  • Anstossen: In den einfachen Dorfbeizen stösst es sich nach dem Abendessen am besten an. Zum Beispiel im «Fujò» in Canelli, dessen Wirt nebst Rock ’n‘ Roll eine Vielfalt an regionalem Bier anbietet und unser Schweizerdeutsch so drollig findet, dass er seine Freundin fortan nur noch «mis liebe Härdöpfeli» nennt. Ausserdem sind er und seine mehrheitlich jungen Gäste verlässliche Quellen für Restauranttipps.
  • Anbeissen: Einer dieser Geheimtipps ist zum Beispiel das Restaurant «Universo» in Vignale Monferrato. In der alten Villa wird das Abendessen für alle Gäste gleichzeitig um 20.30 Uhr serviert. Für wenig Geld kommt man in den Genuss von mehrgängigen, trüffelgespickten Menüs und gutem, lokalem Wein. Allein der Antipasto setzt sich aus sechs nacheinanderfolgenden Gerichten zusammen. Die mühsame Anfahrt über enge Landstrassen macht sich ausserdem durch die in der Regel touristenfreie Wohnzimmeratmosphäre und die freundliche Bedienung bezahlt.
  • Anschauen: Die Führungen und Degustationen in den unzähligen Kellereien, aus denen der Barolo, der Barbera und der Spumante d’Asti stammen, beeindrucken architektonisch und kulinarisch. Zu finden sind sie hauptsächlich in Barolo, Canelli und Nizza Monferrato.

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