Durchdrehbuch 1: Mali sunt homines, qui bonis dicunt male.

In der Reihe Durchdrehbücher stelle ich Filme vor, die wir im Kino nicht sehen müssen. Noch nicht. Durchdrehbücher sind Drehbücher von Filmen, die wir im Kino nicht sehen müssen. Noch nicht. Das Durchdrehbuch 1: Es ist erschreckend einfach: Ganz zu Beginn sehen wir – im Tiefflug, wie der Franzose mit seinen modernen Flugzeugen afrikanischen Islamisten […]

In der Reihe Durchdrehbücher stelle ich Filme vor, die wir im Kino nicht sehen müssen. Noch nicht.

Durchdrehbücher sind Drehbücher von Filmen, die wir im Kino nicht sehen müssen. Noch nicht.

Das Durchdrehbuch 1:

Es ist erschreckend einfach: Ganz zu Beginn sehen wir – im Tiefflug, wie der Franzose mit seinen modernen Flugzeugen afrikanischen Islamisten in Mali eins auf die Nüsse gibt. Das hat der Islamist jetzt davon, dass er keine Flugzeugabwehrraketen gekauft hat! Weiter beweist der afrikanische Islamist sofort, dass der Franzose recht hat, derart einzugreifen, indem er mit Maschinenpistolen ein algerisches Gasfeld angreift, von dem aus die Europäer Gas für die Liebsten nach Hause schickten, die jetzt mit Gas aus russischen Gasfeldern auskommen müssen.

Schnitt.

In der Konzernzentrale eines der grössten Waffenproduzenten der Welt zerbricht man sich den Kopf. Der Absatz stockt. Die Griechen, die Europas grösstes Militärbudget haben, müssen sparen. Portugal muss sparen. Spanien muss sparen. Selbst der Schweizer kauft keine Mirage. In der Tischrunde der Damen und Herren der Waffenindustrie ist man sich einig: Man kann nicht mehr tatenlos zuschauen. Der Franzmann muss etwas tun! Die Konzernleitung ernennt eine Taskforce, die einen Dreizehn-Punkteplan vorstellt:

a)      Der Franzmann muss Kunden akquirieren. Er kann das im eigenen Land tun, indem er den Franzmännern klar macht, dass der Islamist mit neuen Waffen vor der Tür steht, oder, dass die eignen Waffen veralten. (Das ist relativ einfach zu beweisen, weil Waffen rasch veralten. Die Mirage war schon alt, als sie noch neu war.)  Der Haken beim Waffenverkaufen im eigenen Land ist bloss, dass selbst willige Käufer meist blöde demokratische Hürden nehmen müssen.

b)      Der Franzmann muss also anderswo neue Kunden gewinnen. Am besten tut er das, indem er erst einmal Waffen an einen Gegner des Kunden verkauft.

c)      Kaum merkt der Gegner des Gegners, dass sein Gegner Waffen kauft, kauft auch der Gegner des Gegners Waffen. Der Franzmann kann jetzt beiden Gegnern Waffen verkaufen. Wir haben eine klassische Win-Win-Situation.

d)      Der Franzmann muss dafür sorgen, dass es genügend arme Schlucker gibt, die für wenig Geld mit einer Waffe andere arme Schlucker mit einer Waffe niederstrecken wollen. Am besten sorgt er hierfür, indem überall sich überall reiche Schlucker breit machen dürfen, und arme Schlucker nur noch breit sind. Sobald Arbeit sich nicht lohnt, oder es gar keine Arbeit mehr gibt, ist es ein Leichtes, arme Schlucker gegen arme Schlucker zu hetzen. Wer dann nicht arbeitet ist entweder ein reicher Schlucker, oder ein armer ..  und …

e)      Jetzt steht einem hübschen Bürgerkrieg nichts mehr im Weg. Das bringt normalerweise den Waffenverkauf weiter in Schwung. Auch ein Waffenverbot wirkt da meist Wunder, weil das Verbotene immer mehr lockt, als das erlaubte.

f)        Jetzt kann der Franzmann in Ruhe warten, bis ein Gegner mit eroberten Waffen auf einen Gegner mit gekauften Waffen losgeht. Nehmen erst arme Schluckern anderen armen Schluckern die Waffen ab und erschiessen andere arme Schlucker, kommt die Sache in Schwung. Bis eine sogenannte humanistische Katastrophe eintritt. Dann kann der Franzmann verkünden, er müsse eingreifen! Er müsse nun mit seinen eigenen Waffen die Waffen, die er einem der Gegner (besser: beiden) vor einem Jahr verkauft hatte, davor retten, in fremde Hände zu fallen.

g)      Humanistische Katastrophen sind aber nur humanistische Katastrophen, wenn auch genügend Fernsehteams davon berichten. Deshalb hat der Franzmann im Vorfeld schon mal kecke Reporterinnen und furchtlose, unrasierte Reporter in hübsche Hotels in der Nähe der Zivilbevölkerung untergebracht, damit den Franzmännern zu Hause mit Bildern täglich vor Augen geführt werden kann, dass endlich etwas unternommen werden muss muss muss – zum Beispiel müssen Waffen gekauft werden.

h)      Beim Eingreifen in Bürgerkriege bietet sich nämlich nicht nur eine hübsche Gelegenheit, humanistische Katastrophen zu verhindern, sondern auch, die eigenen (veralteten) Waffen in Schrott zu verwandelten. Das zwingt auch demokratische Zauderer zu Hause dazu, dem Kauf neuer Waffen zuzustimmen, und mit der blöden Sparerei aufzuhören. Eine Win-Win-Win-Situation.

