Thomas Tuchel war ein Hoffnungsträger der Trainerbranche, bis ihn die Dortmunder Klubchefs desavouierten. Sein zeitnahes Out ist kaum mehr abzuwenden, die Entmachtung ist zu weit fortgeschritten.
Dortmund spielte vor Kurzem um den Vorstoss unter die Top 4 Europas. In einer Woche bietet sich im zweiten DFB-Pokal-Final innert zwölf Monaten die Chance zur ersten Trophäe seit fünf Jahren. Diskutiert wird in diesen Tagen aber nahezu exklusiv über den von der eigenen Klubspitze angegriffenen Trainer Tuchel. Für den unerbittlichen Boulevard ist seine vorzeitige Abwahl beschlossene Sache. Der Verein sei sich mit einem alten Schweizer Bekannten «weitgehend einig»: Lucien Favre soll nach einer «Saison historique» mit der OGC Nice seinen Arbeitsplatz von der Côte d’Azur ins Ruhrgebiet verlegen.
Hans-Joachim Watzkes Satz mit elf Zeichen genügte, um in Dortmund eine Debatte auszulösen, die sich zur Zerrüttung mit dem Chef-Trainer ausgeweitet hat. Im Interview mit dem «Westen» beantwortete der Dortmunder Geschäftsführer die Suggestivfrage, ob im Kontext mit dem Anschlag auf den Teambus ein Dissens zwischen ihm und Tuchel sichtbar geworden sei, folgenschwer: «Das ist so, ja.»
Das mediale Beben konnte für den operativen Leiter des Klubs keine Überraschung sein. Watzke, tief verankert bei Schwarzgelb und einer der besten Rhetoriker in der Liga, kann die Nachwirkungen brisanter Aussagen abschätzen. Er ist seit über 21 Jahren Vereinsmitglied. Kaum ein BVB-Entscheidungsträger beherrscht das Geschäft mit den Emotionen besser. Und das Gespräch fand nicht unter Adrenalin-Einfluss am Spielfeldrand statt, sondern in einer wohltemperierten Bürokomfortzone.
Der Vorstoss kam gut kalkuliert aus der Tiefe der eigenen Reihen und traf den unvorbereiteten Tuchel mit voller Wucht. Wenige Tage nach der von einem Kriminellen provozierten Schockwelle verschärfte sich die mentale Belastung des Coachs erneut. Watzke entzog dem leitenden Angestellten sozusagen öffentlich die echte Liebe – mit fatalen Folgen.
Status und Kabine verloren
Der Status Tuchels ist seit jener Interview-Passage richtiggehend erodiert. Unzufriedene Spieler deponierten ihre Vorbehalte gegenüber ihrem Vorgesetzten bei renommierten deutschen Medien. Die anonyme Runde stellte in Abrede, dass der Zusammenhalt speziell gross sei, und kritisierte taktische Details. Auf die Veröffentlichung der «Süddeutschen» reagierte Tuchel heftig: «Da werden persönliche Grenzen dramatisch überschritten.»
So sehr sich Tuchel gegen die stillosen Vorwürfe wehrt, seine Isolation ist unübersehbar. Die Führungsetage hat sich ausnahmslos hinter Watzke positioniert. Und aus dem Kreis der Spieler hielt es niemand für nötig, eine Gegendarstellung zu platzieren. Nuri Sahin umdribbelte im «Aktuellen Sportstudio» jedes halbwegs heikle Statement. Das Arbeitsverhältnis sei professionell, auf eine klare Pro-Tuchel-Aussage verzichtete Sahin, der auf sozialer BVB-Ebene zu den einflussreichen Wortführern gehört.
Die Kommunikationspolitik der Kabine lässt Raum zur Interpretation. Der Verzicht auf eine Stellungnahme zur Eskalation zwischen Watzke und Tuchel kann durchaus als stillschweigendes Misstrauensvotum seitens der Akteure gedeutet werden. In der Garderobe sitzt wohl nur noch eine loyale Minderheit, die Tuchels Behauptung teilt, zwischen ihm und den Spielern gelte «maximales Vertrauen».
Von der landesweiten Bewunderung für die Methodik Tuchels ist nicht mehr viel übrig. Experten halten die Verbindung mit dem BVB nach knapp zwei Saisons für gescheitert. Das Zerwürfnis gilt als irreparabel. Für ein klärendes Gespräch fehlte angeblich die Zeit. Die «Endspiele» um die direkte Champions-League-Qualifikation und um die Cup-Trophäe in Berlin gegen Frankfurt sind im Zusammenhang mit der Personalie Tuchel womöglich finale Angelegenheiten.
Der neue Pep ist degradiert
Mit einer derartigen Abkühlung hätte vor etwas mehr als zwei Jahren kein Meinungsmacher gerechnet. Am Ende eines Sabbaticals sortierte der Ex-Mainz-Taktiker Offerten der halben Liga. Auch der Leipziger Sportchef Ralf Rangnick hatte sich intensiv um ihn bemüht. «Thomas ist ein riesengrosses Trainertalent mit hohem Intellekt, sehr ehrgeizig, gut im Umgang mit den Spielern, und er ist eloquent, kann die gesamte Klaviatur bespielen.»
Nach dem Rückzug von Jürgen Klopp tauchte Tuchel im Ruhrpott wieder auf. Mit der Figur eines puren Asketen. Dünn, drahtig, erfolgsbesessen – ganz so, als ob er während seiner Auszeit nur Taktik-Formeln konsumiert und mit Seelenverwandten wie Pep Guardiola in einer Bar die globale Entwicklung des Fussballs seziert hätte.
Die beiden Stilisten begegneten sich nicht nur bei einem Glas Rotwein im «Schumann’s», sie verkehrten auch in der Liga auf Augenhöhe. Tuchel verlor das Duell mit dem Bayern-Maestro zwar, aber er trieb den BVB zur höchsten Punktzahl der Klubgeschichte. Im letzten Sommer orchestrierte er einen erheblichen Umbruch und erweiterte das spielerische Repertoire Dortmunds dennoch. Der Kurs stimmte, die grösste Zuschauerkulisse der Bundesliga goutierte Tuchels Stil und Unterhaltungsfaktor.
Für den Chef-Reporter der «Sportbild» stand deshalb noch im September fest: «Tuchel wird zum neuen Pep!» Das Magazin «11 Freunde» doppelte vor wenigen Wochen auf der Titelseite nach: «Meister von morgen». Im Mai 2017 ist der «neue Pep» nur noch ein «schwer getroffener Tuchel», der um seine Zukunft und um sein Image kämpft – ein mit Kalkül schonungslos degradierter Ex-Hoffnungsträger der deutschen Trainer-Branche.