i)        Jetzt kann der Franzmann endlich angreifen: Diesmal als humanistischer Retter: Er schiesst dem einen Kunden die Waffe aus der Hand und verkauft dem anderen Kunden neue Waffen. Eine Win-Win-Win-Situation. Hochrangige Militärs sind, egal ob aus Diktaturen (Mali?) oder aus Demokratien (Ägypten?) in Paris immer willkommen, um sich weitere hübsche Waffen zu kaufen (und abends noch etwas mit dem Franzmann auszugehen…. )

j)        Bei Bürgerkriegen ist ausserdem entscheidend, dass die Waffen gut sichtbar für Kameras vernichtet werden. Nur so können Bilder um die Welt gehen, die beweisen, wie effizient die neuen Waffen sind. Während die Autoindustrie teure Werbeminuten kaufen muss, verbreitet die Waffenindustrie über alle Fernsehkanäle ihre Gratiswerbung in den News, die die Aufnahmen durch das Militär genehmigen lassen müssen. Es entsteht wieder eine Win-Situation.

k)      Der Franzmann kann natürlich auch selber einen Krieg beginnen.  (Im Beginnen von Kriegen ist der Franzmann ohnehin besser als im Gewinnen .. ) Ist ein Krieg erst einmal begonnen, kann man dann auch andere Waffenproduzenten fragen, ob sie einem ein wenig helfen wollen Humanistische Katastrophen zu verhindern. Deutschlands Waffenindustrie, die zweitgrösste der Welt, ist dabei immer ein gern gesehener Partner. Sie leidet seit Jahren darunter, dass sie ihre Waffen in Norwegen testen muss und nicht unter Echtbedingungen. Die US-Waffenindustrie testet ihre Waffen meist gleich vor Ort, handelt aber gerne allein.

l)        Der Franzmann muss sich sputen, weil er nur die viertgrösste Waffenindustrie der Welt betreibt. Sonst kommen ihm die drei grösseren (USA, Russland, Deutschland) zuvor. Sie pflegen nämlich ähnliche humanistische Traditionen. Von einer Waffenindustrie in Tunesien oder Mali oder Kamerun oder Sudan kann man so etwas nicht erwarten, weil es sie nicht gibt. Die Waffenindustrie ist aber lernfähig.

m)    Wie das geht, zeigt am effizientesten die Waffenindustrie der USA. Sie beginnt gerne mal einen Krieg dort, wo sie vorher schon viele Waffen verkauft hat: Erst hat man den Irak hochgerüstet, dann hat man in Afghanistan (im Wettstreit mit den Russen) dieselben Friedensmission praktiziert. Diese Win-Win-Win-Win-Situationen haben den Vorteil, dass man nicht nur die Waffen des Gegners (und hoffentlich auch die eigenen) zu Schrott schiessen kann, sondern anschliessend dem besiegten Gegner gleich vor Ort helfen kann, eine Clique von Herrschern zu etablieren, die man dann Demokraten nennt, und ihnen dabei zu helfen das Land demokratisch zu beherrschen und – Waffen zu kaufen.

Deshalb ist Syrien für eine Friedensmission für die USA und Frankreich total ungeeignet. Syrien ist ein Kunde der Russen. Wenn die Amis den Syrern die Waffen zu Schrott verwandeln, kaufen die nur wieder bei den Russen nach. Deshalb wartet man lieber, bis der Frieden dort von selbst einkehrt. Meist kehrt in solchen Ländern erst Frieden ein, wenn keiner mehr eine Waffe kaufen kann. Dazu muss halt ein Volk auch mal ratzeputze tot sein. Das muss ja noch lange nicht heissen, dass so ein Land nachher für die Waffenindustrie gestorben ist. Es eignet sich ja so auch noch als Testgelände.

 

 

Die Kamera schwenkt jetzt hinaus in den Himmel über einer der Hauptstädte der Waffenindustrie. Schwer zu sagen, ob es Paris ist oder Tokyo oder Berlin ist. Am liebsten möchten wir vergessen, was wir eben gehört haben: die grössten humanistischen Katastrophen der Welt spielen sich zur Zeit in den Hauptstädten der waffenproduzierenden Länder ab. In den Hinterzimmern feiner Hotels treffen sich humanistische Waffenproduzenten mit humanistischen Militärexperten aller Länder. Sie gehen die Liste von a bis o noch einmal durch, und überlegen, wie man den Humanismus (und vor allem die humanistische Waffenindustrie) vor dem Untergang retten könnte.

Das ist die eigentliche Katastrophe des Humanismus. Dass das Wort humanistisch so bedeutungsleer verwendet wird, dass es bereits für Hunger- Katastrophen, Völkermord, Massenvernichtungen verwendet werden darf. Wir dürfen also warten, bis das Wort «Humanistische Katastrophe»  zum «Unwort des Jahrhunderts» ernannt wird. Noch vor dem Unwort «Unwort». Es ist mein Favorit fürs nächste Jahrhundert-Ende. Das Unwort «Unwort»  drückt am besten aus, was uns noch bleibt, wenn wir den Machenschaften der Waffenindustrie gegenüberstehen: Die Unsprache. Sie umschreibt die vollständige Sprachlosigkeit. Auf dem Weg dazu müssen wir uns noch an die Verlautbarungen von Militärs gewöhnen, die in der international üblichen Unsprache Frieden schaffen.

Schnitt: Hinter einem der Fenster einer der Hauptstädte einer der Nationen, die in ihren Verfassungen Demokratie garantieren, erwacht eine brave Bürgerin. Sie sieht in den Frühnachrichten alle Kameras auf die nächste humanistische Katastrophe in Afrika gerichtet, dreht das Gas am Gasherd auf und kocht sich erst mal einen Fairtrade-Kaffee.

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